Hormone für geschlechtsanpassende Therapie verändern die Reaktivität des Immunsystems

  • Lancet Rheumatol, Dtsch Arztebl Int

  • von Dr. Nicola Siegmund-Schultze
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Geschlechtschromosomen und Sexualhormone regulieren Zahl und Reaktivität von Treg-Zellen. Diese Population der T-Lymphozyten dämpft Immunantworten. Bei jungen Männern sind die antiinflammatorischen Komponenten des Immunsystems stärker ausgeprägt als bei jungen Frauen. Bei Impfungen, aber auch bei geschlechtsanpassenden Therapien sollte der Sexualdimorphimus der Immunregulation in der ärztlichen Beratung stärker als bisher berücksichtigt werden (1).

Hintergrund

Schätzungen zufolge besteht bei 15000 bis 25000 Menschen in Deutschland eine Transsexualität: das biologische Geschlecht stimmt nicht mit dem empfundenen überein (zit. n. [2]). Transfrauen sind biologisch Männer mit weiblicher Geschlechtsidentität und Transmänner biologisch weiblich mit männlicher Geschlechtsidentität. Die medikamentöse Behandlung von Mann zu Frau erfolgt mit Estradiol oder Estradiolvalerat plus einem Antiandrogen und von Frau zu Mann mit Testosteronpräparaten. „Cisgender“ sind Personen, bei denen sexuelle Identität und G eschlechtsmerkmale übereinstimmen.

Seit Längerem ist bekannt, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Reaktivität des Immunsystems auf körpereigene und körperfremde Antigene gibt. Teilweise sind die Unterschiede mit Genen auf den Geschlechtschromosomen assoziiert, zum Beispiel bei Lupus erythematodes, teilweise aber auch m it h ormone ller Regulation . Ein britisches Forscherteam hat untersucht, wie sich die Konzentrationen der T- Lymphozyten im Blut u nd ihre F unktion sfähigkeiten zwischen den Geschlechtern unterscheiden und welche Wirkungen Hormone haben.

Design

  • Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer: prä- und postpubertäre Cisgender-Jungen/Männer und Cisgender-Mädchen/Frauen (75 postpubertäre Teilnehmer/innen: maximal 21 Jahre)
  • Transmänner (n = 5), Transfrauen (n = 5), jeweils mit geschlechtsangleichenden Hormontherapien
  • Anamnese: 35 Teilnehmer/innen der Cisgender-Gruppe hatten juvenilen systemischen Lupus erythematodes (SLE)
  • Methoden: umfangreiche quantitative Analysen und phänotypische Charakterisierung der T-Zellpopulationen

Hauptergebnisse

  • Geschlechtskongruente, gesunde postpubertäre Männer (Cisgender-Männer) hatten durchschnittlich eine höhere Anzahl regulatorischer T-Zellen (Treg) pro Volumeneinheit als gesunde postpubertäre Cisgender-Frauen. Treg-Zellen regulieren die Immunantworten herunter.
  • Die Zahl der Treg-Zellen wird in erster Linie genetisch determiniert (Geschlechtschromosomen) und weniger hormonell.
  • Die Funktionalität der Treg-Zellen im Sinne der immunsuppressiven Kapazität war bei den Cisgender-Männern höher als bei den Cisgender-Frauen.
  • Die für die immunsuppressive Funktion relevanten Signalwege werden hormonell reguliert und sind bei Transmännern (biologisch weiblich, unter Androgentherapie) stärker aktiviert als bei Transfrauen (biologisch männlich, unter Östrogen-, bzw. Antiandrogentherapie).
  • Bei den postpubertären Cisgender-Teilnehmerinnen und -teilnehmern mit juvenilem SLE waren die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Aktivierung der Signalwege geringer als bei den Teilnehmern ohne SLE.

Klinische Bedeutung
Bei gesunden, geschlechtskonvergenten Männern ist die Anzahl der immunsuppressiv wirkenden Treg-Zellen höher als bei Frauen und die Funktionsfähigkeit der Treg-Zellen größer, so dass Immunantworten im Vergleich zu Cisgender-Frauen eher gedämpft werden.

Erhalten Transfrauen (biologisch männlich) zur Geschlechtsangleichung Östrogene, wird die immunsuppressive Aktivität ihrer Treg-Zellen geringer und sie könnten anfälliger werden für die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen wie SLE. Transmänner (biologisch weiblich) könnten durch Testosteronpräparate anfälliger werden für Infektionen.

Die Bedeutung des Geschlechtsdimorphismus für die Regulierung des angeborenen und des adaptiven Immunsystems werde derzeit unterschätzt, so das Resüme (1, 3). Dies gelte für Autoimmunerkrankungen und für die immunologische Reaktivität auf Pathogene und Impfungen. So ist das männliche Geschlecht ein Risikofaktor für schwere Verläufe von COVID-19, auch nach Impfung, in seltenen Fällen werden zusätzlich Loss-of-Function-Genvarianten auf dem X-Chromosom gefunden (4).

Frauen reagieren häufig stärker auf Impfungen als Männer und haben häufiger Nebenwirkungen.

Finanzierung: öffentliche Mittel