Insomnische Symptome: frühzeitige Therapie eine mögliche Suizid-Prävention

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Kernbotschaften

Insomnische Symptome wie eine verkürzte Schlafdauer und Einschlafstörungen sollten bei suizidalen Patienten frühzeitig behandelt werden, empfehlen die Psychiater Dr. Dirk Schwerthöffer und Professor Hans Förstl von der TU München. Als Medikation seien schlaffördernde Antidepressiva mit niedriger Toxizität und Antipsychotika vorzuziehen.

Über 9000 Suizide pro Jahr

In Deutschland sterben laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention jährlich etwa 9200 Menschen durch Suizid. Das seien mehr Menschen, als im Verkehr (ca. 3000), durch Drogen (ca. 1500) und an AIDS (ca. 270) stürben (Statistisches Bundesamt 2020). Die Zahl der Suizidversuche sei schätzungsweise 15– bis 20–mal so hoch. Zwei von drei Suiziden würden von Männern verübt. Insbesondere ältere Männer hätten ein erhöhtes Risiko. Bei den Suizidversuchen seien hingegen junge Frauen gefährdet. Die meisten Menschen, die durch Suizid sterben, haben nach weiteren Angaben der Stiftung an einer psychiatrischen Erkrankung gelitten (90 %), am häufigsten an einer Depression (> 50 %). 

Insomnische Symptome ein unabhängiger Risikofaktor

Mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden sind außerdem Schizophrenie und Suchterkrankungen sowie insomnische Symptome. Wie Schwerthöffer und Förstl berichten, werden die Begriffe „Insomnie“, „insomnische Symptomen“, „insomnische Schlafstörungen“, „Schlaflosigkeit“ und „symptomatische Schlaflosigkeit“ oft nur unscharf voneinander abgegrenzt. Insomnische Symptome müssten jedoch von einer „Insomnie“ abgegrenzt werden. Zu den  Diagnosekritierien für eine Insomnie zählten außer Ein-, Durchschlafstörungen und Früherwachen von entsprechender Dauer und Häufigkeit auch das subjektive Empfinden einer Schlafstörung mit gestörtem Wohlbefinden am Tage (International Classification of Sleep Disorders). 

Epidemiologische Daten weisen nach Angaben der Psychiater darauf hin, dass insomnische Symptome  ein unabhängigen Risikofaktor für Suizidalität sind, wobei sie die Suizidalität direkt oder indirekt (etwa über die Verstärkung einer Depression) beeinflussen könnten. Dies bedeutet, dass schlaftherapeutischr Maßnahmen wie die Kognitive Verhaltenstherapie der Insomnie als auch eine schlaffördernde Pharmakotherapie eine vom antidepressiven Effekt unabhängige, antisuizidale Wirkung haben können.

Wie wird behandelt?

Die primäre Behandlung von Patienten mit insomnischen Symptomen erfolge mittels Schlafhygiene, kognitiver Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie. Für die Wahl der geeigneten Therapiemethode sei es aufschlussreich, „wie Patienten mit kombinierten insomnischen Symptomen und Suizidalität Schlaf und Lebensüberdruss in Verbindung bringen“, erklären die Psychiater. So hätten in einer Studie viele Teilnehmer nächtliche Schlaflosigkeit als „riskant“ bezeichnet, da sie dann weder ihre Familie noch ihre Freunde erreichen könnten. Schlaf werde auch von vielen Befragten als Alternative zu einem Suizid angesehen, indem er die Möglichkeit biete „den Problemen des Alltags zu entkommen“. Viele Patienten erklärten Suizidversuche auch durch einen „Wunsch nach Ruhe“. Oft begegneten sie diesem Wunsch bereits frühzeitig durch dysfunktionales Verhalten, etwa Schlafperioden tagsüber oder besonders frühe Bettzeiten, wodurch es aber nur zu einer Verstärkung des „insomnischen Teufelskreises“ mit vermehrtem Wachliegen, Grübeln, steigender Anspannung und Suizidalität komme.

  • Schlafhygienische Maßnahmen und Psychoedukation könnten, wie die Autoren weiter erläutern, die Schlafqualität fördern, indem sie Schlafdauer, Schlafzeitpunkt, Schlafumgebung und körperliche Aktivität positiv beeinflussten; sie wirkten auch auf komorbide depressiv-suizidale Symptome. 
  • Eine kognitive Verhaltenstherapie könne zugleich mit Suizidalität assoziierte Faktoren wie Grübelneigung oder Verzweiflung identifizieren und behandeln und die Schlafqualität verbessern.
  • Aktuelle standardisierte, verhaltenstherapeutische Interventionen für Patienten nach einem Suizidversuch enthalten laut Schwerthöffer und Förstl Maßnahmen, um den Schlaf zu verbessern; auch Internet-basierte Psychotherapie-Verfahren könnten bei kombinierter Insomnie und Suizidalität wirksam sein. 

Die optimale Pharmakotherapie für Patienten mit insomnischen Symptomen und komorbider Suizidalität sollte gleichermaßen die Schlafqualität verbessern und suizidale Symptome sofort vermindern. Eine mögliche antisuizidale Wirkung einer solchen Behandlung müsse aber gegen das Risiko der bekannten Häufung von Suiziden bei regelmäßigem Hypnotika-Gebrauch und vereinzelten Berichten über Suizidalität unter Psychopharmaka abgewogen werden. 

  • Benzodiazepine und Benzodiazepin-Agonisten könnten besonders bei Pa- tienten mit schwerer Insomnie und Suizidgedanken antisuizidal wirksam sein. Das bekannte Problem: Sie hätten auch ein relevantes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential, seien mit einer bis zu vierfach erhöhten Mortalität assoziiert und könnten auch in suizidaler Absicht überdosiert werden. 
  • Vorteilhafter seien „schlaffördernde Antidepressiva aufgrund ihres fehlenden Missbrauchs- und Abhängigkeitspotentials, ihrer klaren Indikation bei depressiven Störungen und Hinweisen für ihre antisuizidale Wirkung bei Patienten mit kombinierter insomnischer und suizidaler Symptomatik." Dabei wirkten einzelne schlaffördernde Antidepressiva (zum Beispiel Mirtazapin, Trazodon oder Doxepin) sehr unterschiedlich auf die Schlafarchitektur und würden bei insomnischen Symptomen auch häufig in niedriger Dosis verordnet. Sie würden aber in aktuellen Insomnie-Leitlinien nur eingeschränkt für die Pharmakotherapie der Insomnie empfohlen. 
  • Die Verordnung sedierender Antipsychotika,wie Quetiapin zum Schlafanstoß sei weit verbreitet und scheine ebenfalls insomnische und komorbide depressive Symptome lindern zu können. Zudem gebe es für einzelne Antipsychotika Hinweise auf ihren antisuizidalen Effekt mit und ohne komorbider Insomnie.