Haussegen hängt schief
- Presseagentur Gesundheit (pag)
- Im Diskurs
Kaum hat Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) das Spargesetz skizziert, formiert sich in der Vertragsärzteschaft massiver Widerstand. Der Grund: Für neue Patienten soll es kein Extra-Honorar mehr geben. Es droht ein heißer Herbst zu werden. Denn diesmal sind auch die Ärztefunktionäre im Wahlkampfmodus. Worum geht‘s?
Der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) steht im nächsten Jahr ein Rekorddefizit von mindestens 17 Milliarden Euro ins Haus. Fachleute rechnen sogar mit bis zu 25 Milliarden Euro. Seit einigen Monaten sitzt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) an einem Gesetz. Vorab macht Lauterbach wiederholt klar: „Ich bin nicht bereit, Leistungskürzungen mitzutragen“. Das kommt die Versicherten allerdings auch teuer zu stehen: Ihr Zusatzbeitrag wird um 0,3 Beitragssatzpunkte angehoben. Derzeit liegt der durchschnittliche Zusatzbeitrag bei 1,3 Prozent. Zusammen mit dem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent und den zusätzlichen 0,3 Prozentpunkten würde sich der Gesamtbetrag auf 16,2 Prozent erhöhen.
Extrabudgetierung plötzlich verzichtbar
Vertragsärzte müssen künftig ohne die extrabudgetäre Vergütung für neue Patienten auskommen. Diese würde die GKV bisher mit einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag belasten, steht im geplanten Gesetz. Dabei handelt es sich um eine Regelung aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), die eindeutig Lauterbachs Handschrift trägt. Bei der Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag am 14. März 2019 versetzte sich Lauterbach noch in die Lage der Vertragsärzte: „Wenn ich Pech habe und mein Budget ausgeschöpft ist, bekomme ich für den neuen Patienten gar kein Geld. Tatsächlich ist das der Hauptgrund, weshalb wir Ärzte die neuen Patienten oft nicht so gerne in der Praxis sehen; denn an ihnen verdienen wir nicht nur nichts, sondern machen zum Teil sogar Verluste. Und das muss sich ändern.“ Mit der Formulierung „wir Ärzte“ stellt der Professor allerdings eine Nähe zu Vertragsärzten her, die defacto nicht gegeben ist. Er kennt nämlich das Praxis-Geschäft nur vom Hören-Sagen. Der Verfechter der Bürgerversicherung hat vielmehr in die politische Trickkiste gegriffen, um terminliche Bevorzugungen von privat Krankenversicherten zu entschärfen. Man kann sagen, die Extrabudgetierung ist eine Lex Lauterbach. Umso verwunderlicher reiben sich Beobachter die Augen, dass er diese jetzt kurzerhand streicht und Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Mehrausgaben in die Schuhe schiebt. „Ich habe das Defizit von meinem Vorgänger geerbt. Dieser hat teure Leistungsreformen vorgenommen.“
Ärzte laufen Sturm
Erste Reaktionen nach Bekanntwerden der Eckpunkte: „Das Vorhaben stellt sich für die Versicherten, die einen Termin erhalten wollen, auch als echte Leistungskürzung dar. Das Vertrauen der Ärzteschaft in die Politik wird damit ein weiteres Mal erschüttert“, tadelt Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. Andreas Gassen den Minister. Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands ist „entsetzt über diese Pläne“ und warnt vor ernsten Konsequenzen in der Patientenversorgung. Die verfasste Vertragsärzteschaft hat in wenigen Tagen 45 ärztliche Berufsverbände und Fachgesellschaften zu einer konzertierten Aktion mobilisiert. Sämtliche Kassenärztliche Vereinigungen (KV) und die KBV laufen Sturm gegen die Aufhebung der Neupatientenregelung. Gerade das Versprechen, es gäbe keine Leistungskürzungen sehen die Ärzte gebrochen und auf ihrem Rücken ausgetragen. In einer Resolution heißt es: „Mit dem Inkrafttreten des TSVG haben die Ärztinnen und Ärzte – im Vertrauen auf den Bestand dieser Regelungen – die Abläufe in den Praxen umgestellt. Der angekündigte Wegfall der Neupatientenregelung würde nicht ohne massive Folgen – wie etwa längere Wartezeiten auf Termine – bleiben.“ Gerade in den letzten zwei Pandemie-Jahren habe sich das ambulante System außerordentlich bewährt, auch wenn dies von der Politik nur selten öffentlich anerkannt worden sei. Die ambulante flächendeckende Versorgung mit einem Netz von über 100.000 Praxen sei zu Recht als Schutzwall für die Krankenhäuser bezeichnet worden. 19 von 20 Corona-Patienten wurden ambulant behandelt. Die Resolution schließt mit der Aufforderung, im weiteren Verfahren die angedachte Aufhebung der Neupatientenregelung fallen zu lassen.
Lauterbach gibt Zündstoff für den Wahlkampf in den KVen
Lauterbach kann nicht davon ausgehen, dass sich der Sturm über die Sommerpause wieder verziehen wird. Im Gegenteil: Die Ärztefunktionäre haben mit dieser vorgesehenen Honorarstreichung ein echtes Wahlkampfthema auf den Tisch bekommen. Denn die Spitzenpositionen in den KVen und der KBV stehen zur Wahl. Jetzt können die Amtierenden zeigen, wie sie sich für ihre Mitglieder ins Zeug legen. Andere Gesundheitsberufe sind nicht besser dran. Haben die Apotheker gerade erst 150 Millionen Euro für pharmazeutische Dienstleistungen erhalten, werden sie jetzt mit 150 Millionen Euro zur Kasse gebeten. Die ABDA-Präsidentin Regina Overwiening nennt das „Taschenspielertrick".
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