Herzkreislauf-Forscher fordern mehr Investitionen in „herzgesunde“ Städte

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten. Der Zugang zum gesamten Inhalt dieser Seite ist nur Angehörigen medizinischer Fachkreise vorbehalten.

Um die Gesundheit der Bevölkerung vor Schäden durch Feinstaub und Lärm zu schützen, sollte mehr Geld in Maßnahmen zur Verbesserung unserer Städte investiert werden. Diese fordern die Kardiologen und Herzkreislauf-Forscher Thomas Münzel, Omar Hahad und Andreas Daiber von der Universität Mainz und des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (Standort Rhein-Main, Mainz) in einem aktuellen Aufsatz. In ihrem Beitrag gehen die Herzkreislauf-Forscher im Wesentlichen auf die möglichen kardiovaskulären Folgen der Belastung mit Feinstaub und Lärm ein.

Laut Münzel und seinen Kollegen wird die Weltbevölkerung bis 2050 auf zehn Milliarden Menschen wachsen, von denen 75% in Städten leben werden. 60 bis 80% des weltweiten Endenergieverbrauchs finde in städtischen Gebieten statt, 70% der Treibhausgasemissionen würden in Städten erzeugt. Mehr als 90% der Weltbevölkerung atmen nach Angaben der Autoren mit Feinstaub (PM2,5) belastete Außenluft ein, die über dem Grenzwert der WHO liege (10μg/m3). Die WHO habe daher postuliert, dass aufgrund der hohen Zahl von Menschen, die in Städten lebten, die städtische Umgebung sowie ein gesunder Lebensstil wichtige Voraussetzungen für ein gesundes Herz seien. 

Nach Schätzungen der Herzkreislauf-Forscher liegt die europäische Übersterblichkeit aufgrund der Feinstaub-Belastung bei jährlich etwa 600000 Menschen, die globale Übersterblichkeit aufgrund von Luftverschmutzung bei fast 8,8 Millionen, vor allem bedingt durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie koronare Herzerkrankungen, Schlaganfall und andere nicht übertragbare Erkrankungen wie Diabetes mellitus und Bluthochdruck. 

Die Luftverschmutzung durch Feinstaub hat einem internationalen Autorenteam um Thomas Münzel zufolge auch Einfluss auf Todesfälle bei Patienten mit COVID-19. Wie die Wissenschaftler 2020 im Fachmagazin „Cardiovascular Research“ berichteten, liegt der Anteil der luftverschmutzungs-bedingten COVID-19 Todesfälle in Europa bei geschätzten 19%, in Nordamerika bei 17% und in Ostasien sogar bei 27%. Vergleichsweise hoch sei der Anteil in der Tschechischen Republik mit 29%, in China mit 27% und in Deutschland mit 26%. Niedriger sei der Anteil beispielsweise in Italien (15%) oder Brasilien (12%). 

Aufgrund der Luftverschmutzung als Folge des Klimawandels steige das Risiko für schwere Krankheitsverläufe bei Patienten mit COVID-19, warnten 2020 auch US-Wissenschaftler der Harvard Medical School im „New England Journal Of Medicine“.

In Städten ist nach Angaben der Mainzer Forscher der Kraftfahrzeugverkehr die wichtigste Emissionsquelle. Menschen, die in einem näheren Umkreis von stark befahrenen Straßen lebten, seien höheren Schadstoffgehalten, einschließlich Feinstaub, Kohlenmonoxid und Stickstoffdioxid, ausgesetzt. In Ländern mit geringeren Einkommen seien die Autos typischerweise älter und verursachten daher höhere Emissionen als Autos in Ländern mit höheren Durchschnittseinkommen.

Körperliche Aktivität im Freien könne die Exposition gegenüber Luftverschmutzung unter Umständen weiter erhöhen und so die allgemeinen gesundheitlichen Vorteile der körperlichen Aktivität sogar umkehren. 

Umgebungslärm bisher angeblich zu wenig beachtet

Ausser Feinstaub kann auch Lärm gesundheitliche Folgen haben; obwohl täglich fast 70 Millionen Europäer in Städten und Gemeinden kardiovaskulär relevanten Verkehrslärmpegeln von mehr als 55 Dezibel ausgesetzt seien, sei Umgebungslärm bisher wesentlich weniger beachtet worden als Luftverschmutzung, so die Mainzer Wissenschaftler. Für die Europäische Union werde geschätzt, dass Verkehrslärm zusätzlich zu 900000 Fällen von Bluthochdruck, 43000 Krankenhauseinweisungen und mehr als 10000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr im Zusammenhang mit koronaren Herz- erkrankungen und Schlaganfällen führe. Straßenverkehrslärm sei hierbei die wichtigste Quelle für Umgebungslärm weltweit. Studie zufolge gehe Lärmbelästigung mit einem er- höhten Risiko für Herzrhythmusstörungen (Vorhofflimmern), aber auch für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen sowie kognitiven Störungen vor allem bei Kindern einher. Es seien daher unbedingt städtische Lärmschutzmaßnahmen erforderlich, etwa Lärmschutzwände, Flüsterbremsen für Züge, lärmreduzierende Straßenbeläge und Reifen sowie E-Autos.

Die dunklen Seiten des Lichts

Ein weiterer Umweltfaktor, der Einfluss auf die Gesundheit haben kann, ist nach Angaben von Münzel und seinen Kollegen die so genannte „Lichtverschmutzung“. Schätzungen zufolge sind über 80% der Weltbevölkerung in der Nacht einem „lichtverschmutzten“ Himmel ausgesetzt, was mit einem höheren Krebsrisiko, Übergewicht, erhöhtem Blutdruck, Depressionen, Schlaflosigkeit und dem vermehrten Auftreten einer KHK in Verbindung gebracht werde. In einer aktuellen Studie sei gezeigt worden, dass bei älteren Erwachsenen nächtliches Licht im Freien mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer KHK, vermehrten Krankenhauseinweisungen und Todesfällen einhergehe.