Intensivmediziner: Corona-Impfstatus darf nicht Grundlage einer Therapieentscheidung sein

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin hat zu dem Problem der Bedeutung des Corona-Impfstatus für Behandlungsentscheidungen Stellung bezogen.

 

Angesichts steigender Zahlen von COVID-19-Patienten auf deutschen Intensivstationen (1.363 Patienten, davon 58% beatmet, Stand 01.10.2021) und der sich abzeichnenden Zunahme dieser Patienten in den kommenden Wochen, bestehen nach Angaben der Fachgesellschaft bei den Mitarbeitern in den Krankenhäusern erhebliche Sorgen und Ängste vor einer erneuten zunehmenden Belastung und Überlastung. Die seit Ende 2020 verfügbaren Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 und die Impfkampagne erzielten bereits deutliche Effekte: Es wurden nach Berechnungen des Robert Koch-Instituts mehr als 75.000 stationäre und fast 20.000 intensivmedizinische Fälle sowie mehr als 38.000 Sterbefälle verhindert. 

Vor diesem Hintergrund mache sich Unmut bis hin zur Verärgerung unter den Mitarbeitern in den Krankenhäusern und vor allem auf Intensivstationen breit, klagen die Autoren. Die überwiegende Mehrheit der aktuell wegen COVID-19 behandelten Patienten auf den Intensivstationen ist nach Angaben des RKI ungeimpft. Angesichts des freien Zugangs zur Impfung gegen SARS-CoV-2 könnten somit viele der derzeit schweren Krankheitsverläufe im Gegensatz zum vergangenen Jahr verhindert werden. 

Der DGIIN ist es laut der Stellungnahme sehr wohl bewusst, dass im zweiten Jahr der Pandemie und angesichts der Möglichkeit eines wirksamen Schutzes durch die Impfung einzelne Mitglieder eines Behandlungsteams bei der Therapie eines ungeimpften Patienten nachvollziehbar stark emotional belastet seien und körperlich beansprucht würden. Im Rahmen von regelmäßigen Teambesprechungen sollten daher solche Aspekte offen angesprochen, diskutiert und ggf. Hilfsangebote organisiert werden.

Der Impfstatus dürfe allerdings bei Behandlungsentscheidungen sowohl bei der Aufnahme in das Krankenhaus, auf die Intensivstation und im Verlauf einer Therapie und Pflege keine Rolle spielen. Soziale Merkmale, das kalendarische Alter, Religionen, Grunderkrankungen oder Behinderungen, aber auch persönliche Hintergründe und Haltungen der Patienten dürften auf Grund des Gleichheitsgebots keinen Einfluss auf die Entscheidungen im Behandlungsverlauf von Patienten mit und ohne COVID-19 nehmen. Hier seien allein die medizinische Indikation und ein sinnvolles patientenzentriertes Therapieziel die Grundlage der Entscheidung. Dieses gelte auch und explizit für den derzeit unwahrscheinlichen Fall eingeschränkter bis nicht mehr vorhandener Ressourcen bei einer Überlastung des Gesundheitssystems.

In diesem Zusammenhang verweist die DGIIN darauf, dass es viele Risikokonstellationen gibt, die auf Grund der persönlichen Haltung und Lebenseinstellungen der jeweiligen Personen schwerwiegende Krankheitsverläufe nach sich ziehen können. Dazu zählten u.a. Raucher, adipöse Patienten, die Ausübung von risikobehafteten Sportarten oder chronischer Substanzabusus. Menschen mit sich daraus ergebenden Erkrankungen werden ebenfalls ohne jegliche Einschränkung behandelt, sofern ein sinnvolles Therapieziel besteht. Das gesamte Gesundheitssystem und insbesondere die gesetzliche Krankenversicherung bauen auf ein Solidaritätssystem auf. Zwar sind die Versicherten laut Sozialgesetzbuch für ihre Gesundheit mitverantwortlich. „Sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden“. Das bedeute aber keinesfalls ein Verursacher- oder gar ein Schuldprinzip einzubauen. Ob geimpft oder umgeimpft: Alle Patienten erhalten bei entsprechender Indikation die gleiche Behandlung und Pflege. Immer ist das ethische Grundprinzip der „Gerechtigkeit“ (Gleichheit, „justice“) leitend: Gleiche Fälle müssen gleich behandelt werden.

Das ärztliche Gelöbnis des Weltärztebundes („Deklaration von Genf“) aus dem Jahr 2017, aber auch der ICN-Ethikkodex für Pflegende muss als Grundlage unserer Haltung beachtet und umgesetzt werden: „Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.“ Diese rote Linie medizinisch ethischen Handelns dürfe niemals überschritten werden.