Eine ältere Frau mit einem Ulkus am Kopf, aber ohne bösartigen Tumor

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Ursache von Knochendefekten der Schädelkalotte sind häufig destruierend wachsende epitheliale maligne Tumore. Eine recht ungewöhnliche Ursache haben Alexandra Meyer und Volker Stadie von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie am Universitätsklinikum Halle/Saale bei einer 72-jährigen Patientin festgestellt. 

Die Patientin und ihre Geschichte 

Die demente Patientin kam wegen eines kreisrunden „hochparietal“ gelegenen Ulkus in die Klinik in Halle. Eine Eigenanamnese war aufgrund der Demenz nicht möglich. Ihrem Sohn zufolge kratzte sie sich seit vielen Monaten mehrmals täglich mit den Fingern, aber auch mit scharfen Gegenständen (Löffel) am Kopf.

Die Befunde

  • Patientin mit bekannter Demenz, kein Fieber, keine Entzündungszeichen in der Umgebung des Ulkus, kein Anhalt für eine Meningitis
  • Histologische Untersuchung von Gewebeproben aus dem Randsaum des Defektes zeigten eine pseudokarzinomatöse Hyperplasie der Epidermis über Narbengewebe, aber keine Hinweise auf einen malignen Tumor. 
  • CT des Schädels: knöcherner Defekt (2,6 × 3,3 cm) ohne Beteiligung der freiliegenden Dura mater

Therapie und Verlauf 

Um die Dura mater zu schützen, sei der Patientin zunächst ein Schutzhelm angefertigt worden, berichten die Autoren. Doch der Helm habe die Kratzattacken nicht verhindern können, da ihn die Patientin binnen weniger Minuten entfernt habe. Der Defekt sei daraufhin mehrfach operativ versorgt worden (Titanplatte und Transpositions-Plastik). Dabei entnommene Gewebeproben aus dem Randbereich der Läsion hätten ebenfalls keinen Hinweis auf Tumorgewebe geliefert, berichten die Dermatologen.

Nach diesen Operationen habe sich die Patientin die Wundverbände allerdings entfernt und erneut zu kratzen begonnen. Sie wurde daher mit dem sedierenden Psychopharmakon Melperon (25 mg bis 100 mg/d) behandelt.

Aufgrund des Verdachtes auf ein Malignom sei ein CT-Ganzkörperstaging vorgenommen worden, das jedoch keine Hinweise auf eine lymphogene oder eine hämatogene Metastasierung ergeben habe. Die Patientin wird den Autoren zufolge mittlerweile seit zwei Jahren betreut. Bis heute sei keine Metastasierung oder ein anderes Tumorleiden festgestellt worden. Das Ulkus sei bei der letzten Kontrolluntersuchung (zwei Jahre nach Erstvorstellung) abgeheilt gewesen.

Diagnose und Diskussion

Aufgrund des fehlenden Nachweises einer Tumorgenese und der Abheilung nach plastischer Defektdeckung ohne Rezidiv-Zeichen gingen die Autoren davon aus, dass es sich bei dem Ulkus um eine artifizielle Läsion durch wiederholte Kratzattacken gehandelt habe. 

In ihren differentialdiagnostischen Erwägungen hätten ein primär bestehender maligner Hauttumor, aber auch eine Metastase eines anderen Tumors eine wesentliche Rolle gespielt; ausgehend von der relativen Häufigkeit des Auftretens von Tumoren am Kopf seien folgende Tumoren in Frage gekommen:

  • primär benigne Tumore
  • Basalzellkarzinome
  • Plattenepithelkarzinome 
  • Melanom 
  • Lymphome, wobei die zur Gruppe der T-Zell-Lymphome zählende Mycosis fungoides das am Kopf am häufigsten vorkommende Lymphom sei
  • Das zu den neuroendokrinologischen Tumoren zählende Merkelzellkarzinom
  • Ein primärer Tumor des Schädelknochens (insbesondere Chondrome, Chondrosarkome, Plasmozytome und Osteosarkome)
  • Metastasen (Ursprung vor allem Karzinome von Prostata, Mamma, Lunge, Niere, Kolon und Gallenwege). 

Weitere mögliche Ursachen eines tiefen Ulkus könnte Infektionen sein, etwa durch das Mykobakterium ulcerans,  oder eine aseptische Knochennekrose. Außerdem könnte ein Ulkus auch eine neuropathische Genese haben (etwa bei Herpes Zoster).  Neuropathische Ulzerationen entstehen, wie die Autoren weiter erklären, in Hautbereichen, in denen die Schmerzempfindung gestört sei. Ursache einer veränderten Schmerzwahrnehmung könnten auch Demenz-Erkrankungen sein. So sei in der Fachliteratur beschrieben worden, dass es durch neurodegenerative Veränderungen der peripheren und zentralen Schmerzbahnen zu einem geringen Schmerzerleben kommen könne. Dabei werde Schmerz als Missempfindung wahrgenommen, z. B. als Pruritus, aber nicht als Schmerz. Auch seien die Schmerztoleranz und die Schmerzschwelle herabgesetzt. Schlussendlich könnten Demenz-Kranke das Wissen verlieren, was Schmerz eigentlich sei bzw. wie sich dieser anfühle.