ERS 2022 – Können die therapeutischen Erfolge bei COVID-19 beim akuten Atemnotsyndrom repliziert werden?

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In einer Sitzung mit dem Titel „Beyond COVID: translating COVID treatment successes to all-cause ARDS“ die von Judith García-Aymerich, Spanien,  Miriam Barrecheguren Fernández Spanien, und Marc Humbert, Frankreich, geleitet wurde, sprechen Experten über Möglichkeiten, wie die Erkenntnisse aus unserem Kampf gegen das COVID-19-induzierte akute Atemnotsyndrom (ARDS) die zukünftigen therapeutischen Interventionen und Infrastrukturen für ARDS anderer Ursachen anleiten könnten.

 

Identifizierung behandelbarer Merkmale (Tiffanie Jones, USA)

Dr. Jones Vortrag beginnt damit, der Bedeutung der multidimensionalen Beurteilung klinisch wichtiger Merkmale die Anerkennung zu geben, die diese laut des Paradigmas „behandelbare Merkmale“, das erfolgreich zur Behandlung komplexer Atemwegserkrankungen wie Asthma angewendet wurde, zusteht. Die Merkmale müssen klinisch relevant und innerhalb der Population identifizierbar, bestimmbar und behandelbar sein. Ebenso könnten biologische Muster, darunter Schädigungen des Epithels und Lungenödeme, die durch Plasmatests identifizierbar sind, als behandelbaren Merkmale für ARDS definiert werden – viele Fragen bleiben jedoch unbeantwortet. Bei COVID-19-ARDS erreichen die Marker für alveoläre Verletzungen (z. B. RAGE) ihren Höhepunkt ziemlich früh, während die Werte der Marker für Endothelverletzungen später ansteigen. Die lösliche Form des RAGE (sRAGE) ist mit einer Beeinträchtigung der Clearance der alveolären Flüssigkeit (AFC) assoziiert. Bei COVID-19 erhöhen sich die sRAGE-Serumswerte mit zunehmendem Schweregrad der Erkrankung, was auf die Möglichkeit einer Verwendung als Biomarker zur Prognose der Mortalität und der Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung hinweist. Bei Nicht-COVID-ARDS wirkt sRAGE als kausales Zwischenprodukt, wobei Personen mit einem Risiko für ARDS durch höhere Plasmawerte identifiziert werden. Alle Evidenzen werfen die brennende Frage auf: Ist die mit dem RAGE-Signalweg zusammenhängende alveoläre Verletzung modifizierbar? Es wurde gezeigt, dass durch die Inhibition des RAGE in einem Mausmodell mit säureinduzierter Lungenschädigung die AFC wiederherstellt wurde. Eine zentrale Herausforderung für behandelbare ARDS-Merkmale – die Ungewissheit über die Zielpopulation – könnte durch prognostische und prädiktive Anreicherungsstrategien gelöst werden.

 

Überarbeitung der anti-inflammatorischen Strategie (Manu Shankar-Hari, UK)

Dr. Shankar-Hari verneint die Idee, dass Entzündungen von Natur aus schlecht sind, und betont, dass die meisten humanen Erkrankungen zwar ein gewisses Maß an Entzündungen beinhalten, diese aber durchaus notwendig und auch nützlich sind. Viele der Entzündungswege, die durch Infektionen, Verletzungen oder Gewebestress ausgelöst werden, sind möglicherweise bei komplexen Erkrankungen wie der Sepsis und der ARDS aktiv und verwässern dadurch das Konzept individueller Krankheitsentitäten. Weiterhin sprach er sich für die Verwendung des Begriffs „counter-inflammatorisch“ anstelle von „anti-inflammatorisch“ aus, um eine Strategie zu erklären, die selektiv auf Signalwege abzielen würde, die nicht zur Wirtsresistenz beitragen. Darüber hinaus kann die Analyse von Zytokin-Knotenpunkten mithilfe moderner molekularer Technologien das klinische Ansprechen bei immunvermittelten entzündlichen Erkrankungen (IMIDs) verbessern. Schett G. et al. (2021) zeigten, dass TNF-α einen gängigen, downstream wirkenden Effektor-Signalweg darstellt. Die Blockierung des Pfads wäre bei allen IMIDs der Gelenke und des Darms wirksam, während die Blockierung von Interleukin(IL)-6 nur bei der juvenilen idiopathischen Arthritis und der rheumatoiden Arthritis von Nutzen wäre.

