Eine Frau und ein süßes, aber leider bissiges Eichhörnchen

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften 

Die Diagnose der Tularämie wird in Deutschland nicht oft in Betracht gezogen, da die Krankheit hierzulande noch selten ist. Francisella tularensis, der Erreger der Tularämie, kann jedoch viele Tierarten infizieren und sollte daher als gefährlicher Erreger nicht vernachlässigt werden. Dafür spricht zum Beispiel die Krankengeschichte einer Frau, die von einem Eichhörnchen gebissen wurde. 

Die Patientin und ihre Geschichte

Die 59-jährige Frau stellte sich in der Notaufnahme des Katharinen-Hospitals Frechen vor, nachdem sie von einem wilden roten Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) gebissen worden war. Sie habe das Tier bei einem Spaziergang regungslos auf dem Boden liegen sehen, so die Angaben der Frau. Als sie versucht habe, das Eichhörnchen zu untersuchen, habe es sie in den vierten Finger der rechten Hand und in den zweiten Finger der linken Hand gebissen. Nach der Wundreinung sei noch am selben Tag mit einer Antibiotikatherapie begonnen worden (Cefuroxim 500 mg oral zweimal am Tag). Außerdem sei der Tetanus-Impfstatus überprüft worden, berichten Hannah Sophia Borgschulte, Daniela Jacob und ihre Kollegen. Am 6. Tag nach dem Biss stellte sich die Patientin mit folgenden Symptomen erneut in der Notaufnahme des Krankenhauses vor: allgemeines Unwohlsein, Kopf- und Körperschmerzen, Fieber, Schüttelfrost und ein geschwollener rechter Ellenbogen. Übelkeit, Erbrechen oder Licht- oder Lärmempfindlichkeit habe sie nicht angegeben.

Die Befunde

  • Bei der körperlichen Untersuchung wurden keine Auffälligkeiten festgestellt, auch keine Anzeichen von Meningismus. 
  • Die weitere Untersuchung ergab eine kleine Bisswunde an Finger IV der rechten Hand in der Nähe des mittleren Fingerglieds, die leicht gerötet war, aber keine eindeutigen Entzündungszeichen aufwies.
  • Kein Druckschmerz, keine Bewegungseinschränkung und kein sensorisches Defizit.
  • An der ulnaren Seite des rechten Ellenbogens Anzeichen einer Lymphadenitis
  • Periphere Sensibilität, Bewegungsfähigkeit und Durchblutung waren intakt. 
  • Am Zeigefinger der linken Hand wurde ein weiterer kleiner Biss ohne lokale oder proximale Entzündungszeichen festgestellt. 
  • Die Labortests zeigten einen Anstieg des C-reaktiven Proteins (CRP) auf bis zu 28,6 mg/l (Referenz < 5 mg/l), aber keine Leukozytose. 
  • Test auf Procalcitonin negativ, ebenso Liquor- und Urinproben
  • Röntgenaufnahmen des Thorax und des vierten Fingers der rechten Hand sowie eine zerebrale CT ohne pathologische Befunde
  • PCR-Tests für SARS-CoV-2, RSV sowie Influenza A und B waren negativ. 
  • Verlauf, Diagnose und Therapie

Ab Tag 7 erhielt die Patientin eine Kombinationstherapie mit Antibiotika (Ampicillin/Sulbactam, 2 g/1 g intravenös, 3 x täglich). Der Zustand der Frau habe sich jedoch nicht gebessert, berichten die Autorinnen weiter. Das Fieber sei auf 39,2 °C gestiegen und habe bis zum Tag 12 angehalten. Die Blutkultur sei jedoch auch 14 Tage nach der Inokulation negativ gewesen. Der CRP-Wert sei am 12. Tag ebenfalls gestiegen (auf 185 mg/l).  Aufgrund dieser Entwicklung wurde die Antibiotika-Behandlung intensiviert (Piperacillin/Tazobactam 4 g/0,5 g). Nach Beginn der Therapie mit Piperacillin/Tazobactam sei das CRP auf 74 mg/l gesunken (Tag 14). Zeitgleich dazu entwickelte sich eine geschwürartige Läsion an der Wunde der rechten Hand; die Lymphadenitis bestand weiterhin. Zu diesem Zeitpunkt sei zum ersten Mal der Verdacht auf Tularämie als mögliche Diagnose geäußert, berichten

