Erst COVID, dann vergesslich: Neurologen machen sich Sorgen

  • Dr. Bianca Bach
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  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Es gibt, wie von Univadis berichtet, Hinweise, dass auch neurologische und kognitive Störungen im Rahmen eines Post-COVID-Syndroms oder PASC (postacute sequelae of SARS-CoV-2 infection) vorkommen. So gaben nun in einer großen norwegischen Kohortenstudie 11% initial positiv auf das Virus getesteter Teilnehmer 8 Monate nach milder SARS-CoV-2-Infektion Gedächtnisprobleme an. Das waren signifikant mehr als in den 2 Kontrollgruppen: Menschen mit negativem SARS-CoV-2-Test berichteten nach 8 Monaten in 4% über Gedächtnisstörungen und zufällig aus der Allgemeinbevölkerung ausgewählte Ungetestete gaben dies in 2% an.

„Die wichtigste Erkenntnis aus der Studie ist, dass es tatsächlich auch noch Monate nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion – und offensichtlich auch nach nicht sehr schwerer COVID-19-Erkrankung – Gedächtnisprobleme geben kann“, kommentiert der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Prof. Dr. Peter Berlit aus Essen die Studie im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Es ist tatsächlich so, dass das häufiger zu sein scheint, als man so denkt.“

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hatten Menschen mit Virusnachweis nicht nur ein 4,66-fach erhöhtes Risiko für dieses kognitive Symptom. Die Mehrheit der Test-Positiven mit Gedächtnisstörungen gab zudem, gemessen an ihrem Zustand ein Jahr zuvor, eine deutliche Verschlechterung ihres allgemeinen Gesundheitszustands an. Die Studienergebnisse wurden in JAMA Network Open veröffentlicht [1].

Zwei Kontrollgruppen: Nicht-Infizierte und Ungetestete

Die Forscher um den Mikrobiologen und Infektiologen Dr. Arne Søraas von der Universität in Oslo haben COVID-19-Patienten, die nicht im Krankenhaus behandelt werden mussten, befragt und dabei vorrangig Gedächtnisprobleme unter die Lupe genommen. Berlit: „Das ist ein zentrales Thema, denn Gedächtnisstörungen beklagen die meisten. Handlungsplanung, Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Gedächtnis – das sind die 4 Bereiche, die besonders häufig betroffen zu sein scheinen.“

Die Teilnahme an der norwegischen Studie wurde allen zwischen dem 1. Februar und dem 15. April in vier großen akkreditierten Laboren in Norwegen auf das Virus getesteten Erwachsenen angeboten. Darunter waren 2.155 Test-Positive und 31.013 Test-Negative. Letztere dienten als Kontrollgruppe, ebenso wie 20.000 zufällig aus der norwegischen Allgemeinbevölkerung ausgewählte Ungetestete. Daten von hospitalisierten Teilnehmern wurden in der Studie nicht ausgewertet.

Von den letztlich rund 13.000 Teilnehmern – sie waren durchschnittlich 47 Jahre alt und zu 66% Frauen – füllten 75% sowohl die Fragebögen zu Studienbeginn als auch nach 8-monatigem Follow-up aus. Erfragt wurden neben demographischen Daten Grunderkrankungen, COVID-19-Symptome, die gesundheitsbezogene Lebensqualität aus dem RAND 36-Item Health Survey, Gedächtnisprobleme und bekannte Einflussfaktoren auf Gedächtnisprobleme, etwa Schmerzen oder Depressionen.

72 von 651 Testpositiven, 254 von 5.712 Testnegativen und 80 von 3.342 Ungetesteten gaben in der Follow-up-Befragung nach durchschnittlich 257 Tagen an, in den zurückliegenden 3 Wochen Probleme mit dem Gedächtnis gehabt zu haben. 12%, 7% und 4% berichteten über Konzentrationsstörungen.

Die Studienergebnisse ließen sich gut in die bereits vorhandene Forschung zum Thema einordnen, so Søraas. „Das passt ganz gut zu den Daten, die wir schon haben.“ Er verwies dabei auch auf eine große bevölkerungsbasierte Studie aus Großbritannien, den „großen britischen Intelligenztest“, bei dem über 80.000 Teilnehmer zu verschiedenen Zeitpunkten online ein umfangreiches kognitives Testprogramm absolvierten – mit ebenfalls deutlichen Einbußen nach einer COVID-19-Erkrankung.

Patienten lieber stationär behandeln?

