ESC 2022 – Wird ASS im Kampf gegen kardiovaskuläre Erkrankungen weiterhin eine Rolle spielen?

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In einer interessanten Debatte auf dem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2022 diskutierten Dr. Carlos Aguiar (Hospital de Santa Cruz, Lissabon, Portugal) und Dr. John Cleland (University of Glasgow, Glasgow, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland) darüber, ob die Acetylsalicylsäure (ASS) zur Primär- und Sekundärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen (CVD) verwendet werden sollte. Die Veranstaltung wurde von Alessandro Mugelli aus Italien und Bruna Gigante aus Schweden moderiert.

Carlos Aguiar, Portugal

Dr. Aguiar spricht sich für ASS zur Prävention von CVD aus und erklärt zunächst, dass ASS für seine antithrombotischen Wirkungen bekannt ist und daher weiterhin angezeigt ist. Eine gepoolte Analyse von 12 Studien, die 2016 von P. M. Rothwell veröffentlicht wurde, ergab ein um 53 % reduziertes Risiko für einen ischämischen Schlaganfall (IS) mit ASS im Vergleich zu einem Placebo, wobei bereits nach 6 Wochen ein Nutzen beobachtet wurde. Dementsprechend haben aktuelle Leitlinien zur Behandlung akuter Koronarsyndrome und akuter IS eine Empfehlung der Klasse I für den Plättchenhemmer ausgesprochen.

In den letzten drei Jahrzehnten wurden 17 randomisierte kontrollierte Studien (RCT) durchgeführt, um die Rolle von ASS bei der Primärprävention von CVD zu untersuchen. Obwohl die meisten Studien keinen Nutzen bei schweren kardiovaskulären (KV) Ereignissen ergaben, zeigten mehrere RCT eine Reduktion von nicht tödlich verlaufenden Myokardinfarkten (MI). Eine kürzlich (2022) durchgeführte systematische Analyse von 11 Studien mit niedrig dosiertem ASS ergab bei Patienten, die < 10 Jahre lang ASS einnahmen, eine Reduktion schwerer CVD um 10 %, eine Reduktion von MI um 11 % und eine Reduktion von IS um 18 %. Es gab jedoch einen Anstieg bei der Rate schwerer gastrointestinaler (GI) Blutungen und intrakranieller Blutungen. Eine von der Preventive Services Task Force der Vereinigten Staaten (USA) in Auftrag gegebene Mikrosimulationsmodellstudie zeigte, dass die langfristige Einnahme des Thromboztenaggregationshemmers für jüngere Patienten (Alter: 40–59 Jahre) in Bezug auf das 10-Jahres-CVD-Risiko vorteilhaft war. ASS plus eine Polypille ergab im Vergleich zu einem Placebo eine signifikante Reduktion der KV Todesfälle, so die Ergebnisse der TIPS-3-Studie. Laut Dr. Aguiar „ist die Primärprävention in den Leitlinien alles in allem immer noch eine mögliche Indikation für eine Therapie mit niedrig dosierter ASS, solange die Patienten anhand ihres Risikos für ischämische CVD und eines geringen Risikos für schwere Blutungen sorgfältig ausgewählt werden und ASS bei älteren Patienten vermieden wird“.

Die ATTC-Metaanalyse von 16 Sekundärpräventionsstudien ergab eine Reduktion der KV Mortalität und der Gesamtmortalität mit Langzeit-ASS. Aguiar machte auf den jüngsten Einsatz von P2Y12-Inhibitoren als Alternative zu Aspirin bei der Sekundärprävention von CVD aufmerksam. Laut einigen neueren Studien reduzierten P2Y12-Inhibitoren das Risiko für GI Blutungen im Vergleich zu ASS. Es gab jedoch keine Auswirkungen auf die Mortalität und Der Plättchenhemmer bleibt ein Medikament der Klasse IA zur Sekundärprävention von CVD. Bei Patienten mit einem hohen Risiko für ischämische Ereignisse erlauben die aktuellen Leitlinien die Verschreibung eines zweiten Antithrombotikums „zusätzlich zur“ ASS zur Sekundärprävention von CVD. Beobachtungsdaten aus dem schwedischen Register zeigten einen Anstieg von KV Ereignissen nach dem Absetzen des Thrombozytenhemmers, wobei ein höheres Risiko bei Patienten im Alter von < 70 Jahren beobachtet wurde.

