Im Fokus: Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen beschnitten sind. Allein in Deutschland hat sich die Zahl der bekannten Beschneidungs-Fälle in den vergangenen Jahren mehr als verdreifacht.
Eine Amputation - meist bei Kindern und Jugendlichen
Bei der menschenrechtswidrigen Beschneidung von Mädchen und Frauen werden die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane, also Klitorisspitze, Klitorisvorhaut, die inneren und äußeren Vulvalippen, teilweise oder komplett entfernt. Zudem wird der Scheideneingang unvollständig verschlossen. „Aus medizinischer Perspektive sprechen wir deshalb von einer Amputation, die meist im Kindes- und Jugendalter ohne Betäubung und mit unsterilen, nicht medizinischen Schneidgegenständen wie zum Beispiel Rasierklingen, Glasscherben oder scharfkantigen Steinen, durchgeführt wird“, erklärt Privatdozent Dr. Dan mon O’Dey, der sich als Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie auf die anatomische Rekonstruktion der äußeren weiblichen Genitalien spezialisiert hat.
Lebenslanges Leiden
Die extrem schmerzhafte Prozedur der Beschneidung verursacht unmittelbar und in der Folge zahlreiche gesundheitliche Beeinträchtigungen, unter denen die Betroffenen ein Leben lang körperlich und seelisch leiden. Durch die Entfernung der Klitorisspitze ist das sexuelle Empfinden stark beeinträchtigt. Während hormoneller Veränderungen, wie etwa der Monatsblutung, entstehen sowohl schmerzhafte Druckspannungen am Klitorisstumpf als auch im Bereich des durch die Amputation entstandenen Narbengewebes. Aber auch beim Geschlechtsverkehr treten Schmerzen auf; auch beim Urinieren können Probleme auftreten. Wenn die Beschneidung den Scheideneingang massiv verengt hat, hat das zudem negative Auswirkungen auf den Geburtsvorgang. Hinzu kommen psychische Belastungen, ausgelöst durch das traumatische Erlebnis der Beschneidung.
Die sogenannte "Female Genital Mutilation“ (FGM, dt.: Genitalverstümmelung) oder das "Female Genital Cutting“ (FGC, dt.: Genitalbeschneidung) wird nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung in 29 Ländern Afrikas, auf der Arabischen Halbinsel und in manchen asiatischen Ländern praktiziert. Die Motive der Beschneidung unterscheiden sich hinsichtlich der kulturellen Praktiken in den verschiedenen Ländern. Das Sicherstellen der Jungfräulichkeit, bessere Chancen auf dem Heiratsmarkt oder spirituelle Reinheit sind verbreitete Begründungen für das Ritual.
Das Problem der Genitalverstümmelung existiert auch in Deutschland. Nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation „Terres des Femmes“ leben in Deutschland etwa 58.000 betroffene und 13.000 gefährdete Mädchen und Frauen. In Deutschland, wie in anderen europäischen Ländern, ist FGM seit 2013 ein Straftatbestand (Strafbesetzbuch, § 226A). Außerdem gibt es internationale Abkommen wie die Frauenrechtskonvention, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Kinderrechtskonvention, in denen die weibliche Genitalverstümmelung explizit geächtet wird. Allerdings bezweifeln viele Frauengruppen die Reichweite der Gesetze.
Therapeutische Hilfe: rekonstruktive Operationen
Heute können die organischen Beschwerden der betroffenen Frauen durch geeignete operative Verfahren erfolgreich gelindert werden. Die Therapien reichen von einer Wiedereröffnung des Scheideneingangs, der sogenannten Defibulation, bis hin zu komplexen plastisch-rekonstruktiven Operationen, mit denen die Anatomie der äußeren weiblichen Genitalien wiederhergestellt werden kann. „Neben der Defibulation kann auch die vergleichsweise einfache Bergung des Klitorisstumpfes zwar zur Linderung der Beschwerden beitragen, eine anatomische Rekonstruktion mit Normalisierung der genitalen Form und Funktion bringen diese Verfahren allerdings nicht“, erläutert O’Dey, Chefarzt am Aachener Luisenhospital. Anders ist das bei Rekonstruktion mit körpereigenem Gewebe und der sogenannten Neurotisierung, bei der Nervenendigungen des Klitorisorgans durch ein mikrochirurgisches Verfahren wieder in eine neu geformte Klitorisspitze integriert werden. Frauen können dadurch ihre klitorale Empfindungsfähigkeit sowie ihr entsprechendes sexuelles Lustempfinden bis hin zur Orgasmusfähigkeit zurückgewinnen.
Aufklärungsarbeit ist der Schlüssel
Kulturelle und familiäre Zwänge erschweren den betroffenen Frauen jedoch oft den Zugang zu medizinischer Hilfe. Vielen fehlt es auch an Wissen und Informationen zum eigenen Beschwerdebild. Deshalb ist Aufklärungsarbeit so wichtig – idealerweise in verschiedenen Sprachen, damit Frauen aus allen betroffenen Kulturkreisen erreicht werden können. „Aber auch bei der Ausbildung junger Mediziner und Medizinerinnen müssen wir ansetzen“, erklärt O’Dey.
Eine Voraussetzung für die Versorgung von Mädchen und Frauen mit Erkrankungen der Geschlechtsorgane ist zum einen die exakte Kenntnis der Anatomie. Eine wichtige Grundlage für die Behandlung ist zum anderen die vor wenigen Monaten erschienene erste S2k-Leitlinie zu rekonstruktiven und ästhetischen Operationen des weiblichen Genitale. Gründe für solche operativen Eingriffe sind außer den Komplikationen einer Beschneidung auch ästhetischen Faktoren sowie Veränderungen nach Geburten, altersbedingtes Erschlaffen der Haut oder starke Gewichtsabnahme.
Zusätzlich zur Anatomie des weiblichen Genitales stellen die Autoren in ihrer Handlungsempfehlung die Indikationen und Kontraindikationen für rekonstruktive und ästhetische Operation vor. Ein eigenes Kapitel wird den Formen von Genitalverstümmelung gewidmet. Je nach Schwere der Gewebe- und Funktionsverletzung des Geschlechtsorgans, werden entsprechende Therapieoptionen dargestellt, wobei – so betonen die Autoren – ein umfassendes Verständnis der komplexen soziokulturellen und medizinischen Aspekte insbesondere im Kindes- und Jugendalter erforderlich ist. Alternative Verfahren zur Vaginalstraffung etwa mit Lasertechnik sollten nur in klinischen Studien zum Einsatz kommen, da bislang keine klinische Effektivität erwiesen wurde. Die Nachbehandlung derartiger Operationen ist abhängig von Art und Ausmaß des chirurgischen Eingriffes und den körperlichen Voraussetzungen der Patientin. Grundsätzlich ist eine postoperative Überwachungsphase mit geeigneten Kontrollen empfohlen. Ästhetische Eingriffe werden ohnehin zumeist ambulant durchgeführt.
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