Ist ein Omikron-Impfstoff unbedingt notwendig?
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Von Nadine Eckert
Pharmaunternehmen arbeiten bereits an der Omikron-Variante von SARS-CoV-2 angepassten Impfstoffen. Aktuell haben BioNTech/Pfizer und auch Moderna den Start entsprechender Studien angekündigt. Wie dringend brauchen wir diese Vakzine? Experten sehen durchaus auch einen Ausweg aus der Pandemie mit den bereits verfügbaren Vakzinen – vorausgesetzt, es kommt zum 3-maligen Kontakt mit dem Antigen.
Neutralisationsassays mit dem Serum von Geimpften und Infizierten aus früheren Wellen zeigen nämlich: „Hatte man mehrfach Kontakt zum Antigen, zum Beispiel nach 3 Impfungen oder nach 2 Impfungen und einer Durchbruchinfektion, dann wird die Immunantwort immer breiter und ist in der Lage, auch neuere Varianten wie Omikron zu erkennen“, erklärte die Virologin Prof. Dr. Ulrike Protzer bei einer Veranstaltung des Science Media Center.
Die T-Zell-Antwort nicht vergessen!
Die Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität München und am Helmholtz Zentrum München erinnerte außerdem daran, dass Infektion und Impfung nicht nur eine Antikörperantwort auslösen: „Schaut man sich die T-Zell-Antworten an, ist festzustellen, dass diese zwischen den verschiedenen Virusvarianten deutlich besser konserviert sind als die Antikörper-Antworten.“
In einer kürzlich als Preprint erschienenen Studie zeigte die Arbeitsgruppe um Protzer außerdem, dass es nicht nur zu einer Verbreiterung der Antikörper-Antwort kommt, sondern auch zu qualitativ hochwertigeren Antikörpern. „Nach dem 3. Kontakt mit dem Antigen war eine deutlich erhöhte Avidität der Antikörper zu beobachten“, so Protzer.
Schutz vor schweren Verläufen trotz Immun-Escape
Dennoch: Omikron weist Mutationen auf, die dem Virus einen Immun-Escape ermöglichen – es kann Geimpfte und Ungeimpfte infizieren. Allerdings „schützen 3 Impfungen weiterhin sehr, sehr gut vor schweren Krankheitsverläufen, die zur Krankenhauseinweisung oder gar zum Tod führen“, wie Prof. Dr. Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung, Charité – Universitätsmedizin Berlin, betonte.
Dass sich die Antikörperantwort nach dreimaligem Kontakt mit dem Antigen verbreitere, sei für den weiteren Verlauf der Pandemie eine „sehr, sehr gute Nachricht“, so Sander, denn immunologisch gesehen hätte das nicht unbedingt so sein müssen.
Keine „Antigen-Erbsünde“ beim wiederholten Boostern
„Es gibt ein logisches Konzept, dass sich die Antigen-Erbsünde nennt“, erklärt der Berliner Infektionsimmunologe. Demnach kann der wiederholte Kontakt mit einem Antigen auch dazu führen, dass das Immunsystem immer besser darin wird, genau diese Antigenstruktur zu adressieren. Es bildet nur noch Antikörper, die exakt dieses Antigen besonders gut binden – aber keine leicht veränderten Antigene. „Das ist aber nicht aufgetreten“, hob Sander hervor. Stattdessen verbreitere sich die Antikörper-Antwort, und durch wiederholten Antigenkontakt erhalte man eine qualitativ veränderte Immunantwort.
Adaptierte Impfstoffe für Risikogruppen
Dennoch sieht Sander durchaus einen Sinn in der Entwicklung von Omikron-adaptierten Corona-Impfstoffen. „Patienten, die Risikogruppen angehören und ein inhärent höheres Risiko für schwere Verläufe und eine schwächere Impfantwort haben, könnten von einem angepassten Impfstoff profitieren“, meinte er.
PEI verspricht schnelle Zulassung
Allerdings: Käme ein auf Omikron angepasster Impfstoff bei dem derzeitigen Tempo des Infektionsgeschehens überhaupt noch rechtzeitig? Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), betonte, dass die für eine Zulassung erforderlichen Daten der Impfstoffhersteller im 2. Quartal dieses Jahres vorliegen werden. Der Zulassungsprozess für die angepassten Impfstoffe werde dann eine einfachere Variation der ursprünglichen Zulassung sein.
