Eine Frau mit neurologischen Symptomen nach Immunchemotherapie

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Durch immunmodulierende Therapien nimmt die Häufigkeit der „iatrogenen“ progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) zu. Sie wird durch eine Reaktivierung des John-Cunningham-Virus (JCV) bei lang andauernder Immunsuppression hervorgerufen; die Hirnerkrankungverläuft in der Regel tödlich. In einem Fallbericht schildern Dr. med. Kathie Schmidt und ihre Kolleginnen der Universitätsklinik Rostock die Krankheitsgeschichte einer Patienten mit  PML. 

Die Patientin und ihre Geschichte

Die 59-jährige Patientin wurde nach Angaben der Autorinnen wegen Gang- und Standunsicherheit aufgrund von Schwindel und Visuseinschränkungen stationär aufgenommen. Die Symptome hätten seit drei Wochen bestanden. Sieben Jahre zuvor sei die Frau an einem diffus großzelligen Non-Hodgkin-Lymphom erkrankt. Die Therapie habe zunächst aus sechs Zyklen Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon bestanden, dann sei mit weiteren sechs Gaben Rituximab behandelt worden. Durch diese Therapie sei eine komplette Remission erzielt worden. Im Vorjahr habe die Frau allerdings ein Rezidiv erlitten. Die Therapie bestand nach weiteren Angaben von Kathie Schmidt und ihren Kolleginnen aus sechs Zyklen Rituximab in Kombination mit Cyclophosphamid, Doxorubicin und Prednisolon sowie zwei zusätzlichen Rituximab-Gaben. Abgesehen von einer vincristin-assoziierten Polyneuropathie sei diese Immunchemotherapie gut vertragen worden.

Die Befunde

  • Patientin in leicht reduziertem Allgemeinzustand, vollständig orientiert, keine B-Symptomatik
  • Monokelhämatom rechts, Pupillen rund, isokor, direkt und indirekt lichtreagibel, Konvergenzreaktion intakt, Gesichtsfeld fingerperimetrisch ebenfalls intakt
  • Kein Meningismus, kein Kalottenklopfschmerz, keine latenten oder manifesten Paresen, aber Fallneigung nach rechts
  • Herz, Lunge und Abdomen ohne pathologischen Befund
  • Keine palpable Lymphknotenschwellung
  • Augeninnendruck im Normbereich
  • Kein Anhalt für ein okuläres Lymphom
  • Kraniale CT ohne KM: Keine intrakranielle Blutung, kein Infarkt, kein Liquorstau; subkortikale hypodense Läsionen supra- und infratentoriell (links okzipital, rechts temporal und rechts zerebellär) 
  • Kraniale MRT mit KM: Marklagerläsionen links okzipital, rechts temporal und rechts hochparietal sowie rechts zerebellär ohne Raumforderung oder KM-Aufnahme; Der Kortex wird von den in den U-Fasern liegenden Läsionen ausgespart; kein meningeales Enhancement 
  • Liquor-Befund: JC-Virus-DNA positiv (PCR-Verfahren)
  • Leukozytenzahl und Laktat im Normbereich
  • Gesamtprotein erhöht (711 mg/l [150– 450 mg/l])
  • Vereinzelt aktivierte Lymphozyten 
  • Kein belastbarer Hinweis auf Meningeosis.

Diagnose

Vor dem Hintergrund der Rituximab-Therapie stellten die Rostocker Ärztin und ihre Kolleginnen aufgrund der neurologische Ausfälle, der radiologischen Veränderungen und dem Nachweis des JC-Virus im Liquor die Diagnose einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie. 

Diskussion 

Die PML ist, wie die Autorinnen erinnern, eine seltene, aber überwiegend tödlich verlaufende ZNS-Infektion, die durch eine Reaktivierung des JC-Virus (JCV) hervorgerufen wird. Die subklinische Primärinfektion erfolge in der Kindheit auf oralem oder respiratorischem Infektionsweg. Das Virus breite sich durch hämatogene Streuung aus und persistiere üblicherweise lebenslang, ohne Symptome hervorzurufen, könne aber bei schwerer zellulärer Immunschwäche reaktiviert werden. 

Obwohl die meisten PML-Fälle AIDS-assoziiert seien, steige seit Jahren die Inzidenz der iatrogen hervorgerufenen PML, berichten die Autorinnen weiter. Grund sei die Zunahme immunmodulierender Therapien, etwa der Anti-CD20-Therapie bei hämatologischen Erkrankungen. 

Typisch in der MRT seien T2-hyperintense, T1-hypointense Läsionen, die asymmetrisch über Groß- und Kleinhirn verteilt seien und konfluieren könnten. Betroffen seien die weiße Substanz und die U-Fasern. Um die Hauptläsionen könnten kleine T2-hyperintense Läsionen gruppiert sein, was als „milky way sign“ bezeichnet werde. Obwohl es sich um einen entzündlichen Prozess handele, reicherten die Läsionen typischerweise kein Kontrastmittel (KM) an und seien nicht raumfordernd. 

Der laborchemische Liquor-Befund sei meist unauffällig  (allenfalls mäßige Pleozytose und leicht erhöhtes Gesamtprotein). Der Nukleinsäure-Nachweis sei das Standardverfahren zum direkten Virus-Nachweis. Aufgrund der hohen Durchseuchung sei die virusspezifische IgM- und IgG-Antikörper-Bestimmung im Serum diagnostisch nicht sinnvoll. Der Virus-Nachweis sollte primär aus dem Liquor erfolgen. Bei negativem Befund trotz ausreichender Sensitivität des Labors sei eine Hirnbiopsie indiziert. Bislang existiere keine wirksame antivirale Therapie gegen eine JCV-Infektion oder PML; die Prognose sei sehr schlecht (höchste Mortalität bei rituximab-assoziierter PML mit 90% innerhalb von zwei Monaten).