Eine ältere Frau mit Schwindel und Hörminderung
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Ein beidseitiges Vestibularisschwannom (früher Akustikusneurinom) ist bei älteren Menschen nicht immer mit einer Neurofibromatose 2 (NF2) verbunden. Sogar bei einem unilateralen Vestibularisschwannom bestehe die Möglichkeit, dass sich kontralateral ein metachroner Tumor entwickele, berichten die beiden HNO-Ärzte Dr. Andi Abeshi und Dr. Gian Gaetano Ferri (Universitätsklinikum von Bologna). Anlass ist die Krankengeschichte einer älteren Frau.
Die Patientin und ihre Geschichte
Die 76-jährige Frau stellte sich nach Angaben der Autoren in der Klinik in Bologna wegen eines Schwindelanfalls vor, der mit einer sensorineuralen Hörminderung links verbunden war.
Die Befunde
In der MRT wurde ein intrakanalikuläres Schwannom des linken oberen Astes des Nervus vestibularis festgestellt. Aufgrund der Größe des Tumors, des Alters der Patientin und eines früheren Hörsturzes auf der rechten Seite wurde die Strategie des „Abwartens" gewählt.
Der Verlauf
In den folgenden drei Jahren der Nachbeobachtung sei kein wesentliches Wachstum des Tumors beobachtet worden, berichten die HNO-Ärzte weiter. Nach vier Jahren habe die MRT jedoch auch einen kontralateralen intrakanalikulären Tumor gezeigt. Insgesamt hätten die Befunde auf ein Vestibularisschwannom hingewiesen.
Aufgrund des zweiten Tumor-Befundes wurde eine genetische Beratung durchgeführt und die Untersuchung des NF2-Genlocus auf Mutationen oder Polymorphismen vorgenommen. Die Ergebnisse waren für bekannte Mutationen oder Polymorphismen negativ. Die Patientin wies keine weiteren Merkmale einer NF2 auf; es habe auch keine Anzeichen für eine Beteiligung der Augen, der Haut oder des Zentralnervensystems gegeben.
Die letzte Untersuchung nach fünf Jahren zeigte ein leicht vergrößertes rechtes VS, während der linke Tumor keine signifikanten Veränderungen aufwies. Die Hörfunktion veränderte sich auf dem einzigen hörenden Ohr nicht.
Diskussion
Die zunehmende Verfügbarkeit und technische Verbesserung der MRT erklären den Autoren zufolge die steigende Inzidenz von VS in den letzten zehn Jahren. Traditionell habe das Vorhandensein bilateraler Vestibularisschwannome (BVS) als pathognomonisch für die NF2 gegolten, bis die Kriterien für die NF2 -Diagnose überarbeitet worden seien. Ihre 76-jährige Patientin habe die aktuellen NF2-Kriterien nicht erfüllt, da keiner der beiden Tumore vor dem 70. Lebensjahr diagnostiziert worden sei. Die geschätzte Wahrscheinlichkeit eines sporadischen BVS bei Fehlen anderer NF2-Merkmale liege bei fast 25 % der BVS-Patienten über 50 Jahre und bei 50 % der über 70-jährigen BVS-Patienten.
Die Behandlung von Patienten mit BVS kann eine große Herausforderung sein. Wenn der Tumor in den Kleinhirnbrückenwinkel hineinreiche, könnte eine Operation eine gute Option für das nicht hörende Ohr sein. Eine Chemotherapie (Bevacizumab) oder eine Gamma-Knife-Strahlentherapie werde in Betracht gezogen, wenn der Tumor im einzigen hörenden Ohr wachse. Eine Operation mit gleichzeitiger Cochlea-Implantation könnte eine Lösung sein, wenn die konservative Behandlung versage, erklären Andi Abeshi und Gian Gaetano Ferri abschließend.
Beim Vestibularisschwannom handelt es sich mit einer Prävalenz von 0,02–0,07 % und einer jährlichen Inzidenz von 1/100.000 [15] um den häufigsten infratentoriellen Tumor beim Erwachsenen, der rund 80–90 % der Raumforderungen in dieser Region ausmacht. Der Tumor ist in der Regel gutartig; er geht von den Schwann-Zellen des Pars vestibularis des N. vestibulocochlearis aus.
Klinische Symptome sind einseitige Hörminderung oder -verlust, Tinnitus, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen sowie Störungen des N. facialis und des N. trigeminus. Eine maligne Entartung ist sehr selten. Das Hauptmanifestationsalter liegt zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, das VS kann jedoch in jedem Lebensabschnitt auftreten.
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