Eine Frau mit stressigem Arbeitsleben und folgenreicher Selbsttherapie
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und werden aufgrund ihres vermuteten „natürlichen" Charakters oft als harmlos angesehen. Dass pflanzlich aber nicht gleichzusetzen ist mit immer sicher und verträglich, zeigt unter anderem die Krankengeschichte einer 56-jährigen Frau, die Dr. Marion Déléaval und ihre Kollegen der Universitätsklinik in Genf schildern.
Die Patientin und ihre Geschichte
Die Frau wurde wegen einer Synkope ohne Prodromi in die Notaufnahme eingeliefert. Es handelte sich um die erste Synkope, doch im vergangenen Monat hatte sie bereits drei länger anhaltende Schwindelanfälle erlebt. Die Anamnese einschließlich der Familienanamnese war unauffällig. Seit vier Monaten nahm die Patientin aufgrund eines stressigen Arbeitslebens 3-4 Mal täglich Hanföl ein, das die Cannabinoid-Derivate Cannabidiol (CBD) (61 mg/ml in einem Präparat und 24 mg/ml in dem anderen) sowie Cannabigerol (CBG) (1 mg/ml in einem Präparat) enthielt.
Die Befunde
- Körperliche Untersuchung bis auf eine Hypotonie (86/42 mmHg) unauffällig
- Nierenfunktion normal
- Magnesiumkonzentration an der unteren Grenze der Norm
- Kaliumspiegel normal
- EKG in der Notaufnahme: Torsades de pointes
- 12-Kanal-EKG: normaler Sinusrhythmus mit 58 Schlägen pro Minute und deutlich verlängertes korrigiertes QT-Intervall (QTc) von 667 ms
- Transthorakale Echokardiographie normal
Verlauf
Während der 24-stündigen Überwachung der Patientin nahm das QTc-Intervall auf 560 ms ab, Torsades de pointes traten keine mehr auf. Die 56-Jährige wurde auf die kardiologische Station verlegt. Dort ergab eine weitere Anamnese, dass sie seit etwa sechs Wochen außer Hanföl zusätzlich pflanzliche Präparate mit 250 mg Berberin einnahm. Berberin ist ein Alkaloid aus der Gruppe der Isochinolinalkaloide, das in der traditionellen chinesischen Medizin eingesetzt wird. Das Alkaloid hat angeblich eine Fülle positiver Effekte; so soll es zum Beispielantidiabetisch, antidepressiv und antiarrhythmisch wirken. Die Patientin berichtete zudem, dass sie bis zum Sechsfachen der empfohlenen Dosis an Hanföl-Präparaten eingenommen hatte.
Aufgrund dieser Anamnese bestand der Verdacht, dass die Herzrhythmusstörung durch die Nahrungsergänzungsmittel induziert worden waren. Dafür sprach dann auch, dass das QT-Intervall nach Absetzen aller Nahrungsergänzungsmittel bis zur Normalisierung abnahm. Die Patientin wurde nach sechs Tagen Krankenhausaufenthalt entlassen. Bei der Kontrolluntersuchung nach drei Monaten berichtete sie, dass keine Schwindelanfälle oder Synkopen mehr aufgetreten seien; das EKG zeigte weiterhin ein QTc-Intervall im Normbereich.
Diskussion
Die Normalisierung des EKGs nach dem Absetzen aller Präparate ohne andere ursächliche Faktoren deutete laut der Genfer Kardiologin stark darauf hin, dass die konsumierten Hanföl- und Berberin-Präparate das verlängerte QTc-Intervall verursacht haben.
CBD ist eine Substanz, die in der Cannabispflanze (Cannabis sativa oder Cannabis indica) vorkommt, die über 90 sogenannte Cannabinoide enthält. Das wichtigste und am gründlichsten untersuchte Cannabinoid ist das psychotrope Tetrahydrocannabinol (THC). CBD hat nachweislich entzündungshemmende, antiepileptische, analgetische, angstlösende, antipsychotische und immunmodulatorische Eigenschaften.
Mehrere Studien mit Cannabinoiden haben Auswirkungen auf verschiedene Transmembran-Ionenkanäle gezeigt, etwa auf Natrium- und Kalzium- und Kaliumkanäle. Bei Meerschweinchen erwies sich den Kardiologen zufolge CBD als Hemmstoff der kardialen „human Ether-a-go-go-Related Gene“ (hERG)-Kanäle. Diese Kanäle leiten Kaliumströme und spielen eine zentrale Rolle bei der kardialen Repolarisation. Durch die Hemmung dieser Kanäle werden die Repolarisation und das QT-Intervall deutlich verlängert. Auch Berberin hemmt die humanen hERG-Kanäle des Herzens. Außerdem ist Berberin ein Substrat der Enzyme CYP1A2, CYP2D6 und CYP3A4; es kann daher zu Arzneimittelinteraktionen kommen.
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