Dr. Aguiar bemerkt abschließend, dass Aspirin bei akuten Koronarsyndromen lebensrettend ist und die ASS-Monotherapie weiterhin ein Eckpfeiler für die Sekundärprävention von atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen (AS-CVD) bleibt.

John G. F. Cleland, Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Nordirland

Als Gegner dieser Denkweise sagt Dr. Cleland zunächst, dass ASS bei der Prävention und Behandlung von CVD keine Rolle mehr spielt und es gute Belege dafür gibt, dass es 4–8 Wochen nach einem KV Ereignis nicht mehr weiter eingesetzt werden sollte. In den 1970er-Jahren stützten sich Kardiologen oft auf Aspirin, da es keine anderen Alternativen gab. Er sagt, dass das Einreißen von Plaques in der Regel KV Ereignisse auslöst, indem es Thrombosen verursacht, und es daher möglicherweise nicht immer logisch ist, ASS zur Primärprävention von CVD einzusetzen.

Eine unlängst aktualisierte Metaanalyse zur ASS in der Primärprävention von CVD aus dem Jahr 2022 zeigte, dass es mit einer nicht signifikanten Auswirkung auf Todesfälle jeglicher Ursache und KV Todesfälle assoziiert war. Bei der weiteren Analyse der Daten nach Alter war der Plättchenhemmer für Patienten im Alter von ≥ 65 Jahren, die vermutlich eine höhere Belastung durch AS-CVD aufwiesen, nicht von Vorteil. Im Jahr 1998 wurde in einer US-amerikanischen Studie zur Gesundheit männlicher Ärzte eine ähnliche Rate von KV Todesfällen mit Aspirin wie mit einem Placebo publiziert, wobei jedoch die Rate nicht tödlich verlaufender MI niedriger war. Unter Einschluss stiller MI zeigte die Studie zur optimalen Behandlung von Hypertonie eine vergleichbare Anzahl schwerer KV Ereignisse und MI in der ASS- und in der Placebogruppe. Die ASPREE-Studie zeigte, dass die Gesamtmortalität mit ASS bei gesunden älteren Erwachsenen höher war als mit einem Placebo, und eine Subgruppenanalyse derselben Studie deckte auf, dass ASS ohne Anstieg der Gesamtmortalität oder der KV Ereignisse gefahrlos abgesetzt werden kann. Dr. Cleland erwähnt, dass es an der Zeit sei, sich von dem Plättchnhemmer zur kardiovaskulären Primärprävention u verabschieden, da es kardiovaskuläre Ereignisse eher verdeckt, anstatt sie zu verhindern, und zudem das Blutungsrisiko erhöht.

In Bezug auf die Sekundärprävention von CVD wies die Studie ISIS-2 eine kurzfristige ASS-Behandlung auf, wobei nicht klar war, ob die Patienten mit dem Thrombozytenhemmer über 5 Wochen hinaus fortfuhren. In der Studie CARDIFF-I konnte kein Nutzen von ASS in Bezug auf die Mortalitätsrate nachgewiesen werden, wenn damit 6 Wochen nach einem MI begonnen wurde. In seinem „Lancet“-Artikel aus dem Jahr 2016 berichtete P. M. Rothwell auch von keiner Reduktion des Risikos für rezidivierende IS, wenn ASS über 12 Wochen hinaus eingesetzt wurde. Die Aspirin-MI-Studie ergab keine Reduktion von Mortalität oder Herzinsuffizienz, wenn ASS rund 2 Jahre nach einem MI aufgenommen wurde. Die Autoren sagten klar: „ASS wird nicht für die routinemäßige Anwendung bei Patienten empfohlen, die einen MI überlebt haben.“ Obwohl es einige Belege gibt, die für einen kurzfristigen Nutzen des Plättchenhemmers nach einem KV Ereignis sprechen, kommt Dr. Cleland zu dem Schluss, dass diese Vorteile selten über 4–12 Wochen hinaus beobachtet werden.

Offenlegungen: Beide Autoren erklärten, Honorare und/oder Forschungsunterstützung von Bayer und aus anderen Quellen zu erhalten.