IT-Wahnsinn - Schwamm drüber?
- Presseagentur Gesundheit (pag)
- Im Diskurs
Digitalisierung habe für ihn Top-Priorität sagt Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach vor den Delegierten des Hausärztetages in Berlin am 15. September. Er wolle die Hausärzte bei der Entwicklung der Strategie mit einbeziehen. Wenige Tage zuvor gibt sein Ministerium den Startschuss für die Suche nach einer Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen. Dabei sind einige Digitalisierungsprojekte wie die elektronische Patientenakte (ePA) schon 20 Jahre in der Mache.
Die für Digitalisierung zuständige Abteilungsleiterin im Bundesgesundheitsministerium (BMG), Dr. Susanne Ozegowski, ist es gewohnt, ein „zynisches Lächeln“ zu ernten. „Schwamm drüber“, fordert sie, und meint „alles, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht so gut gelaufen ist“. Man müsse das Projekt jetzt gemeinsam auf den Weg bringen. Das Ministerium habe sich dagegen entschieden, selbst eine Strategie zu Papier zu bringen, man wolle stattdessen einen "partizipativen Prozess" einleiten. Im Rahmen dessen habe man bereits Experteninterviews geführt, bis Ende des Monats können Verbände via Online-Fragebogen ihren Input geben. Es folgen Auswertung sowie Austausch in Fachforen. Bis Frühjahr nächsten Jahres soll die Strategie stehen. Die Bundesregierung hat bereits im Vorfeld ihre ressortübergreifende Digitalstrategie erörtert. Die großen Ziele: ePA und E-Rezept werden Versorgungsstandard und Deutschland Digital-Health-Vorreiter. Diese Ziele ehrgeizig zu nennen, wäre noch untertrieben. Der Deutsche Hausärzteverband spricht von einer "never ending Horrorstory Telematikinfrastruktur", wenn er an den Konnektorenaustausch denkt und geißelt die Kommunikation der gematik als "katastrophal". Die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen könnten sich nicht „den ganzen Tag mit dem IT-Wahnsinn im Gesundheitswesen beschäftigen". Nach „Schwamm drüber" klingt das nicht gerade.
Digitalisierung ist nicht da, wo sie sein sollte
„Wir wollen diesen Prozess mit Ihnen steuern“, sagt Ozegowskis Chef, Prof. Karl Lauterbach, in Richtung des anwesenden Fachpublikums. Dazu wolle man „ohne Vorbehalte nochmal zusammenkommen“. Das BMG sei auch bereit, „Pfade, die wir schon eingeschlagen haben, noch einmal zu verlassen – wenn es dafür gute Gründe gibt“. Gute Digitalisierung mache Dinge besser, sagt der Gesundheitsminister. Bei den aktuellen Anwendungen sei dies aber nicht immer der Fall. Das E-Rezept „ist noch nicht da, wo es sein muss“, konstatiert er. „Der unmittelbare Nutzen ist noch nicht greifbar“, weshalb die Proteste „nicht ganz unberechtigt“ seien.
Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, schlägt in dieselbe Kerbe. Im Moment führe die Digitalisierung bei Pflegekräften hauptsächlich zu doppelter Arbeit. „Der Effekt, dass Digitalisierung hilft, ist bisher noch nicht da.“
Best practice aus Israel
Vorbild für die Digitalisierungsbemühungen sind Länder wie Dänemark und Israel. In Letzterem ist man schon weit über das Sammeln und Teilen von Gesundheitsdaten hinaus, berichtet Prof. Ran Balicer, der bei der israelischen Gesellschaft für Qualität im Gesundheitswesen die Innovationen verantwortet. Künstliche Intelligenz unterstütze beim Aufbau eines prädiktiven und proaktiven Gesundheitssystems.
Wenige Tage später reist Lauterbach selbst nach Israel, um sich vor Ort Erfolgsmodelle anzuschauen. Am 11. September unterzeichnen er und sein israelischer Amtskollege Nitzan Horowitz eine gemeinsame Erklärung, um die Kooperation im Gesundheitsbereich voranzutreiben.
ePA: Opt-Out-Lösung zwingend erforderlich
Insbesondere von Digital Twins erhofft sich der deutsche Minister eine Verbesserung der Versorgung und Forschung. Sein Traum sei es, mittels ePA solche digitalen Doppelgänger zu erzeugen, mit denen man dann Studien durchführen könne. Dazu sei es zwingend erforderlich, dass die ePA eine Opt-out Lösung erhalte. Darauf habe er sich bereits mit der gematik verständigt. Apropos: Deren Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken gehört seltsamerweise nicht zur Israel-Delegation. „Schade, dass Sie die gematik gerade zu dieser Reise mit Fokus auf Digitalisierung nicht mitgenommen haben“, twittert er enttäuscht in Richtung Lauterbach. Und man möchte hinzufügen: Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte war nicht mit dabei.
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