ESC-Kongress: Statine nur bei lebenslanger Einnahme von relevantem Nutzen?

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Der frühzeitige Abbruch einer Statin-Behandlung könnte den kardiovaskulären Schutz erheblich verringern, da ein Großteil des präventiven Nutzens erst später im Leben eintritt. Das ist das Ergebnis einer Modellierungs-Studie, die auf dem kommenden Kongress der europäischen Gesellschaft für Kardiologie in Barcelona  vorgestellt wird. 

Laut Hauptautor Dr. Runguo Wu von der Queen Mary University of London deutet die Studie „darauf hin, dass Menschen im Alter von 40 Jahren mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Menschen mit bereits bestehenden Herzerkrankungen eine sofortige cholesterinsenkende Therapie erwägen sollten. Eine Unterbrechung der Behandlung, es sei denn, sie wird von einem Arzt empfohlen, scheint keine kluge Entscheidung zu sein".   

Statine sind die am häufigsten verwendeten Lipidsenker. Schätzungen zufolge nahmen 2018 mehr als 145 Millionen Menschen Statine ein. Allerdings sind ein verzögerter Behandlungsbeginn und eine schlechte Adhärenz weit verbreitet.

Die Autoren um Runguo Wu haben den Nutzen von Statinen in Abhängigkeit vom Patienten-Alter bei Therapiebeginn anhand eines Simulationsmodells geschätzt; als Grundlage für ihre Modellierung verwendeten die Wissenschaftler die Daten von 118.000 Teilnehmer großer internationaler Statin-Studien der Cholesterol Treatment Trialists' (CTT) Collaboration und von 500.000 Personen der britischen Biobank-Kohorte.

In die Berechnungen flossen individuelle Merkmale (z. B. Alter, Geschlecht) und Krankheitsverläufe ein, um das jährliche Risiko für Ereignisse wie etwa Herzinfarkt, Schlaganfall und vaskulär bedingter Tod für jeden Teilnehmer zu ermitteln. Die lipidsenkende  Behandlung bestand aus der Standarddosis eines Statins (40 mg täglich); verglichen wurden: 

  • lebenslange Therapie (bis zum Tod oder bis zum Alter von 110 Jahren)
  • Beendigung der Therapie im Alter von 80 Jahren und 
  • verzögerter Beginn der Therapie um fünf Jahre bei Teilnehmern unter 45 Jahren

Der Nutzen der Statin-Therapie  wurde in qualitätsbereinigten Lebensjahren (QALYs) gemessen. Ein QALY entspricht einem Lebensjahr bei guter Gesundheit. 

Die Forscher fanden zum einen heraus, dass ein großer Teil der durch die Statin-Therapie gewonnenen QALYs erst im späteren Leben anfiel. Zum anderen ergab die Modellierungs-Studie, dass der Nutzen der lipidsenkenden Therapie desto größer war und früher anfiel, je höher das kardiovaskuläre 10-Jahres-Risiko der Teilnehmer war. 

Bei einem Abbruch der Therapie im Alter von 80 Jahren erwies sich der geschätzte Nutzen jedoch als deutlich geringer als bei lebenslanger Therapie; dies galt vor allem für Menschen mit einem relativ geringen kardiovaskulären Risiko.

Die Studie deutet Wu zufolge darauf hin, „dass Menschen, die in ihrem 50. Lebensjahr mit der Einnahme von Statinen beginnen und diese im Alter von 80 Jahren absetzen statt lebenslang fortzusetzen, 73 Prozent des QALY-Nutzens verlieren, wenn sie ein relativ geringes kardiovaskuläres Risiko haben, und 36 Prozent, wenn sie ein hohes kardiovaskuläres Risiko haben“.  Und da das kardiovaskuläre Risiko von Frauen im Allgemeinen niedriger sei als das von Männern, bedeute dies, dass ein vorzeitiger Abbruch der Statin-Therapie für Frauen wahrscheinlich schädlicher sei als für Männer.

Für Personen unter 45 Jahren mit geringem kardiovaskulärem Risiko, d. h. einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 5 %, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, ergab die Modellierung, dass eine fünfjährige Verzögerung der Statin-Therapie geringe Auswirkungen hat: Nur zwei Prozent des potenziellen QALY-Nutzens einer lebenslangen Therapie gingen verloren. Für Menschen unter 45 Jahren mit hohem kardiovaskulärem Risiko hingegen, d. h. einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 20 %, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, ergaben die Berechnungen einen Verlust von sieben Prozent. Auch dies sei, wie Wu laut einer Mitteilung der Kardiologen-Gesellschaft erklärt, „darauf zurückzuführen, dass Menschen mit einem höheren kardiovaskulären Risiko schon früh einen Nutzen haben und durch eine Verzögerung der Statin-Therapie mehr zu verlieren haben als Menschen mit einem niedrigen Risiko“.