Krebspatienten: Gesamtüberleben und Lebensqualität übertrumpfen PFS

  • Megan Brooks
  • Medizinische Nachrichten
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Das progressionsfreie Überleben ("progression-free survival", PFS) ist heute der wichtigste Endpunkt in klinischen Krebsstudien. Eine bloße Verlängerung der Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung ohne Verlängerung der Gesamtüberlebenszeit oder der Lebensqualität rechtfertigt jedoch für viele Patienten keine zusätzliche Therapie, wie neue Forschungsergebnisse zeigen.

"Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass mehr als die Hälfte der Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung keine Behandlung wünschen, die die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung in der Bildgebung verlängert, ohne das Überleben oder die Lebensqualität zu verbessern", so Dr. Christopher Booth, Onkologe und Professor an der Queen's University in Kingston in Ontario, Kanada.

Selbst bei einem Vorteil für die Gesamtüberlebenszeit gab 1 von 5 Patienten an, dass sie eine weitere Behandlung ablehnen würden, was auf den begrenzten Wert der zusätzlichen Lebensmonate mit besserer Lebensqualität hinweist.

"Dies hat sehr wichtige Auswirkungen auf unser Fachgebiet - wie wir Studien konzipieren, wie wir Richtlinien verfassen und wie wir unseren Patienten Behandlungsempfehlungen geben", sagte Booth.

Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, dass wir "die Perspektive der Patienten in unsere Arbeit und die damit verbundene Forschung einbeziehen", stimmte Dr. Richard Lee vom City of Hope Comprehensive Cancer Center in Duarte, Kalifornien, zu, der nicht an der Studie beteiligt war.

"Es ist einfach für uns, Ergebnismaße auszuwählen, die für uns als Forschende wichtig sind, aber für den Patienten nur wenig Wert haben", sagte Lee, stellvertretender Redakteur (Palliativmedizin) bei Cancer.Net, der Patienteninformations-Website der American Society of Clinical Oncology (ASCO). Die Studie wurde am 17. Juli online im Journal of the National Cancer Institute veröffentlicht.

Häufig, aber ungeeignet?

Obwohl das PFS häufig als primärer Endpunkt in Studien zu Krebsmedikamenten verwendet wird, gibt es Hinweise darauf, dass das PFS in der Regel ein schlechtes Ersatzmaß sowohl für das Gesamtüberleben als auch für die Lebensqualität ist. Es ist auch unklar, wie viel den Patienten eine zusätzliche Zeit ohne Fortschreiten der Erkrankung wert ist - insbesondere wenn dadurch zusätzliche Toxizität ohne Verbesserung des Gesamtüberlebens oder der Lebensqualität entsteht.

In der aktuellen Studie wollten Booth und Kollegen die Einstellung der Patienten zu einer Behandlung besser verstehen, die zwar das PFS verlängert, aber die Gesamtüberlebenszeit nicht verbessert.

An der Studie nahmen 100 Patienten teil, die eine mindestens dreimonatige systemische Therapie für unheilbare solide Tumore erhalten hatten. Nahezu zwei Drittel der Patienten waren älter als 60 Jahre. Sie wurden nach ihren Präferenzen und Zielen für eine weitere Therapie befragt. Eine Vielzahl von primären Krebsarten war vertreten, am häufigsten Magen-Darm, Brust, Lunge, Urogenitaltrakt und Gehirn.

Von den befragten Patienten erhielten 80 derzeit eine palliative systemische Behandlung. Nur ein Patient beschrieb die Absicht als kurativ; 45% bezeichneten sie als lebensverlängernd, und 5% als Verbesserung der Lebensqualität. Die übrigen Patienten verfolgten eine Kombination von Zielen.

Ablehnung zusätzlicher Behandlung

Insgesamt äußerten die Patienten eine Vielzahl von Präferenzen in Bezug auf zusätzliche Behandlungen.

Mehr als die Hälfte (52%) gab an, dass sie eine zusätzliche Behandlung ablehnen würden, die nur eine Verlängerung des Gesamtüberlebens verspricht. 26% gaben an, dass sie eine zusätzliche Behandlung ohne einen Vorteil für das Gesamtüberleben akzeptieren würden, wenn dies eine Verzögerung des Fortschreitens der Krankheit um 3 bis 9 Monate bedeuten würde.

Etwa 1 von 6 Patienten (17%) gab an, eine zusätzliche Behandlung zu befürworten, auch wenn sie keinen Vorteil für das PFS brächte. Diese Patienten gaben an, "kämpfen zu wollen oder zu hoffen, dass sie die Überlebensstatistiken übertreffen würden" - eine Haltung, die "nicht irrational" ist, wie die Forscher feststellten, sondern eher die Denkweise "mehr muss besser sein" widerspiegelt.