Vor diesem Hintergrund diskutiert Dr. Shankar-Hari eine Strategie zur Entwicklung eines zytokinbasierten ARDS-Modells. Er zitiert COVID-19-Ergebnisse, als Beispiel die IL-8-Blockade mit Reparixin, und hebt die Existenz potenzieller Targets bei ARDS hervor, ebenso wie die vielversprechenden Aussichten zukünftiger klinischer Studien zu Glukokortikoiden gegen ARDS.

 

Inhibition pulmonaler Gefäßleckagen (Jurjan Aman, Niederlande)

Dr. Aman nennt die Gründe für die Entwicklung eines Medikaments, das die Integrität der Verbindung endothelialer Zellen unterstützt und Gefäßleckagen verhindert: erstens, die Störung der Endothelbarriere führt zu einem schweren ARDS-Phänotyp; zweitens, die Verbesserung von Downstream-Effektoren (in diesem Fall die Gewebeschädigung) kann zusätzlich zu den gezielten Wirkungen auf die Auslöser oder Mediatoren auch synergistische Wirkungen zeigen; und drittens, das Endothel bildet einen Engpass für Entzündungsmediatoren und bietet hierdurch miteinander verflochtene endotheliale Signalwege, von denen jeder einzelne zur Blockierung der zu einem entzündlichen Ödems auslösenden Signalkaskade eingesetzt werden könnte. Dennoch haben wir nach mehr als 2 Jahren des Kampfes gegen COVID-19 noch kein direkt gegen Gefäßlecks wirkendes Medikament vorliegen, obwohl diese eine entscheidende Rolle bei der COVID-19-ARDS spielen. Positiv zeichnet sich aus, dass Imatinib die klinischen Ergebnisse bei schwerer COVID-19 verbessert und den extravaskulären Lungenwasserindex bei ausgewählten Patienten mit COVID-19-ARDS senkt. Daher könnte es möglicherweise zur Behandlung pulmonaler Gefäßlecks eingesetzt werden. Die Solidarity-Studie der WHO rekrutiert derzeit COVID-19-Patienten für eine Imatinib-Behandlung. Apropos Alternativen: AV-001 und Bevacizumab werden ebenfalls in klinischen Studien der Phase II/III untersucht. Zudem besteht ein ungedeckter Bedarf der Identifizierung von Biomarker, durch die Gefäßlecks direkt bestimmt werden können.

 

Vision adaptiver Plattformstudien (Carolyn Calfee, USA)

Zu Beginn stellt Dr. Calfee eine adaptive Studie als eine Studie vor, in der mehrere Merkmale, einschließlich der Stichprobengröße, der randomisierten Zuweisung und der Interventionen, im Verlauf der Studie angepasst werden können, wobei eine adaptive Plattformstudie das Konzept noch weiter erweitert, um die Beurteilung mehrerer verschiedener Medikamente zur Behandlung einer einzelnen Erkrankung im Vergleich zu einer gemeinsamen Kontrolle zu ermöglichen. Mit dem Aufkommen von COVID-19 erzielten RECOVERY, REMAP-CAP, Solidarity und ACTIV-3 TICO – alle adaptive Plattformstudien – eine enorme Wirkung. Ihre zahlreichen Vorteile, wie z. B. die Bewertung mehrerer Wirkstoffe ohne die Infrastruktur neu aufbauen zu müssen, werden jedoch von ebenso vielen Hürden begleitet – eine davon sind die einheitlichen Eignungsvoraussetzungen für alle Wirkstoffe, die die Wirkstoffe letztendlich für nichts und niemanden optimal geeignet machen. Diese Studien lieferten uns wertvolle Lektionen über die Bedeutung der Zusammenarbeit zur Sicherstellung großer Probenzahlen und passender Kontrollen, die zukünftigen ARDS-Studien in der Intensivmedizin als Anleitung dienen sollten. Nichtsdestotrotz stehen Intensivpflege-Studien nach wie vor vor mehreren Herausforderungen: (a) Phase-II-Studien sind weiterhin schwierig und gehen mit Unsicherheiten bezüglich der primären Endpunkte einher, (b) fehlende Langzeitergebnisdaten, (c) Pragmatismus versus Perfektion, (d) Ineffizienzen bei der Datengewinnung und (e) Heterogenität. Während die Heterogenität in adaptiven Studien möglicherweise adressiert werden kann, sollten wir in Zukunft Plattformstudien auf der Grundlage des Konzepts von Biomarker-Signaturen anstreben. Außerdem könnte das Miteinbeziehen einer Echtzeitphänotypisierung, wie sie in der I-SPY COVID/ARDS-Studie versucht wurde, die nächste Zielsetzung bei ARDS darstellen.