41% der SARS-CoV-2-Positiven gegenüber 21% und 12% in den Kontrollgruppen gaben an, dass sich ihre allgemeine Gesundheit im zurückliegenden Jahr verschlechtert habe. Bei den COVID-19-Patienten mit Gedächtnisstörungen meinten das sogar 82%. Niedergeschlagenheit, Energielosigkeit oder Schmerzen waren in den Gruppen übrigens ähnlich verteilt.

„Die Ergebnisse geben starken Anlass, die Vorstellung, COVID-19 könne eine milde Erkrankung sein, noch einmal zu überdenken“, so die Autoren. „Auch stellt sich die Frage, ob die derzeitige Strategie, Patienten zu Hause zu behandeln, für das Langzeitergebnis optimal ist.“

Letzteres sieht Berlit zurückhaltender: „Es gibt ja – losgelöst von COVID-19 – durchaus nicht so schlechte Daten, dass auch eine ambulant geführte Neuro-Rehabilitation zielführend sein kann.“

Unter Verweis auf die im Juli 2021 publizierte Post-COVID-Leitlinie plädierte er diesbezüglich für eine Vorauswahl der Patienten, zunächst beim Haus- und dann gegebenenfalls noch beim Facharzt. „Es gibt ja durchaus ein paar Suchtests, etwa das Mini Mental State Exam, die zunächst in der hausärztlichen Praxis gemacht werden können.“ Bei Auffälligkeiten außerhalb der Altersnorm sei dann die Überweisung zum Facharzt indiziert, der über die Notwendigkeit einer neurologischen Rehabilitations-Behandlung entscheiden kann.

Keine objektiven neuropsychologischen Tests

Dass nur 24% der ursprünglich Kontaktierten letztlich an der norwegischen Studie teilgenommen haben und die Antworten möglicherweise auch dadurch verfälscht sein könnten, dass die Teilnehmer ihren SARS-CoV-2-Status kannten, schränkt die Aussagekraft der Studie möglicherweise etwas ein.

Ein weiteres Manko ist das Fehlen objektiver neuropsychologischer Tests. „Das ist wirklich auch ein Problem dieser Studie, dass da ja eine subjektive Wahrnehmung erfasst wurde“, sagt Berlit. Habe man Patienten in der neurologischen Praxis oder Klinik, ließen sich leichter objektive Daten erheben. Auch könne man die verschiedenen kognitiven Störungen besser differenzieren.

Entsprechend ist auch die neuropsychologische Ausgangslage unsicher. „Vorerkrankungen wurden zwar erfasst, aber ein ‚mild cognitive impairment‘ wäre bei dem Studiendesign vermutlich übersehen worden“, sagt Berlit. Hier hält er die britische Studie für eindrücklicher, auch wenn diese ebenfalls auf einer Eigentestung der Teilnehmer beruhte. „Sie haben ja diese 80.000 Leute kontinuierlich registriert und in dieser fortlaufenden Studie dann die erfasst, die zwischendurch COVID-19 bekommen haben. Und speziell diese haben dann die zum Teil dramatischen Verschlechterungen gezeigt.“

Pathogenetische Zusammenhänge aufklären

Wichtig sind jetzt gezieltere Untersuchungen. Es müsse einiges unternommen werden, um eine Ursachenklärung herbeizuführen, so Berlit. „Das ist wichtig, weil man nur dann gezielt wird helfen können.“

Forschungsergebnisse, die auf mögliche pathogenetische Zusammenhänge hindeuten, gibt es bereits. „Man hat Hinweise darauf, dass das Ganze autoimmun getriggert sein kann und wir haben Hinweise darauf, dass metabolische Vorgänge im Gehirn dabei eine Rolle spielen“, so der Neurologe. Ferner kommen Viruspersistenz und tatsächliche Veränderungen nervaler Strukturen in Frage. Darauf deuten beispielsweise Untersuchungen der Nervenfaserdichte am Auge hin. Berlit: „Dass man das natürlich auseinanderdividieren muss, ist wichtig, weil die Therapie dann natürlich auch eine unterschiedliche ist.“

Um genauere Aussagen zu Gedächtnisstörungen als PASC-Symptome treffen zu können, seien zudem längere Nachbeobachtungen nötig, so die Autoren. Auch müsse genauer untersucht werden, welche Art von Gedächtnisstörungen PASC-spezifisch seien, zum Beispiel, ob eher das Arbeits- oder eher das Langzeitgedächtnis betroffen ist.

Der Artikel ist im Original erschienen auf Medscape.de.