ESC-Kongress: Kinder mit zu wenig Schlaf die Herz-Kranken der Zukunft?
- Dr. med. Thomas Kron
- Medizinische Nachrichten
Kernbotschaften
Jugendliche, die weniger als acht Stunden pro Nacht schlafen, haben womöglich ein größeres Risiko, übergewichtig oder adipös zu werden, als Gleichaltrige mit ausreichendem Schlaf, so das Ergebnis einer Studie, die auf dem kommenden Kongress der europäischen Kardiologen-Gesellschaft vorgestellt wird. So genannte „Kurzschläfer“ hatten nach Angaben der Autoren auch vergleichsweise häufiger kardiometabolische Risikofaktoren wie vermehrtes Bauchfett, erhöhte Blutdruck, Fett- und Blutzuckerwerte.
Studie mit rund 1200 Schulkindern
„Unsere Studie zeigt, dass die meisten Teenager nicht genug Schlaf bekommen und dass dies mit Übergewicht und Merkmalen zusammenhängt, die eine Gewichtszunahme begünstigen, was sie für zukünftige Probleme prädestinieren könnte", so der spanische Studienautor Jesús Martínez Gómez vom Nationalen Zentrum für kardiovaskuläre Forschung (CNIC) in Madrid.
In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler um Gómez den Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Gesundheit bei 1229 Jugendlichen. Die Teilnehmer waren zu Beginn der Studie im Durchschnitt 12 Jahre alt und zu gleichen Teilen männlich und weiblich. Der Schlaf wurde sieben Tage lang mit einem tragbaren Aktivitätsmesser dreimal bei jedem Teilnehmer im Alter von 12, 14 und 16 Jahren gemessen. Für eine optimale Gesundheit empfiehlt die „American Academy of Sleep Medicine“ 9 bis 12 Stunden Schlaf pro Nacht für 6- bis 12-Jährige und 8 bis 10 Stunden für 13- bis 18-Jährige. Um die Analyse zu vereinfachen, wurden in der Studie acht Stunden oder mehr als optimal angesehen. Die Teilnehmer wurden in die Kategorien sehr kurze Schläfer (weniger als 7 Stunden), Kurzschläfer (7 bis 8 Stunden) und optimale Schläfer mindestens 8 Stunden) eingeteilt.
Übergewicht und Fettleibigkeit wurden anhand des Body-Mass-Index bestimmt. Die Forscher berechneten einen kontinuierlichen Score für das metabolische Syndrom, der von negativen (gesünderen) bis zu positiven (ungesünderen) Werten reichte und den Taillenumfang, den Blutdruck sowie die Blutzucker- und Blutfettwerte berücksichtigte.
Höchstens ein Drittel schlief mindestens acht Stunden
Im Alter von 12 Jahren schliefen nur 34 % der Teilnehmer mindestens acht Stunden pro Nacht, im Alter von 14 bzw. 16 Jahren sank dieser Wert auf sogar nur 23 bzw. 19 Prozent. Jungen hatten tendenziell weniger Schlaf. Jugendliche, die am meisten schliefen, hatten auch eine bessere Schlafqualität: Sie wachten nachts seltener auf und verbrachten einen höheren Anteil der Zeit schlafend im Bett. Die Prävalenz von Übergewicht/Fettleibigkeit lag im Alter von 12, 14 bzw. 16 Jahren bei 27 %, 24 % und 21 %.
Die Berechnungen ergaben, dass im Vergleich zu optimalen Schläfern das Risiko für Übergewicht/Adipositas bei sehr kurzen Schläfern im Alter von 12 bis 14 Jahren um 21 % bzw. 72 % erhöht ist. Für gleichaltrige Kurzschläfer ermittelten die Autoren ein um 19 % bzw. 29 % höheres Risiko. Ebenso wiesen sowohl Kurz- als auch Langschläfer mit 12 bzw. 14 Jahren höhere Durchschnittswerte für das metabolische Syndrom auf als Kurzschläfer mit optimalem Schlaf.
Martínez Gómez: „Die Zusammenhänge zwischen unzureichendem Schlaf und gesundheitlichen Beeinträchtigungen waren unabhängig von der Energiezufuhr und der körperlichen Aktivität, was darauf hindeutet, dass der Schlaf selbst wichtig ist.“ Sein Rat: Da Übergewicht und metabolisches Syndrom mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert seien, sollten Gesundheitsförderungsprogramme in Schulen auch gute Schlafgewohnheiten vermitteln. Außerdem könnten Eltern mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie für eine konsequente Schlafenszeit sorgten und die Bildschirmzeit am Abend einschränkten.
Warnung vor einer „stillen“ Adipositas-Pandemie
Eine zunehmende Adipositas-Prävalenz bei Kindern und Jugendlichen bereitet Pädiatern und Jugendärzten seit einigen Jahren schon große Sorgen. So warnten zum Beispiel Kinder- und Jugendärzte in Deutschland erst letztes Jahr vor einer „stillen“ Pandemie. Der Anlass: Zwei Millionen Kinder in Deutschland sind übergewichtig, davon 800.000 adipös. Die Inzidenz der Adipositas nehme in den letzten Monaten unter der COVID-19-Pandemie schleichend, aber stetig zu, so die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) und die wissenschaftliche Fachgesellschaft der Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland.
Nicht nur Corona "schuldig"
„Wir dokumentieren in unseren Spezialsprechstunden Gewichtszunahmen von bis zu 30 Kilo in 6 Monaten – Einzelfälle, aber „Rekorde“ dieser Art mehren sich. Es gibt bei Kindern einen derart klaren Anstieg an Adipositas während der coronabedingten Lockdowns, dass wir hier von einer zweiten, einer `stillen Pandemie´ sprechen“, berichtete AGA-Sprecherin Susann Weihrauch-Blüher. Zudem beobachten Kinder- und Jugendärzte bei Jugendlichen eine deutliche Zunahme der Neumanifestationen von Typ-2-Diabetes.
Exemplarisch nannten die Fachgesellschaften Zahlen aus den ambulanten Adipositas-Zentren der Kinderklinik Halle und des SPZ der Charité Universitätsmedizin Berlin: Hier werden im Vergleich zum Vorjahr bisher etwa dreimal so viel neue Typ-2-Diabetes-Fälle bei Jugendlichen mit extremer Adipositas. Schuldistanz, sozialer Rückzug, Depressionen hätten bei diesen Jugendlichen in ähnlichem Umfang zugenommen, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung von AGA, DAG und DGKJ.
Laut dem im letzten Jahr veröffentlichten Versorgungsatlas hat sich in Deutschland die Diagnose-Häufigkeit immerhin etwas verlangsamt: So wurde 2018 bei 4,6 % der Mädchen und 4,7 % der Jungen im Alter von 3 bis 17 Jahren Adipositas diagnostiziert. Im Vergleich zu 2009 entsprach dies nur einem Anstieg um 8 % bei Mädchen (2009: 4,3 %) und 15 % bei Jungen (2009: 4,1 %).
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