Eine junge Frau mit einer akuten Gesichtslähmung

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Die akute Fazialisparese hat ein breites Spektrum an Differentialdiagnosen; dazu zählen unter anderen Infektionen und Tumoren. Die häufigste Ursache ist die Bellsche Lähmung, die jedoch eine Ausschlussdiagnose darstellt. Dabei sollte auch eine Ursache in Erwägung gezogen werden, die Brooke Bocklud und Gauri Mankekar (Louisiana State University Health Shreveport) bei einer jungen Frau entdeckt haben.

Die Patientin und ihre Geschichte

Die etwas über 30 Jahre alte Patientin ist wegen einer fortschreitenden Gesichtslähmung links in die HNO-Klinik der Louisiana State University überwiesen worden. Wie die US-Autoren berichten, hörte die Frau zwei Wochen vor Beginn der Lähmung ein lautes Knacken, als sie den Mund zum Trinken weit öffnete. Dann folgten stechende Schmerzen auf der linken Seite ihres Gesichts und Halses. Von ihrem Hausarzt erhielt sie wegen einer vermuteten Infektion der Speicheldrüsen Antibiotika; die Symptome verbesserten sich allerdings nicht. Schließlich  entwickelte sich eine linksseitige Gesichtslähmung. Ein externer HNO-Arzt behandelte die Patientin zwei Wochen  mit oralen Steroiden und Valacyclovir und überwies sie dann in die Klinik.

Die Befunde

  • Patientin mit Trismus, Druckempfindlichkeit im linken retromandibulären Bereich und Schmerzen beim Öffnen des Kiefers um mehr als 2-3 cm
  • Keine Hinweise auf eine Entzündung oder Sialadenitis (Blutsenkungsgeschwindigkeit und C-reaktives Protein im Normbereich)
  • Keine tastbaren Ohrspeicheldrüsen
  • Otoskopisch unauffällige Gehörgänge und Trommelfelle
  • Weber-Untersuchung: keine Lateralisation
  • Rinne-Untersuchung: beidseitiger Normalbefund
  • Audiogramm: Normalbefund
  • Klassifikation der Fazialisparese: House-Brackmann Grad IV links (moderat schwere Dysfunktion)
  • Varizellen-IgG-, Varizellen-IgM- und Borrelia burgdorferi-Antikörper: alle negativ
  • Differentialblutbild mit Ausnahme einer erhöhten Anzahl weißer Blutkörperchen unauffällig
  • Computertomographie: links Styloidfraktur in der Nähe des Foramen stylomastoideum, die möglicherweise auf den Gesichtsnerv drückte
  • Magnetresonanztomographie: Entzündung im Bereich des Foramen stylomastoideum, r keine Anzeichen von Tumoren


Diagnose: Eagle-Syndrom mit Fraktur des Styloidfortsatzes

Behandelt wurde die Patientin konservativ mit Kortikosteroiden und Valacylvir. 
Etwa einen Monat nach dem ursprünglichen Vorfall zeigte die Patientin eine deutliche Verbesserung ihrer linken Gesichtsasymmetrie. Sie hatte weiterhin Schmerzen im linken Infraaurikularbereich, konnte aber gähnen und essen, ohne dass sie Beschwerden hatte. 
Die Funktion des linken Gesichtsnervs verbesserte sich (House-Brackmann-Grad I).

Diskussion

Das Eagle-Syndrom entsteht durch einen verlängerten Styloidfortsatz oder eine Verkalkung des Ligamentum stylohyoideum, die nahe gelegene Strukturen zusammendrücken und zu Schmerzen führen kann, die durch Nackenbewegungen ausgelöst werden.

Beim klassischen Typ stehen laut Professor Dr. Dr. Max Heiland (Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Charité) ein Fremdkörpergefühl im Hals und Schluckbeschwerden im Vordergrund; dies könne einhergehen mit dumpfen Schmerzen, die beim Schlucken und Gähnen stärker würden. Erklärt werde das als intermittierende kompressive Neuropathie von Ästen der Hirnnerven V, VII, IX und X, wobei der N. glossopharyngeus am häufigsten betroffen sei; die glossopharyngeale Neuralgie müsse daher als Differenzialdiagnose abgegrenzt werden.

Beim so genannten Karotistyp des Eagle-Syndroms komme es zu Kompressionen der großen Halsgefäße. Sei die A. carotis interna betroffen, hätten die Patienten außer Schmerzen insbesondere neurologische Symptome wie Schwindel, Synkopen und ein Horner-Syndrom. Auch plötzliche Todesfälle seien beschrieben worden. Würden Äste der A. carotis externa komprimiert, litten die Patienten vor allem unter ipsilateralen Schmerzen im Gesichts- und Halsbereich. Kompressionen der V. jugularis Interna (kein eigentliches Eagle-Syndrom) könnten zu Kopfschmerzen und venösen Hypertensions-Syndromen führen. Da die A. carotis interna und die V. jugularis medial des Processus styloideus verliefen, könne es durch kontralaterale Kopfrotationen zur Zunahme der Symptome kommen.

Laut Heiland sollte bei Patienten mit chronischen Beschwerden im Kiefergelenk- und/oder oberen Halsbereich sowie Schluckstörungen und einem Globusgefühl immer auch ein Eagle-Syndrom in Betracht gezogen werden. Dies gelte vor allem bei der Symptomtrias perianguläre Schmerzen, Fremdkörpergefühl im Hals und Schluckbeschwerden. Für die Diagnose reiche meist eine Panoramaschichtaufnahme. Außer der Länge sei auch die Angulation des Processus styloideus für die klinische Symptomatik relevant.  

Die konservative Basistherapie lasse sich in Erstlinienanalgetika wie nichtsteroidale Antirheumatika einerseits und alternative Strategien (Kombination von Antikonvulsiva, Antidepressiva und lokalen Injektionen) andererseits unterteilen. In den meisten Fällen sei die operative Kürzung des Processus von intraoral möglich.