Die sei, so Cichutek, möglich, da die Variantenimpfstoffe im Grunde auf dem Impfstoffkonzept der bereits zugelassenen Impfstoffe beruhten. „Es ist nur eine kleinere weitere klinische Prüfung nötig, bei der dargestellt werden muss, dass die Immunantwort gegenüber der neuen Variante äquivalent ist zur Immunantwort, die der alte Impfstoff gegenüber der parentalen Variante ausgelöst hatte.“
„Kommunikationsfehler“ zur vollständigen Immunisierung?
Für Menschen, die bereits eine 3. Corona-Impfung erhalten haben, kämen Omikron-adaptierte Impfstoffe nur für eine Viertimpfung infrage. Doch sich in möglicherweise immer kleiner werdenden Abständen wiederholt gegen Corona impfen zu lassen, empfinden viele als frustrierend.
„Ich glaube, wir haben am Anfang ein bisschen einen Kommunikationsfehler begangen, indem wir die zweifache Impfung schon als vollständige Impfung bezeichnet haben“, erklärte Protzer. Das habe in der Bevölkerung zu Verwirrung geführt. Tatsächlich gebe es viele Impfstoffe, bei denen der zweimalige Kontakt mit dem Antigen nicht ausreiche, etwa Tetanus, Polio, Keuchhusten und Hepatitis B.
Sander: Viertimpfungen nur in Ausnahmefällen
Einigkeit herrschte bei den Experten allerdings dahingehend, dass drei Impfungen einen sehr guten Schutz bieten. „Von Viertimpfungen halte ich aktuell relativ wenig“, sagte etwa Sander. Ausnahmen könne es hier bei Immunsupprimierten und Hochrisikopatienten geben. Das seien dann aber immer individuelle ärztliche Entscheidungen und „nichts, was man der allgemeinen Bevölkerung empfehlen sollte. Ich glaube, mit drei Impfungen ist man super geschützt“. Und auch Cichutek betonte, dass eine gewisse Grundimmunisierung erst einmal gut sei, „wir werden dann aber möglicherweise zu einem Stadium kommen, in dem wir periodische Auffrischungsimpfungen brauchen“.
PEI-Präsident Cichutek: Periodische Auffrischungen
Für diese periodischen Auffrischungen seien mittel- bis langfristig gedacht Variantenimpfstoffe denkbar, die eine breitere Abdeckung anderer Varianten ermöglichen, so der PEI-Präsident. „Es gibt eine ganze Reihe von Mutationen, die sich auch zwischen verschiedenen Corona-Varianten wiederholen und die möglicherweise adressiert werden sollten.“
Natürliche Boosterung möglicherweise ausreichend
Sander dagegen geht davon aus, dass nach der Drittimpfung weitere Boosterungen auf natürlichem Weg erfolgen werden: „Wir werden uns durch wiederholten natürlichen Antigenkontakt mit zirkulierenden Viren boostern.“
Ob dieser Booster-Effekt durch eine Durchbruchinfektion mit geringen Symptomen allerdings auch für ältere Menschen ausreichen werde, müsse genau im Auge behalten werden, betonte Sander. Bei ihnen kann sich auch Sander regelmäßige Auffrischungsimpfungen, vielleicht auch mit multivalenten oder angepassten Impfstoffen vorstellen.
Aktuelle Immunitätslücke „ist das größere Problem“
Auch Sander will nicht völlig ausschließen, dass auch in der Allgemeinbevölkerung noch eine weitere Runde Auffrischungsimpfungen notwendig werden könnte – dafür reichten die Daten bislang nicht aus. Er lenkte die Aufmerksamkeit aber auf die „aktuell noch immer viel zu hohe Immunitätslücke in der Bevölkerung“. Bei vielen Menschen müsse das Stadium der Grundimmunität mit 3 Impfungen erst noch erreicht werden, „das ist das größere Problem“.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Medscape.de.
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