Kindesmissbrauch: Die subjektive Erfahrung wiegt besonders schwer

  • Michael Simm
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

In einer Studie im US-amerikanischen mittleren Westen war die Assoziation zwischen Kindesmissbrauch und emotionalen Störungen im späteren Leben am stärksten ausgeprägt, wenn der Missbrauch sowohl subjektiv als auch objektiv anhand von Gerichtsdaten erfasst wurde. Depressionen und Angststörungen traten dann mehr als doppelt so häufig wie in einer Kontrollgruppe auf. Bei ausschließlich subjektiv gemessenem Missbrauch waren diese Krankheiten ca. 50 % häufiger, bei Kindern mit lediglich objektiven Daten war der Zusammenhang nicht mehr signifikant.

Hintergrund

Kindesmisshandlung ist assoziiert mit dem ungünstigen Verlauf von Gefühlskrankheiten. Wie beides zusammenhängt, und welche Ursachen und Mechanismen dabei eine Rolle spielen, ist den Autoren der aktuellen Studie zufolge jedoch unbekannt.

Design

Prospektive Kohortenstudie mit 1196 Individuen aus einem städtischen Bezirk im US-amerikanischen mittleren Westen für die es bestätigte Aufzeichnungen zu körperlichem und sexuellem Missbrauch und/oder Vernachlässigung aus den Jahren 1967 bis 1971 gab, oder die einer Kontrollgruppe mit demographisch ähnlichen Daten angehörten. Erfasst wurde sowohl die objektive Erfahrung des Missbrauchs vor dem Alter von 12 Jahren anhand offizieller Gerichtsdokumente als auch die subjektive Erfahrung via retrospektiven Selbstberichten im Alter von durchschnittlich 29 Jahren. Ebenfalls im Alter von durchschnittlich 29 Jahren wurde die aktuelle und vorherige Psychopathologie erhoben, und die obigen Daten dann den Symptomen einer Depression oder Angststörung gegenübergestellt, die im Alter von durchschnittlich 39,5 bzw. 41,2 Jahren erfasst wurden.

Ergebnisse

  • Bei einer Nachverfolgungszeit bis zum Alter von 40 Jahren hatten diejenigen mit sowohl objektiv als auch subjektiv erfasstem Kindesmissbrauch eine höhere Zahl nachfolgender Phasen mit einer Depression oder Angststörung. Das Inzidenzratenverhältnis im Vergleich zur Kontrollgruppe betrug für Depressionen 2,28 (95%-Konfidenzintervall 1,65 – 3,15) und für Angststörungen 2,30 (95%-KI 1,54 – 3,42).
  • Studienteilnehmer, für die ausschließlich subjektive Missbrauchsdaten vorlagen, hatten ebenfalls eine erhöhte Rate von Depressionen (IRR 1,49; 95%-KI 1,02 – 2,18) und Angststörungen (IRR 1,58; 95%-KI 0,99 – 2,52).
  • Im Gegensatz dazu hatten Teilnehmer mit ausschließlich objektiv erhobenem Missbrauch in der Nachverfolgung keine signifikant höheren Raten an Depressionen (IRR 1,37; 95%-KI 0,89 – 2,11) oder Angststörungen (IRR 1,40; 95%-KI 0,84 – 2,31).
  • Die zum Zeitpunkt der subjektiven Missbrauchserfahrung erhobene punktuelle und Lebenszeit- Psychopathologie erklärte die Assoziation mit späteren emotionalen Störungen nur bei Teilnehmern mit ausschließlich subjektivem Missbrauch, nicht aber bei jenen mit sowohl subjektiven als auch objektiven Daten.

Klinische Bedeutung

Die Assoziation zwischen Kindesmissbrauch und einem schlechten Verlauf emotionaler Störungen in der folgenden Dekade ist weitgehend auf die subjektive Erfahrung der Betroffenen zurückzuführen. Die Modifikation dieser subjektiven Erfahrung könne deshalb womöglich den langfristigen Verlauf verbessern, meinen die Forscher. 

Finanzierung: National Institute of Justice, National Institute of Mental Health, Eunice Kennedy Shriver National Institute of Child Health and Human Development, National Institute on Drug Abuse,National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism u.a.