FDA lässt Antikörper für Alzheimer-Kranke trotz Bedenken zu

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Wie erwartet hat die Food and Drug Administration (FDA) den Anti-Amyloid-Antikörper Lecanemab für die Therapie von Patienten im Frühstadium der Alzheimer Erkrankung zugelassen. Erteilt wurde die Zulassung im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens trotz Zweifel an der Sicherheit der Antikörper-Therapie. Handelsname des Medikamentes von Eisai und Biogen ist Leqembi. Der Preis soll pro Jahr 26.500 US-Dollar betragen. Hinzu kämen die Kosten für die regelmäßigen Infusionen und notwendigen Untersuchungen. Eisai hat inzwischen auch die Unterlagen für die herkömmliche FDA-Zulassung eingereicht.

Die beschleunigte Zulassung von Lecanemab haben die pharmazeutischen Unternehmen auf der Grundlage von Phase-2-Daten beantragt. Ergebnis der Phase-2-Studie war eine Reduktion der Amyloid-Plaque-Belastung im Gehirn von 856 Patienten; es wurde jedoch nicht untersucht, ob dies die kognitiven Fähigkeiten der Patienten verbesserte. Auf diesem Weg wurde auch  Aducanumab zugelassen, ein ähnlicher Antikörper von Biogen und Eisai.

Phase-3: signifikanter Effekt unstrittig, aber mäßig

Inzwischen liegen auch die Ergebnisse der Phase-3-Studie vor. Diese Studie (Clarity AD) ist die Grundlage des aktuellen Antrags auf vollständige bzw. herkömmliche Zulassung.Wie berichtet, wurden in die kontrollierte 18-monatige Studie Personen mit früher Alzheimer-Krankheit (leichte kognitive Beeinträchtigung oder leichte Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit) aufgenommen. Primärer Endpunkt war die Veränderung der Punktzahl auf dem Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes (CDR-SB; Bereich 0 bis 18, wobei höhere Punktzahlen eine stärkere Beeinträchtigung anzeigen) gegenüber dem Ausgangswert nach 18 Monaten.

Der mittlere CDR-SB-Wert bei Studienbeginn lag in beiden Gruppen bei 3,2. Die Veränderung gegenüber dem Ausgangswert nach 18 Monaten betrug 1,21 bei Lecanemab und 1,66 bei Placebo (Differenz: -0,45). Der unstrittig signifikante Effekt von rund 27 Prozent auf die Kognition wird jedoch als eher mäßig beurteilt. Außerdem hat auch dieser Anti-Amyloid-Antikörper potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen, darunter Hirnschwellungen und zerebrale Blutungen (ARIA: Amyloid Related Imaging Abnormalities).  Mindestens drei Personen der Phase-3-Studie starben nach Hirnblutungen oder Hirnschwellungen; ob diese Todesfälle in einem kausalen Zusammenhang mit Lecanemab stehen, ist nicht bewiesen und wird kontrovers beurteilt.  

Die „Sorgenkinder": Sicherheit und Kosten

Um den Sicherheitsbedenken Rechnung zu tragen, wird auf dem Beipackzettel des Medikaments vor ARIA gewarnt. Zudem wird empfohlen, dass jeder, der Lecanemab erhält, in den ersten sechs Monaten der Behandlung drei MRT-Untersuchungen durchführen lässt. In der Packungsbeilage wird außerdem zu „zusätzlicher Vorsicht" bei der Verordnung von Blutverdünnern an Lecanemab-Patienten geraten, da sich dadurch das Risiko von Hirnblutungen erhöhen kann.

Eine viel diskutierte Frage lautet zudem, ob die Therapie mit dem Antikörper als kosteneffektiv eingestuft wird. Laut einem vorläufigen Bericht des Institute for Clinical and Economic Review, einer unabhängigen, gemeinnützigen Organisation, die den Wert von Arzneimitteln bewertet, sollte der Preis zwischen 8500 und 20.600 Dollar pro Jahr liegen, um für die US-Patienten kosteneffektiv zu sein.

Lecanemab sei „ein Gewinn für uns alle", so Dr. Maria Carrillo, „Chief Science Officer“ der Alzheimer's Association in den USA. Diese neue Therapie sei nicht perfekt, aber ein Schritt in die richtige Richtung", wird auch die n der Phase-3-Studie beteiligte Neurologin Professor Joy Snider (Washington University School of Medicine in St. Louis) im Wissenschaftsmagazin „Science“ zitiert.

Wie viele andere Alzheimer-Spezialisten ist auch für Snider Lecanemab  allerdings „nur der Anfang“;  auch sie hofft auf weitere und bessere Therapien. Dazu können auch Substanzen mit anderen Wirkmechanismen und anderen Zielstrukturen gehören, so etwa Wirkstoffe gegen abnormes Tau, Glia-Zellen und immunologische Prozesse. Um den Nutzen der Behandlung von Alzheimer-Kranken zu maximieren, „werden wahrscheinlich auch andere Ziele als Beta-Amyloid benötigt“, so die New Yorker Alzheimer-Forscher Professor Samuel E. Gandy  und Dr. Michelle E. Ehrlich in einem Editorial zur Lecanemab-Studie Clarity AD.

Zu den Gegnern von Lecanemab gehört laut dem „Science“-Bericht der Neurologe Professor Alberto Espay von der Universität von Cincinnati. Er sei der Ansicht, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ sei. „Ich denke, dass dieses Medikament nicht zugelassen werden sollte", soll Espay in einem Interview am Tag vor der Zulassungs-Ankündigung der FDA gesagt haben. Aber die Beamten der Behörde seien Opfer einer künstlich niedrig angesetzten Messlatte", die sie 2021 mit der Zulassung von Aducanumab etabliert hätten. 

Skeptisch zeigt sich auch Dr. Diana Zuckerman, Präsidentin des National Center for Health Research, einer gemeinnützigen Organisation in Washington DC sie sei sich nicht sicher, ob der Nutzen der Antikörper-Therapie das Risiko wert sei. Zuckerman: „Man hat es mit Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen zu tun, die noch funktionieren, und setzt sie einem Risiko aus.“