Krebs-Kranke mit Schmerzen: Wie behandeln?

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Kernbotschaften

Viele Krebs-Kranke leiden an Tumorschmerzen, etwa infolge von Knochenmetastasen. Eine effiziente Analgetika-Therapie kann diese Schmerzen lindern. Empfehlungen dazu gibt es von der Weltgesundheitsorganisation und von Fachgesellschaften. In einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag erläutern Anke Mütherig und Ulrich S. Schuler von Palliativ-Zentrum des Universitätsklinikums in Dresden sowie Gesine Scheffler von der Klinik-Apotheke die Möglichkeiten der medikamentösen Schmerz-Therapie in der Onkologie. In dem Beitrag diskutieren sie unter anderem die abnehmende Bedeutung des WHO-Stufenschemas und Risiken von Nichtopioid-Analgetika.

WHO-Stufenschema: mehr Flexibilität möglich

Wie die Autorinnen und ihre Kollege erklären, wurde die WHO-Leitlinie mehrfach aktualisiert. 2018/2019 sei zuletzt eine Anpassung erfolgt, nach der das Stufenschema eine insgesamt etwas untergeordnete Rolle habe. So müssten nicht mehr zwangsläufig alle Stufen „durchlaufen“ werden, bei stärkeren Schmerzen könne auch mit einem Medikament der Stufe 3 begonnen werden.

Die Nichtopioid-Analgetika Paracetamol und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind nach weiteren Angaben der Autoren international die wesentlichen Substanzen der Stufe 1. Zu diesen Analgetika zählt auch Metamizol.

Wesentliche Empfehlungen zur Therapie mit Stufe-1-Wirkstoffen lauten:

  • Bei der Entscheidung für ein bestimmtes Analgetikum der Stufe 1 sollte stets die gesamte Medikation der Patienten berücksichtigt werden. So werde beispielsweise zur Vermeidung eines akuten Nierenversagens von der Kombination eines NSAR mit Diuretika und Hemmstoffen des Renin-Angiotensin-Systems abgeraten.
  • Bei der Kombination von NSAR mit Glukokortikoiden sollte zusätzlich ein Protonenpumpen-Hemmer verschrieben werden.
  • Viele Krebs-Kranke gehören zu der Altersgruppe an, in der auch die aktuell überarbeiteten Priscus-Empfehlungen zu potenziell inadäquaten Medikamenten zu beachten wären. Dort werde von Ibuprofen weitgehend abgeraten, Paracetamol hingegen werde empfohlen. Ob dies in der onkologischen Situation wirklich hilfreich sei, müsse jedoch hinterfragt werden, so Anke Mütherig und ihre Kollegen. So zeige eine aktuelle Studie erneut bestenfalls marginale Effekte von Paracetamol, wenn bereits ein Opioid gegeben werde. Zudem sei zu bedenken, dass einer Studie zufolge Paracetamol möglicherweise die Wirksamkeit von Therapien mit Checkpointinhibitoren massiv beeinträchtige.

Die Autoren wiesen auch darauf, dass die WHO seit 2015 von Paracetamol bei Beschwerden nach Impfungen abrate, „weil es auch dort Hinweise auf verminderte Immunreaktivität gäbe“. Für NSAR sei dies weniger genau untersucht, aber Hinweise auf ähnliche Effekte gebe es nicht.

Therapie mit Opioiden der Stufen 2 und 3

Zu den Analgetika der Stufe 2 gehören Tramadol, Codein und Tilidin, zu den Opioiden der Stufe3 Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl, Buprenorphin und Levomethadon. Seit Langem gilt laut den Autoren nicht mehr, dass nur bei Stufe-3-Analgetika ein BtM-Rezept erforderlich ist; so sei für nichtretardiertes Tilidin in Deutschland ein BtM-Rezept erforderlich, die rechtliche Einstufung von Tramadol sei international uneinheitlich.

