Impfbereitschaft: Vorhersage ein Weg zu höheren Impfquoten?

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

In vielen Ländern einschließlich Deutschland ist die Impfquote eher niedrig. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Tania Lincoln von der Universität Hamburg hat untersucht, welche Faktoren für die Impfbereitschaft ausschlagend sind und daraus ein Modell entwickelt, mit dem die Impfbereitschaft vorhergesagt werden kann. Den Wissenschaftlern zufolge könnte das Vorhersage-Modell dabei helfen, gezielte Maßnahmen für die Steigerung der Impfbereitschaft bei verschiedenen Zielgruppen zu erarbeiten. Die Forschungs-Ergebnisse sind im Fachjournal „Scientific Reports“ veröffentlicht.

Ein globales Problem mit vielen Ursachen

Weltweit gibt es Menschen, die am Nutzen von Impfungen zweifeln oder den potenziell lebensrettenden Piks verweigern. Um die Gründe für eine Impfbereitschaft oder Impfskepsis besser zu verstehen, wurden seit Beginn der Corona-Impfungen bereits verschiedene Studien durchgeführt, die vor allem soziodemografische Faktoren wie Alter, Geschlecht und Bildungsstand untersucht haben. Eine besonders verbreitete Ursache ist offenbar ein Mangel an Vertrauen - in die politischen Eliten, in Wissenschaftler und ihre Institutionen, in Medien, und in die pharmazeutische Industrie. 

Querschnittstudie mit 2510 Erwachsenen 

Die aktuelle, multinationale Studie konzentriert sich laut einer Mitteilung  explizit auf die statistische Erfassung von Konstrukten aus der Psychologie, zum Beispiel Ängste und Misstrauen, aber auch negative Annahmen über die eigene Stellung in der Gesellschaft. Im Februar und März 2021 wurden dafür in einer Querschnittstudie 2510 Erwachsene in Deutschland, Australien, Hongkong, Großbritannien und den USA befragt. Das Durchschnittsalter betrug, je nach Land, rund 40 bis 47 Jahre, das Verhältnis der Geschlechter war ausgewogen (etwa 1 zu 1).

In Verbindung mit der Frage, ob ein Impfangebot angenommen werden würde, wurden außer Alter, Geschlecht und Bildungsstand mehrere weitere Variablen erhoben. Hierzu gehörten unter anderen Angaben zur politischen Einstellung, zu den genutzten Medien und zur wahrgenommenen Bedrohung durch Corona. Auch die Haltung zu verschiedenen Aussagen über Corona-Verschwörungstheorien wurde abgefragt, zudem verschiede Ausprägungen von Misstrauen gegenüber anderen Menschen und der Politik. Für jede der Variablen wurde ein prädiktiver Wert bestimmt, also ihre Aussagekraft bei der Vorhersage von Impfbereitschaft oder -skepsis.

Identifizierung von Impfskeptikern und gezielte Ansprache

„Eines unserer Hauptziele war es, mit wenigen Informationen über eine Person möglichst präzise impfskeptische Menschen zu identifizieren und so eine gezielte Ansprache zu ermöglichen“, erklärt Tania Lincoln, Leiterin des Arbeitsbereichs Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Hamburg. Daher leiteten die Psychologin und ihre Mitautoren aus den erhobenen Werten einen Algorithmus ab, der nach ihren Angaben eine Impfbereitschaft mit einer deutlich höheren Genauigkeit vorhersagen kann als bisherige Studien.

Relevante Variablen: Misstrauen, Verschwörungsmentalität, Angst

Einige Variablen wirkten in den verschiedenen Ländern unterschiedlich stark: In den USA zeigten zum Beispiel Menschen, die in größeren Städten leben, weniger Impfskepsis. Und während in den meisten Ländern eine eher rechte politische Orientierung mit mehr Impfskepsis verbunden war, waren in Hongkong Menschen mit politisch rechter Orientierung eher impfbereit. „Uns ging es aber vor allem darum, Variablen zu identifizieren, die länderübergreifend gleichermaßen negativ auf die Impfbereitschaft wirken“, so Lincoln in der Mitteilung. Das zeigte sich in der Befragung unter anderem für ein allgemein großes Misstrauen, eine generelle Verschwörungsmentalität, aber auch für eine als gering wahrgenommene Stellung in der Gesellschaft. Einen signifikant positiven Einfluss auf die Impfbereitschaft konnten die Forscher für alle Länder – mit Ausnahme von Hongkong – etwa für eine große Angst vor einer COVID-19-Infektion nachweisen. 

Insgesamt gaben nur 57,4 Prozent aller Befragten an, sich sicher oder wahrscheinlich impfen zu lassen. Die niedrige Rate könnte nach Angaben der Autoren darauf zurückzuführen sein, dass die Nebenwirkungen von Impfstoffen während des Bewertungszeitraums in den Medien viel Aufmerksamkeit erregten und die Fehlinformationen über Impfungen im Internet stark zunahmen. Allerdings müssten die Unterschiede zwischen den Ländern berücksichtigt werden: In Übereinstimmung mit zwei vorangegangenen multinationalen Studien sei die von ihnen festgestellte Impfbereitschaft im Vereinigten Königreich vergleichsweise hoch, in den USA und Deutschland hingegen niedriger.

Individuelle Erfahrungen, institutionelle Fehlleistungen, Korruption

Zusammenfassend stellten die Forscher fest, dass sie mit nur zwölf Variablen eine Vorhersagegenauigkeit von 82 Prozent bei der Impfzurückhaltung erreichen konnten; die wichtigsten Faktoren waren dabei der Glaube an eine Impfverschwörung und das mangelnde Vertrauen in Regierungen, Unternehmen und Organisationen im Umgang mit der Pandemie. Die Gründe für diese Art von gesellschaftlichem Misstrauen seien vielfältig, berichten die Wissenschaftler; es habe sich allerdings gezeigt, dass die Gründe sowohl individuelle gesellschaftliche Erfahrungen, etwa sozialen Abstieg, als auch die Wahrnehmung vergangener und gegenwärtiger institutioneller Fehlleistungen umfassten. Denn Institutionen, die, wie die Forscher weiter erklären, keine guten Leistungen erbringen, sei es durch Inkompetenz oder Fehlverhalten und Korruption der Elite, wecken in der Regel Misstrauen.

Öffentliche Informationen über Impfstoffe müssten dieses Misstrauen berücksichtigen, empfehlen die Wissenschaftler. Dies könnte dadurch geschehen, dass Informationen über die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs in einer Weise bereitgestellt würden, die es den Empfängern ermögliche, sich selbst ein Urteil über ihre Gültigkeit zu bilden; zudem müssten Informationskampagnen durch Maßnahmen ergänzt werden, die darauf abzielten, das Vertrauen der Menschen in Politik, Industrie, Wissenschaft und Ärzteschaft wiederherzustellen.