Diese Verdachtsdiagnose, die mit Experten vom Referenzlabor für humane Tularämie am Robert-Koch-Institut (RKI) besprochen wurde, konnte dann auch belegt werden: Eine PCR bestätigte das Vorhandensein von F. tularensis-DNA in der Wundabstrichprobe. Außerdem sei auf Kulturen das für F. tularensis typische Bakterienwachstum beobachtet worden. Die Prüfung der minimalen Hemmkonzentration für F. tularensis zeigte eine In-vitro-Empfindlichkeit gegenüber allen Antibiotika, die für die Behandlung von Tularämie empfohlen werden (z. B. Ciprofloxacin, Gentamycin, Levofloxacin). Die bis dahin durchgeführte antibiotische Behandlung des Patienten erwies sich als unzureichend

Als das Referenzlabor für humane Tularämie am 14. Tag die Verdachtsdiagnose bestätigte, wurde die Behandlung sofort angepasst  (500 mg Ciprofloxacin 14 Tage lang zweimal täglich ). Die Patientin erholte sich sofort (das CRP sank auf 15 mg/l) und konnte am Tag 17 fieberfrei und mit geringen Kopfschmerzen entlassen werden. 

Diskussion

Medizinisches Personal in Krankenhäusern und Praxen behandelt täglich Paienten mit Tierbissen, meist von Hunden, Katzen und Schlangen. In solchen Fällen hänge das Risiko einer systemischen Infektion von verschiedenen Parametern ab, z. B. der Art der Verletzung, dem betroffenen Tier und der eigenen Immunabwehr der Patienten, erklären die Autorinnen. Die Behandlung sollte eine sofortige Spülung und Débridement der Wunde, eine Prophylaxe gegen Tetanus und möglicherweise gegen Tollwut sowie Antibiotika (je nach Risiko einer systemischen Infektion) umfassen. Das Risiko, von einem wildlebenden eurasischen roten Eichhörnchen gebissen und/oder infiziert zu werden, sei gering; allerdings sei die Zahl der Tularämiefälle bei Menschen und Tieren in Europa in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Eine  Tularämie sollte daher auch in Deutschland in Betracht gezogen werden. Immerhin könne sie zu massiv geschwollenen Lymphknoten führen und ohne antibiotische Behandlung sogar tödlich verlaufen.

Zum Schutz vor Übertragung des Erregers sollten bei Kontakt mit kranken und toten Wildtieren, insbesondere Hasen und Kaninchen, Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, rät das Robert-Koch-Institut. So sollten Jäger beim Abbalgen Handschuhe tragen und auffällige Tiere den Behörden für eine Untersuchung melden. Bei zu erwartender Aerosolentwicklung sollte eine Atemschutzmaske (FFP2/FFP3) getragen werden. In Gegenden, in denen Fälle von Tularämie aufgetreten seien, sollte Oberflächen- und Brunnenwasser vor dem Trinken abgekocht werden. Der Kontakt mit durch Tierkadaver kontaminiertem Wasser sollte gemieden werden. Regeln der Haushalts- und Händehygiene seien strikt einzuhalten.

Ein Impfstoff ist laut RKI in Deutschland nicht zugelassen. In westlichen Staaten werde wegen der Bedeutung von F. tularensis als potentiellem Bioterrorismus-Erreger verstärkt an neuen Tularämie-Impfstoffen gearbeitet; eine prophylaktische Immunisierung komme in der Regel nur für Personen mit besonderem Expositionsrisiko (z. B. Laborpersonal) in Frage. Eine Impfung sei für andere Personen üblicherweise unnötig, da die sofortige antibiotische Behandlung nach Krankheitsausbruch ausreichend sei. Wegen der üblichen Inkubationszeit von Tularämie von 3 bis 5 Tagen und der Tatsache, dass die Immunität nach einer Impfung erst nach etwa zwei Wochen eintrete, sei eine post-expositionelle Impfung nicht wirksam. Erkrankungsverdächtige und Erkrankte müssen laut dem Berliner Institut nicht isoliert werden, da eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung nicht bekannt sei. Personal sollte über die nicht auszuschließende Gefahr der Infektion durch Blutspritzer, Wundsekret oder andere potentiell infektiöse Flüssigkeiten informiert werden.