Übereinstimmend werde heute in den Leitlinien der Einsatz der Stufe-2-Opioide hinterfragt, bzw. es würden niedrig dosierte Opioide der Stufe 3 analog zum Einsatz der Stufe 2 empfohlen, erklären die Autoren weiter. Dies führe dazu, dass mittlerweile niedrig dosierte Opioide der Stufe 3 (unterhalb von 30 mg oralem Morphinäquivalent) der Stufe 2 zugerechnet werden könnten. Grund für die Empfehlung seien Studien, die randomisiert keinen Vorteil für den Einsatz von Stufe-2-Wirkstoffen belegt hätten.  „Durchaus gängig“ sei demzufolge die Ersteinstellung eines opioidnaiven Patienten mit der niedrigsten möglichen Dosis eines retardierten Opioids der Stufe 3.

Von Codein als Analgetikum wird weiteren Angaben zufolge in der „Leitlinie Palliativmedizin“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften abgeraten, da es eine deutlich geringere Wirkung und starke Variabilität im Vergleich zu Tramadol und Tilidin/Naloxon habe. Aufgrund des in Deutschland häufigen Einsatzes von Tramadol und Tilidin/Naloxon seien diese Medikamente in die Empfehlungen der S3-Leitlinie Palliativmedizin aufgenommen worden, obgleich es es keine systematischen Daten zu Tilidin für die Wertung innerhalb der Leitlinie gebe und das Medikament in den internationalen Leitlinien in der Regel nicht erwähnt werde.

Der Großteil der Opioide muss mit BtM-Rezepten verordnet werden (Ausnahmen Tramadol, retardiertes Tilidin, Codein). Klinisch tätige Ärzte sollten laut Mütherig und ihren Mitautoren dabei zumindest Kenntnis über die entsprechenden Abschnitte des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) haben.

Die Auswahl und Dosis sollte sich orientieren an

  • Intensität und Qualität der Schmerzen
  • Art und Verabreichungsweg des Opioids
  • dem individuellen Patienten (Begleitmedikation, Alter, Vorerkrankungen, Vigilanz) sowie den Möglichkeiten der klinischen Therapiekontrolle 

Weitere Empfehlungen lauten:

  • Die Ersteinstellung und Titration könne prinzipiell durch orale, subkutane oder intravenöse Gaben erfolgen. Be einer kritischen Schmerzsituation mit einem Wert auf einer numerischen Rating-Skala von 6 oder mehr sei zur Ersteinstellung die parenterale, wenn möglich intravenöse Gabe zu empfehlen. 
  • Entscheide man sich für Morphin, seien als Einzeldosis (2,5–)5 mg (oder 0,1 mg/kg; analog für Hydromorphon etwa [0,5–]1 mg) ratsam. 
  • Bei unzureichender Wirkung sollte die Gabe nach Erreichen der Maximalkonzentration wiederholt werden. Bei intravenöser Gabe sei dies nach etwa 15 min der Fall. 
  • In einem weiteren Schritt könnte dann auch auf andere Opioide und Verabreichungswege umgestellt werden.
  • Bei jeder Neueinstellung, Umstellung oder Dosissteigerung müsse das Risiko einer Überdosierung gegen die jeweils mögliche Überwachung abgewogen werden. Bei intravenöser Titration sei in der Regel eine stationäre Überwachung zu empfehlen.

Methadon ist, wie die Autoren zudem erklären, in Deutschland nur zur Substitutionstherapie zugelassen. Als Fertigarzneimittel zur Schmerztherapie stehe Levomethadon zur Verfügung und könne als Alternative zu anderen Opioiden der Stufe 3 eingesetzt werden. Seine spezielle Pharmakokinetik und die lange und stark schwankende Halbwertszeit erschwerten jedoch die Dosiseinstellung, sodass Levomethadon nur von schmerztherapeutisch erfahrenen Ärzten eingesetzt werden sollte.

Begleitmedikation


Da Opioide unter anderem Obstipationen verursachen könnten, seien („mit leichter Präferenz") osmotische Laxanzien wie Macrogol zur Prophylaxe ratsam; „zum Abführen dürften stimulierende Laxanzien Vorteile“ haben. Wenn herkömmliche Maßnahmen nicht ausreichend wirkten, sollten peripher wirksame Opioid-Antagonisten wie Methylnaltrexon, Naldemedin oder Naloxegol in Betracht gezogen werden. Für opioidbedingte Übelkeit könne Haloperidol in niedrigster Dosierung (formal „off label“, Rote-Hand-Brief zur Indikation Übelkeit) bzw. Metoclopramid verwendet werden.