Herzinfarkt bei Hitze: Größeres Risiko bei der Einnahme bestimmter Herzkreislaufmedikamente
- Dr. Nicola Siegmund-Schultze
- Studien – kurz & knapp
Kernbotschaften
An heißen Tagen haben Patienten, die regelmäßig Thrombozytenaggregationshemmer einnehmen, ein um 63 % höheres Risiko für einen nicht-tödlichen Myokardinfarkt als Menschen, die keine Medikamente dieser Substanzklasse erhalten. Für kühle Kontrolltage fand sich diese Assoziation nicht. Die Einnahme von Betablockern ist ebenfalls bei Hitze mit einem erhöhten Risiko für nicht-tödliche Herzinfarkte assoziiert (+ 65 %) und die Medikation beider Substanzklassen mit einem um 75 % erhöhten Risiko (1). Kausalitäten sind aber damit nicht belegt, so dass von Anpassungen der Medikation während Hitzewellen derzeit abgeraten wird.
Hintergrund
Die Menschen in Deutschland werden tendziell empfindlicher für Herzinfarkte während Hitzewellen. Das hat eine 2019 publizierte Auswertung des MONICA/KORA-MI-Registers ergeben (2). Verglichen wurde die Zeitphase 1987 bis 2000 mit dem Zeitraum 2001 bis 2014. Besonders deutlich war der Trend bei Patienten mit Diabetes mellitus und Hyperlipidämie. Ebenfalls auf Basis des MONICA/KORA-MI-Registers ist nun die Frage untersucht worden, ob Patienten mit regelmäßiger Einnahme von Herzkreislaufmedikamenten vulnerabler für nicht-tödliche Herzinfarkte sind (1).
Design
- Datenbasis: Überlebende eines Herzinfarktes in Augsburg während der wärmeren Monate Mai bis September im Zeitraum von 2011 bis 2014
- Einschlusskriterien: komplette Informationen über die Medikation im Untersuchungszeitraum
- Studienteilnehmer: 2494 Patienten, die die Kriterien erfüllten
- Merkmale der Teilnehmer: 76,4 % männlich, 77,7 % mit Diagnose Hypertonie, 31,3 % mit Diabetes mellitus, 27,7 % mit koronarer Herzerkrankung
- Medikationen vor dem Herzinfarkt: Thrombozytenaggegationshemmer: 32,0 %, ACE-Hemmer: 25,2 %, Beta-Rezeptorblocker: 37,2 %, Kalziumkanalblocker: 15,9 %, Diruektika: 23,4 %, Statine: 23,6 %
- Berücksichtigung der Außentemperaturen: als „heiß“ wurden Tage mit einer durchschnittlichen Temperatur von 24,2° C bezeichnet, an „Kontrolltagen“ mit minimalem Myokardinfarktrisiko betrug die Durschnittstemperatur 7,5° C
Hauptergebnisse
- Für Patientinnen und Patienten mit Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern ergab sich eine Odds Ratio (OR) von 1,63 für nicht-tödliche Herzinfarkte an heißen Tagen im Vergleich zu Teilnehmern, die diese Medikamente nicht einnahmen (OR: 0,94). Der Unterschied war signifikant (p = 0,04).
- Für die Einnahme von Betablockern betrug die OR für Herzinfarkte an heißen Tagen 1,65 und für Nicht-Anwender von Betablockern 0,90, eine ebenfalls signifikante Differenz (p = 0,02).
- Bei Patienten, die Medikamente beider Substanzklassen erhielten, lag die OR bei 1,75 und für Nicht-Anwender bei 0,84 (p = 0,01).
- Die Effekte für Thrombozytenaggregationshemmer und Betablocker bestanden über die verschiedenen Altersgruppen hinweg, waren aber bei Jüngeren (25-59 Jahre) stärker ausgeprägt als bei älteren Teilnehmern (60-74 Jahre), obwohl die älteren häufiger bereits koronare Herzerkrankungen (KHK) hatten (33,3 % vs. 18,9 %).
- Bei präexistierender KHK betrug das Risiko für nicht-tödliche Myokardinfarkte bei Hitze das 2,17fache (OR: 2,17), unabhängig von der Medikation, im Vergleich zu Teilnehmern ohne vorbestehende KHK (OR: 0,88; p < 0,01).
Klinische Bedeutung
Die Forschungsergebnisse beweisen nicht, dass bestimmte Medikamente die Herzinfarkte bei Hitze verursacht haben, obwohl sie die Anpassung an hohe Temperaturen erschwert haben könnten, kommentieren die Autorinnen und Autoren selbst (3). Dass sich die Effekte andererseits nur auf die Vordiagnosen zurückführen ließen, halten sie wegen des besonders starken Risikoanstiegs unter den gesünderen, jüngeren Teilnehmern für unwahrscheinlich. Es sei aber weitere Forschung erforderlich, bevor Hausärzte auf angekündigte heiße Tage oder längere Hitzewellen mit einer Veränderung der Medikation reagieren könnten.
Das ist auch internationale Resonanz: Patienten sollten auf Basis dieser Studienergebnisse keinesfalls selbständig Medikamente absetzen, denn das Risiko durch das Absetzen könne sehr viel höher sein als der erhoffte Nutzen (4). Als Hypothesen-generierend sei die Studie aber sehr interessant.
Finanzierung: Deutscher Herzstiftung und öffentliche Förderung
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