Im Vergleich zu den 26% der Patienten, die sich einer zusätzlichen Behandlung unterziehen würden, um einen Vorteil beim PFS, aber keinen Vorteil beim Gesamtüberleben zu erzielen, gaben 71% der Patienten an, dass sie sich einer zusätzlichen Behandlung unterziehen würden, um das Gesamtüberleben um 6 Monate zu verlängern.

Bemerkenswert ist, dass etwa 1 von 5 Teilnehmern (21%) angab, eine zusätzliche Behandlung selbst bei einem 6-monatigen Gesamtüberlebensvorteil abzulehnen, was den "begrenzten Wert der zusätzlichen Zeit widerspiegelt, wenn die Lebensqualität beeinträchtigt wird", erklärten die Autoren.

Abwägung des Nutzens einer zusätzlichen Behandlung 

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass einige Patienten zwar bereit sind, sich unabhängig von den PFS-Ergebnissen einer stärker toxischen Behandlung zu unterziehen. Die meisten ziehen es jedoch vor, die Vorteile von PFS, Gesamtüberleben und Lebensqualität explizit abzuwägen, so Booth und Kollegen.

Die Ergebnisse verdeutlichen auch die Notwendigkeit, randomisierte klinische Studien zu konzipieren, die sich auf die Endpunkte und Gewinne konzentrieren, die für die Patienten von größtem Wert sind.

"Es gibt zwar eine Handvoll Fälle, in denen das PFS ein valides Surrogat für das Gesamtüberleben ist, aber das ist die Ausnahme und nicht die Regel", so Booth, der zusammen mit Kollegen vor kurzem eine globale Bewegung namens Common Sense Oncology ins Leben gerufen hat, um die Krebsbehandlung und klinische Studien patientenorientierter zu gestalten.

Die Pharmaunternehmen mögen die PFS-Messung, weil sie schnell eine Antwort liefert. "Sie müssen nicht auf das Gesamtüberleben als Sekundärparameter warten", aber in vielen Fällen sei das PFS kein guter primärer Endpunkt, so Lee.

Eine Ausnahme seien einige langsam wachsende Krebsarten, wie z. B. niedriggradiger Prostatakrebs, bei denen das Gesamtüberleben erst nach 10 Jahren gemessen werden kann. "Aber abgesehen von diesen wenigen Krebsarten müssen wir uns an das Gesamtüberleben als Goldstandard halten, und die Patienten sagen uns im Grunde dasselbe", erklärte Lee.

Nicht länger, aber besser leben?

Wie sieht es mit einer Behandlung aus, die zwar nicht das Gesamtüberleben verlängert, aber die Lebensqualität verbessern könnte?

"Es ist einfach, ein Lebensjahr zu messen, aber was ist mit dem Leben innerhalb eines Jahres?", sagte Rachel Koven, Autorin und Patientenfürsprecherin am Queen's University Cancer Research Institute. "Abgesehen von der Möglichkeit einer vermehrten Anzahl von Tagen stellt sich die Frage, was einen 'guten' Tag oder einen gut gelebten Tag ausmacht, und ob sich die Behandlungsentscheidungen darauf auswirken. Auch wenn dies für jede Person anders sein mag, ist es unabhängig von der verwendeten Definition für alle von größter Bedeutung."

Insgesamt, so betonte Lee, ist es für Onkologen wichtig, die Patienten über die Ergebnisse von Studien zu informieren.

"Wir müssen mit den Patienten sprechen und ihnen sagen, dass ein Medikament zwar eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens, aber keinen Vorteil für das Gesamtüberleben gebracht hat. Das muss unbedingt in die Diskussion einbezogen werden, damit die Patienten ihre volle, informierte Zustimmung zu den Behandlungsoptionen geben können", sagte er.

Koven stimmt dem zu. "Wir müssen uns ständig um eine bessere Kommunikation zwischen Arzt und Patient bemühen, um sicherzustellen, dass unheilbar krebskranke Patienten evidenzbasierte Entscheidungen treffen können, die ihren individuellen Zielen, Präferenzen und Bedürfnissen entsprechen", sagte sie.

"Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Behandlungspläne mit bedeutsamen Endpunkten erstellt werden", so Koven gegenüber Medscape Medical News. "Behandlungen mit geringem Nutzen führen dazu, dass Patienten ihre Zeit im Krebszentrum statt mit Familie und Freunden verbringen."

Dieser Beitrag erschien im Original bei Medscape und wurde von Dr. Petra Kittner übersetzt.