Eine junge Frau, eine trügerische Schlange und ein dicker Daumen

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Jedes Jahr sterben schätzungsweise fast 140 000 Menschen an Schlangenbissen. In Westeuropa sind Schlangenbisse sehr selten und in der Regel nicht lebensbedrohlich; sie können dennoch unangenehm sein, wie die Krankengeschichte einer 24-jährigen Frau zeigt, die Dermatologen der Universitätshautklinik Mainz schildern.

Die Patientin und ihre Geschichte

Die junge Frau stellte sich notfallmäßig in der Universitätshautklinik vor, nachdem sie zwei etwa zwei Stunden zuvor während der Fütterung ihrer Hakennasennatter (Heterodon nasicus) am linken Daumen gebissen worden war. Die Schlange habe sich für etwa zehn Minuten festgebissen,; erst dann sei es der Patientin gelungen, die Natter zu entfernen. Innerhalb von wenigen Minuten sei der linke Daumen angeschwollen. Allergien oder Unverträglichkeiten seien nicht bekannt gewesen.

Die Befunde

Deutliche Schwellung des linken Daumens und kleine Erosion der Nagelfalz am Ort des Bisses 

Therapie und Verlauf 

Die Konsultation der Giftnotrufzentrale ergab den Autoren zufolge, dass kein spezifisches Antidot für das Gift der Hakennasennatter verfügbar sei; allerdings sei eine systemische Giftwirkung auch nicht zu erwarten gewesen, berichten die Mainzer Dermatologen. Die Empfehlungen der  Experten lauteten: klinische Überwachung und Gerinnungskontrollen, ebenso eine symptomatische Behandlung der Lokalreaktion sowie eine antiseptische und ggf. antibiotische Therapie. 

Die Patientin wurde daraufhin lokal antiseptisch mit Octenidin über mehrere Tage behandelt, außerdem erhielt sie 100 mg Methylprednisolon und eine Ampulle Dimetindenmaleat als Kurzinfusion. Darüber hinaus wurde eine Antibiotika-Therapie  (Amoxicillin/Clavulansäure 875 mg/125 mg 2-mal täglich über 5 Tage) verschrieben und zudem die Überprüfung des Tetanusschutzes empfohlen

Diskussion und Empfehlungen

Die westliche Hakennasennatter gehört , wie die Autoren erklären, zur Familie der Nattern und ist in Mexico und Nordamerika beheimatet. Sie ernährt sich von Insekten, Mäusen und Kröten. Die überwiegende Zahl aller Nattern weltweit sei für Menschen relativ ungefährlich, da ihr Gift zu schwach sei, um Menschen wesentlich schaden zu können. 

Da die Hakennasennatter nur kleine, hinten im Schlangenmaul liegende, gefurchte Giftzähne hat, zählt sie zu den so genannten Trugnattern. Giftnattern hingegen hätten lange gefurchte Zähne im vorderen Teil des Mauls, erklären die Dermatologen außerdem. Um überhaupt eine wirksame Menge Gift zu applizieren, müsse eine Hakennasennatter ihre Beute deshalb „besonders lang im Maul festhalten und mit kauenden Bewegungen das Gift einmassieren“.  Biss-Unfälle seien zumeist auf Fütterungsversuche zurückzuführen. Besonders häufig passiere dies, wenn lebende Tiere, beispielsweise Mäuse, ohne dicke Handschuhe gereicht würden. Die Schlange könne nicht zwischen Beutetier und der Hand des Schlangenhalters unterscheiden. 

Es gibt den Autoren zufolge keine offiziellen Zahlen, wie häufig die Hakennasennatter in Deutschland oder Europa als Haustier gehalten wird. Weitere Schlangen außer der Hakennasennatter, die als Haustier gehalten würden, seien zum Beispiel die harmlose Kornnatter, aber auch Riesen- und Giftschlangen. Schätzungen aus der Halterszene zufolge würden in Deutschland ca. 250.000 Riesen- und 100.000 Giftschlangen gehalten. 

Bei einem Biss der Hakennatter seien in publizierten Fallberichten Ödeme unterschiedlichen Schweregrades, unkomplizierte Risswunden und lokale Schmerzen beschrieben worden. Die Stärke der Reaktion habe meist mit der Dauer des Bisses korreliert. Unklar sei bisher, ob die klinischen Symptome durch die toxische Wirkung des Sekrets oder auf eine Typ- I-Hypersensitivität oder eine Kombination von beidem zurückzuführen sei.

Außer den beschriebenen lokalen Effekten sei 2019 erstmals eine systemische Reaktion auf den Biss einer Hakennasennatter beschrieben worden. Folge des Bisses sei eine Thrombozytopenie gewesen, die sich im Verlauf von vier  Monaten nach dem Biss unter symptomatischer Therapie stabilisiert habe. Dies legt nach Angaben der Autoren nahe, nach einem Schlangenbiss die Gerinnungswerte und das Blutbild zu kontrollieren. Zur Vermeidung einer Superinfektion könne mit einem β-Laktam-Antibiotikum behandelt werden. Eine spezifische Behandlung nach Schlangenbiss der Hakennasennatter existiert nicht. 

Jedes Jahr werden Literaturangaben zufolge weltweit zwischen 1,8 und 2,7 Millionen Menschen von Schlangen gebissen. Der Biss kann ein sehr dynamisches klinisches Ereignis darstellen. Die Symptome können sich schrittweise verschlimmern und zu einem lebensbedrohlichen Notfall werden. Schlangenbisse können langfristige körperliche Folgen wie Amputationen, Lähmungen und Behinderungen sowie psychische Folgen haben.

Spezialisten um den Tropenmediziner Professor François Chappuis (Genf) empfehlen im Falle eines Schlangenbisses unter anderem: 

  • Ruhigstellung der gebissenen Gliedmaße beim Transport des Patienten in eine medizinische Einrichtung; der allgemeine Einsatz von Druckimmobilisierung ist umstritten, Tourniquets werden nicht empfohlen
  • Beurteilung der Vitalparameter und Einleitung von Wiederbelebungsmaßnahmen, wenn der Patient klinisch instabil ist und Anzeichen von Blutungen, Schock, Lähmungen oder Atemnot aufweist
  • Intravenöses Antivenom bei Patienten mit systemischen Symptomen; die Dosis und der Typ hängen von der wahrscheinlichen Schlangenart, den lokalen Richtlinien und der Verfügbarkeit ab.