Erneut Kritik an Krebs-Früherkennungs-Untersuchungen

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Seit es Krebs-Früherkennungs-Untersuchungen gibt, werden Zweifel am Nutzen des Screenings geäußert. Gestützt werden die Zweifler nun durch eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse. Leider seien die Ergebnisse dieser Analyse in den deutschen Medien kaum kommuniziert worden, kritisieren der Berliner Psychologe Professor Dr. Gerd Gigerenzer und seine Mitstreiter vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Seit einigen Jahren bemühen sie sich um mehr Statistik- und Daten-Kompetenz der Bürger bemüht.

Zwei wichtige neue Nachrichten zur Krebs-Früherkennung

In wenigen Tagen werde die Welt wieder pink, denn es beginne der Brustkrebsmonat Oktober, heißt es in einer Mitteilung des Teams um Gigerenzer. Passenderweise habe es in den vergangenen Wochen zwei wichtige neue Nachrichten zur Krebs-Früherkennung gegeben: „Die Erste: Das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, der Gemeinsame Bundesausschuss, kündigte am 21. September an, die Altersgrenze der kostenlosen Brustkrebsfrüherkennung für gesetzlich Versicherte von 69 auf 75 Jahre anzuheben.“

Die zweite Nachricht sei die von der bisher umfangreichsten Metastudie zu sechs Krebs-Früherkennungs-Untersuchungen mit über zwei Millionen Teilnehmern, erschienen im US-Fachmagazin „JAMA Internal Medicine"

Lebensverlängerung nur durch die Sigmoidoskopie?

Wie von „Univadis“ berichtet, fanden die Autoren keinen Hinweis, dass eine Teilnahme am Mammografie-Screening das Leben verlängert. Das gilt auch für Prostatakrebs-Screening mit PSA-Test, Stuhltest und Koloskopie für Darmkrebs und Niedrigdosis-Computertomographie (CT) für Lungenkrebs. Nur die Sigmoidoskopie scheint das Leben zu verlängern - um etwa drei Monate.

Ausgewertet hatte das Team aus norwegischen, schwedischen und polnischen Forschern 18 randomisierte klinische Studien. Das primäre Ergebnis waren die gewonnenen Lebensjahre beim Vergleich zwischen gescreenten und nicht gescreenten Gruppen. Die mediane Nachbeobachtung betrug zehn Jahre bei der Computertomografie für Lungenkrebs, einem Test auf prostataspezifisches Antigen für Prostatakrebs und der Koloskopie für Darmkrebs, 13 Jahre bei der Mammografie und 15 Jahre bei der Sigmoidoskopie und dem Test auf okkultes Blut im Stuhl. Eingeschränkt wird die Aussagekraft der Daten-Analyse den Autoren zufolge möglicherweise durch eine zu geringe Dauer der ausgewerteten Studien und zu geringe Zahl an Teilnehmern. 

Schlussfolgerung der Metaanalyse ausreichend begründet?

Kritisch zu der Metaanalyse äußerte sich der britische Screening-Experte Professor Stephen Duffy  von der Queen Mary University of London: „Aufgrund des Titels hätte man erwarten können, dass diese Studien-Auswertung auf der Analyse individueller Lebenszeitdaten beruht. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Schlussfolgerungen der Autoren beruhen auf einer arithmetischen Manipulation der relativen Raten der Gesamtmortalität in einigen der Screening-Studien.“ Laut Duffy ist es daher schwierig, der Behauptung Glauben zu schenken, dass das Screening die Lebenserwartung weitgehend nicht verlängert. Darüber hinaus könne die Verwendung des Parameters Gesamtmortalität zu irreführenden Ergebnissen führen. Außerdem sei es besorgniserregend, „dass die Metaanalyse  die kanadische National Breast Screening Study einschließt“. Denn es gebe inzwischen öffentlich zugängliche Beweise für die fehlgeschlagene Randomisierung in dieser Studie.

Fazit von Duffy: „Aus diesem Grund wird die Schlussfolgerung, dass Krebs-Vorsorgeuntersuchungen die Lebenserwartung im Allgemeinen nicht erhöhen, durch die Belege nicht gestützt."

Zweifel am Screening in Deutschland zu wenig beachtet?

Über die Metaanalyse sei, klagt allerdings das Autorenteam um Gigerenzer, in Deutschland anders als in anderen Ländern so gut wie nichts zu hören und lesen gewesen. Eine begrenzte Online-Suche für die vergangenen vier Wochen habe in Deutschland 24 Medienberichte über die Ausweitung des Mammografie-Screenings auf 75 Jahre ergeben, aber nur vier über die Metastudie, und zwar in medizinischen Fachmedien, die von der allgemeinen Bevölkerung kaum gelesen würden. 

In Deutschland werde mit dem Slogan „Screening rettet Leben“ geworben. Also denke man, es sei bewiesen, dass man mit Screening länger statt ohne Screening lebe. Dem sei jedoch nicht so – mit der möglichen Ausnahme der kleinen Darmspiegelung, heißt es in der Mitteilung des Berliner Psychologen und seiner Mitautoren.

Rosa Schleifchen, Teddybären und Flamingos

Der Gemeinsame Bundesausschuss behaupte auch nicht, einen Nachweis einer Verlängerung des Lebens durch Mammographie-Screening bei Frauen in irgendeinem Alter zu haben, sondern definiere Nutzen lediglich als Verringerung der brustkrebsspezifischen Sterblichkeit. Diese liege bei Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren bei 1 in je 1000 Frauen. Es sei jedoch schon lange bekannt, dass unter jenen, welche zur Früherkennung gehen, zugleich 1 in je 1000 Frauen mehr mit einer anderen Krebsdiagnose sterbe. Also stürben gleich viele Frauen an Krebs (einschließlich Brustkrebs), mit oder ohne Mammografie-Screening. Damit werde klar, warum das Screening kein Leben rette oder verlängere. Diese Erkenntnisse könnte man Gigerenzer und seinen Kollegen zufolge ehrlich allen Frauen erklären. Doch stattdessen würden „im Brustkrebsmonat Oktober von Promis rosa Schleifchen, Teddybären und Flamingos verteilt“.