Klimawandel: Psychiater-Fachgesellschaft warnt vor den Folgen für die Psyche

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Kernbotschaften

Auf der UN-Klimakonferenz in Scharm El-Scheikh wurde diskutiert, wie die Folgen des Klimawandels gemildert werden können. Bislang fokussiert die Diskussion auf Umwelt, Lebensumstände und die körperliche Gesundheit der Menschen. Nicht minder dramatisch seien die Auswirkungen aber für die Psyche, betont die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Die DGPPN-Task-Force „Klima und Psyche“ hat erarbeitet, was über den Zusammenhang von Psyche und Klimawandel bekannt ist und fordert nun die politisch Verantwortlichen zum Handeln auf.

Schon die Beschäftigung mit dem Klimawandel kann belasten

Warnungen vor den Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit sind nicht neu: Schon 2017 wiesen zum Beispiel die Psychologin Dr. Maxie Bunz und der Psychiater Dr. Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt in Berlin im „Bundesgesundheitsblatt“ darauf hin, dass der Klimawandel nicht allein physische Schäden verursachen, sondern auch die Psyche belasten kann. Allein schon die Beschäftigung mit dem Thema Klimawandel, der ähnlich wie Terrorismus und Atomkrieg als Bedrohung wahrgenommen werde, löse Angst, Distress und Depressionen aus, insbesondere bei jungen Frauen mit hohem Umweltbewusstsein. Im englischsprachigen Raum werde auch von der „eco-anxiety gesprochen, also von der Angst aufgrund von drohenden Veränderungen der Umwelt.

So können laut Bunz und Mücke Naturkatastrophen zu posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) führen. Beispiel: In New Orleans hätten nach dem Hurrikan Katrina 2005 etwa 30 Prozent aller Befragten an einer PTBS gelitten - und zwar besonders Frauen, Unverheiratete, Menschen mit geringem Bildungsniveau und solche mit niedrigem sozioökonomischem Status. Auch in europäischen Studien seien nach extremen Wetterereignissen wie Überschwemmungen bei den Opfern vermehrt Symptome einer PTBS festgestellt worden; und auch hier seien Frauen und Menschen mit niedrigem Einkommen oder ohne Job häufiger betroffen gewesen. Große Hitze wiederum kann aggressives Verhalten auslösen, zu beobachten etwa am Arbeitsplatz, im Stadverkehr, auf den Autobahnen, in Schulen. Aggressionsfördernd seien auch Extremwetterereignisse wie Starkniederschläge.

Steigender Behandlungsbedarf befürchtet

Vermehrte Suizide bei Hitze, Posttraumatische Belastungsstörungen in Folge von extremen Wetterereignissen oder neue Syndrome wie Eco-Distress oder Solastalgie (die Trauer um verlorenen Lebensraum) – der Klimawandel gefährde die psychische Gesundheit, direkt und indirekt, betont nun auch die DGPPN und prognostiziert, dass der psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungsbedarf steigen werde; darauf müssten sich Psychiatrie und Psychiater einstellen. Bislang sei das Gesundheitssystem darauf nicht vorbereitet. 

Mit der „Berliner Erklärung zu Klimawandel und psychischer Gesundheit“ fordert die Fachgesellschaft die politisch Verantwortlichen auf, sofort tätig zu werden. Es müssten jetzt die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die psychiatrische Versorgung auch in der Klimakrise gewährleisten zu können, heißt es in einer Mitteilung der DGPPN. Gesundheitsförderung müsse in allen politischen Bereichen priorisiert und die seelische Gesundheit konsequent einbezogen werden. Das Gesundheitssystem müsse für den steigenden Bedarf gerüstet werden. Gleichzeitig verpflichten sich die in der Psychiatrie Tätigen, ihren Beitrag zur Bewältigung der enormen Herausforderungen zu leisten und die Psychiatrie nachhaltig und klimaneutral zu machen. Auch die DGPPN will eigenen Angaben zufolge  künftig noch konsequenter für die Klimaneutralität eintreten.

Als Handlungsleitfaden dient dabei ein neu erstelltes Positionspapier „Klima und Psyche“. Außer dem aktuellen Forschungsstand sind darin auch Checklisten und Materialsammlungen für Kliniken und Praxen zusammengestellt. „Die Psychiatrie als Disziplin kann so das ihrige tun, den Klimawandel und seine Folgen zu beeinflussen. Insbesondere aber können wir als Psychiater und Psychotherapeuten entscheidend dazu beitragen, dass die Bevölkerung den kommenden Belastungen psychisch stabil entgegentreten kann“, skizziert der Past President der DGPPN Andreas Heinz die Möglichkeiten der Psychiatrie. Der designierte DGPPN-Präsident Andreas Meyer-Lindenberg ergänzt: „Jede weitere Unterschrift unter der „Berliner Erklärung“ ist ein Zeichen dafür, dass die Psychiatrie Verantwortung für die Zukunft übernimmt.“ 

Hier die wichtigsten Standpunkte:

  • Der Klimawandel und die damit häufiger auftretenden Extremwetterereignisse wirken sich direkt negativ auf die psychische Gesundheit aus. Naturkatastrophen gehen insbesondere mit einem Anstieg von Depressionen, Angst- und Traumafolgestörungen einher.
  • Indirekte Folgen des Klimawandels wie Nahrungsmittelknappheit, ökonomische Krisen, gewaltvolle Konflikte und unfreiwillige Migration stellen zusätzlich massive psychische Risiko- und Belastungsfaktoren dar.
  • Klimaangst und Solastalgie, die Trauer um verlorenen Lebensraum, sind neue psychische Syndrome angesichts der existenziellen Bedrohung durch die Klimakrise.
  • Eine nachhaltige Psychiatrie muss sich dementsprechend auf steigenden und veränderten Bedarf einstellen.
  • Psychiatrische Behandlungsprinzipien müssen die Prävention stärker in den Blick nehmen, um das Versorgungssystem insgesamt zu entlasten.
  • Ressourcenverschwendung und CO2-Ausstoß in psychiatrischem Behandlungsablauf sowie Infrastruktur müssen wahrgenommen und verhindert werden.
  • Psychiatrische Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepte sollen um die Thematik des Klima- wandels erweitert werden, um Fachkräfte, Betroffene und Öffentlichkeit umfassend zu informieren, zu sensibilisieren und zu klimafreundlichem und gesundheitsförderlichem Verhalten anzuregen.
  • Die Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit müssen tiefergehend erforscht werden.