Kernbotschaften
Ein zentraler Diabetes insipidus kann mehrerer Ursachen haben, darunter ein Schädel-Hirntrauma, supraselläre und intraselläre Tumoren und Infektionen Enzephalitiden. Eine insbesondere bei Erwachsenen sehr seltene Ursache haben Dr. Nora Bidner und ihre Kollegen (1. Medizinische Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie und Karl Landsteiner Institut in Wien) bei einer 54-jährigen Frau diagnostiziert.
Die Patientin und ihre Geschichte
Eine 54-jährige Frau kam in die HNO-Abteilung des Wiener Krankenhauses wegen starker Ohr-Schmerzen (rechts), zeitweise mit Sekretion, jedoch ohne Fieber und ohne Hörverlust. Drei Jahr zuvor war die Nichtraucherin wegen ähnlicher Beschwerden eine Mastoidektomie vorgenommen worden. Die damalige Verdachtsdiagnose lautete Cholesteatom. Histologischer Befund: unspezifisch geringe Entzündung des Mastoids, kein Hinweis auf ein Cholesteatom. Außer den starken, in den Kopf ausstrahlenden Schmerzen im Mastoid-Bereich habe die Patientin angegeben, seit 14 Tagen ungewöhnlich durstig zu sein und sehr viel zu trinken (bis zu 5 Liter Wasser pro Tag). Vorerkrankungen: Lichen ruber planus, unklare rezidivierende Hautveränderungen sowie eine Hysterektomie wegen Metrorrhagien.
Erste Befunde
- Normalgewichtige Frau in der Postmenopause, Schmerzen im Bereich des Mastoids
- Innerer Gehörgang: schuppig, gerötet
- Infektparameter im Labor leicht auffällig
- Computertomografie wegen des Verdachts auf Rezidiv-Mastoiditis oder Cholesteatom: Osteolysen im Os temporale sowie weichteildichtes Material
- Magnetresonanztomografie: uncharakteristische entzündliche Veränderungen, kein Cholesteatom
- Knochenszintigrafie: Veränderungen im Bereich des Mastoids wie bei chronischer Osteomyelitis oder als postoperative Folge
- Übriges Skelettsystem: unauffällig, keine Hinweise auf Paraproteinämie
- Keine Vaskulitis (negative Autoimmun-Serologie)
Weitere Abklärung und Diagnose
- Keine eindeutige Diagnose, daher Remastoidektomie: Mastoid von granulomatösen Gewebemassen ausgefüllt, ausgedehnte knöchernen Defekte der mittleren und hinteren Schädelgrube
- Histologische Untersuchung des entfernten Gewebes: Diagnose einer Langerhans-Zell-Histiozytose (LCH).
- Endokrinologische Abklärung: im MRT vergrößerte Hypophyse; Harnosmolalität 98 mosm/kg, Harnosmolalität nach Desmopressin 285 mosm/kg
Diagnose: seltene Krankheitsbild einer LCH vom Multisystem-Typ mit Beteiligung des rechten Mastoids und zentralem Diabetes insipidus
Therapie und Verlauf
Endokrinologische Dauertherapie mit Desmopressin 0,05 mg per os 3× täglich; dadurch Anstieg der Harnosmolarität und Normalisierung von Trink- und Miktionsverhalten
Onkologische Therapie: insgesamt 6 Zyklen Cytarabin und wegen Knochenbefall zusätzlich Denosumab 120 mg sc.
Die Patientin ist den Autoren zufolge in Remission und befindet sich derzeit in der Nachsorgephase.
Diskussion
Retrospektiv betrachtet war die LCH der Patientin nach Angaben von Bidner vermutlich bereits längere Zeit rezidivierend aktiv; die Diagnose sei jedoch erst durch die Remastoidektomie gelungen.
Die Langerhans-Zell-Histiozytose ist laut MSD Manual eine dendritische Zell (Antigen-präsentierende Zelle)-Störung. Sie kann unterschiedliche klinische Bilder zeigen, die früher als eosinophiles Granulom, Morbus Hand-Schüller-Christian und Morbus Abt-Letterer-Siwe bezeichnet wurden. Die Schätzungen zur Häufigkeit der Langerhans-Zell-Histiozytose schwanken sehr (z. B. von etwa 1:50.000 bis 1:200.000). Die Inzidenz beträgt 5 bis 8 Fälle/Millionen Kinder.
Alle Patienten mit LCH haben Hinweise auf eine Aktivierung des RAS-RAF-MEK-ERK-Signalwegs. Diese Mutation ist monoallel und wirkt wie ein dominantes treibendes Onkogen. Etwa 10 bis 15% der Patienten haben MAP2K1-Mutationen. Aufgrund dieser Mutationen wird die LCH heute als Onkogen-getriebener Krebs der myeloiden Linie angesehen.
Bei der LCH infiltrieren abnorm proliferierende dendritische Zellen eines oder mehrere Organe. Knochen, Haut, Zähne, Gingiva, Ohren, endokrine Organe, Lunge, Leber, Milz, Lymphknoten oder Knochenmark können betroffen sein, und zwar entweder durch direkte Infiltration und daraus resultierender Dysfunktion oder durch Kompression aufgrund der Vergrößerung benachbarter Strukturen. Bei etwa der Hälfte der Patienten sind mehrere Organe befallen. In der größten retrospektiven Studie von Erwachsenen mit LCH kam es laut Bidner und ihren Kollegen bei 30 Prozent der Patienten zu einem Befall der Hypophyse mit Diabetes insipidus. Die Erkrankung könne selbstlimitierend oder chronisch rezidivierend verlaufen. Rasch progrediente, mitunter sehr schwere Verläufe bis hin zu einem Multiorganversagen seien selten. Nikotin-Abusus gelte als prädisponierender Umweltfaktor. Fälle von familiärer Häufung seien nur wenige bekannt.
Die Therapie von Patienten mit Langerhans-Zell-Histiozytose und Diabetes insipidus besteht aus einer systemischen Chemotherapie und meist lebenslanger Hormonsubstitution mit Desmopressin.
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