Elektrokonvulsionstherapie auch für psychisch schwer kranke Kinder eine Option

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Die Elektrokonvulsionstherapie ist nicht nur bei Erwachsenen, sondern vermutlich  auch bei Kindern und Jugendlichen mit schweren psychischen Erkrankungen wie der Depression sicher und wirksam. Dies lässt unter anderen eine retrospektive Studie mit 32 Kindern und Jugendlichen schlussfolgern, die kürzlich im „Journal of ECT" erschienen ist. 

Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist eines der wirksamsten Verfahren zur Behandlung von Patienten mit schweren depressiven und psychotischen Erkrankungen. Im Vergleich zu Erwachsenen werden Kinder und Jugendliche jedoch noch seltener mit dem Verfahren behandelt. Dies könnte unter anderem daran liegen, dass es im Gegensatz zu Erwachsenen bei Kindern und Jugendlichen keine großen Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode gibt. 

Forscher vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim sowie der Universitäten Göttingen und Rostock haben die EKT daher in einer Studie mit 32 Kindern und Jugendlichen geprüft, die alle schwere psychische Erkrankungen hatten. Medikamente und Psychotherapie hatten bei ihnen keine Wirkung gezeigt. Die Probanden waren 12 bis 17 Jahren alt und wurden zwischen 2010 und 2020 in drei psychiatrischen Universitätskliniken in Deutschland behandelt. Beurteilt wurde der Effekt der EKT mit dem „Clinical Global Impression Severity Score (CGI-S) auf der Grundlage elektronischer Krankenakten.

Ansprechrate knapp 41 Prozent, keine schweren Nebenwirkungen

Nach Angaben der Autoren verbesserten sich die CGI-S-Scores signifikant von vor bis nach der EKT (6,9 versus 3,9, P < 0,01). Fast 41 Prozent der Patienten sprachen auf die Therapie an (CGI ≤ 3); knapp 22 Prozent waren nach der Behandlung sogar symptomfrei oder fast symptomfrei (CGI ≤ 2). Fünf Patienten berichteten über subjektive kognitive Nebenwirkungen, zwei Patienten hatten einen verlängerten Krampfanfall, ein Patient berichtete über Kopfschmerzen, ein Patient hatte eine leichte allergische Reaktion nach der Anästhesie mit Etomidat. Schwere Nebenwirkungen seien nicht aufgetreten, berichten die Autoren; zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen hätten gar keine Nebenwirkungen gehabt.

„Unsere Daten unterstreichen, dass die Elektrokonvulsionstherapie auch bei Kindern und Jugendlichen sehr sicher und wirksam ist“, sagt Dr. Sebastian Karl, Arzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) und einer der Autoren der Studie. „Dennoch brauchen wir dringend große kontrollierte Studien, die EKT bei Kindern und Jugendlichen systematisch untersuchen“,. so der Psychiater in einer Mitteilung des ZI

Bei der Auswertung der Daten fiel den Forschern auf, dass das Ansprechen auf die EKT damit zusammenhing, wie viele andere Behandlungen die Betroffenen im Vorfeld erhalten hatten: Die Zahl der erfolglosen medikamentösen Therapien in den 6 Monaten vor der EKT war signifikant mit dem Ansprechen (Odds Ratio 0,54; P = 0,028) und der Remission (Odds Ratio 0,31; P = 0,048) verbunden. „Das legt nahe, dass schwer psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche davon profitieren könnten, früher im Behandlungsverlauf eine EKT angeboten zu bekommen“, wird Professor Dr. Alexander Sartorius, Oberarzt und Leiter der Arbeitsgruppe Translationales Imaging am ZI, in der Mitteilung zitiert. 

„Es wäre wünschenswert, wenn weitere Zentren als die drei genannten Kliniken in Deutschland EKT als eine Behandlungsmöglichkeit für Jugendliche mit schweren depressiven und psychotischen Erkrankungen anbieten würden. Häufig bestehen sehr lange Wartezeiten für eine EKT und kaum zumutbare Anfahrtswege für Eltern und ihre schwer erkrankten Kinder“, so Dr. Boris Rothermel, ebenfalls Oberarzt am ZI.

Systematische Studienanalyse stützt EKT für Kinder

Rückenstärkung hat die Elektrokonvulsionstherapie für Kinder erst kürzlich auch durch eine systematische Studienanalyse erhalten (Eur Child Adolesc Psychiatry). Ausgewertet wurden 41 Studien, bei zwanzig Studien handelte es sich um Fallserien, bei zwei um Fall-Kontroll-Studien und bei neunzehn um Fallberichte. Die Gesamtansprechraten auf die Behandlung reichten von 51 % bis 92 %, wobei die Patienten im Durchschnitt 12 Behandlungen erhielten. Bei den Studien mit n > 30 lagen die Ansprechraten bei Depressionen bei 70 bis 82 Prozent und bei Manien bei 87 bis 90 Prozent. In sieben Studien wurde der Mini-Mental-State-Test durchgeführt; es wurden keine Hinweise auf signifikante kognitive Beeinträchtigungen nach der Behandlung gefunden. Die meisten Nebenwirkungen seien geringfügig und vorübergehend gewesen. Bei vier (0,6 %) Patienten wurde ein tardiver Krampfanfall gemeldet. In 11 (1,5 %) Fällen wurde die EKT aufgrund von Nebenwirkungen vorzeitig abgebrochen. Todesfälle seien nicht berichtet worden. Die Daten deuten den Autoren zufolge darauf hin, dass die EKT für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Stimmungsstörungen sicher und wirksam ist und in schweren und behandlungsresistenten Fällen in Betracht gezogen werden sollte. Es seien nun kontrollierte Studien langfristiger Nachbeobachtung erforderlich, um die Evidenzbasis zu erweitern, betonen die Autoren.