Ein sicherer Weg in die Isolation - frontotemporale Demenz-Erkrankungen
- Dr. med. Thomas Kron
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So wenig Bauchschmerzen identisch sind mit einer Appendizitis, so wenig ist eine Demenz stets Folge einer Alzheimer-Krankheit. Es gibt eben mehrere Erkrankungen, die zu einer Demenz führen können; nur eine davon ist die frontotemporale Demenz (FTD). Etwas Bekanntheit erlangte die frontotemporale Demenz vor einigen Jahren durch einen Bericht von Wissenschaftlern, wonach Ludwig II von Bayern womöglich an frontotemporaler Demenz erkrankt war. Der Münchener Neurologe und Demenz-Spezialist Prof. Dr. Hans Förstl hatte gemeinsam mit Historikern bereits verfügbare Quellen und Dokumente des Geheimen Hausarchivs der Wittelsbacher ausgewertet. In der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ berichteten die Wissenschaftler dann, dass Ludwig II nicht an einer Schizophrenie habe, wohl aber an einer einer schizotypen Persönlichkeitsstörung gelitten haben könnte. Darüber hinaus habe sich aus aus dem Verlauf in den letzten beiden Lebensjahren aufgrund des Autopsiebefundes einer ausgeprägten bilateralen Frontalhirnatrophie zusätzlich der Verdacht auf eine beginnende frontotemporale Degeneration ergeben.
Spekulationen über den US-Präsidenten
Ludwig II von Bayern ist Geschichte, eine andere prominente Persönlichkeit, bei der ebenfalls der Verdacht auf einen Morbus Pick gestellt wurde, schreibt gerade Geschichte. Gemeint ist US-Präsident Donald Trump, dessen irritierende Verhaltensweisen und verbalen Zumutungen bereits mehrfach zu Spekulationen über seinen Geisteszustand angeregt haben. „Is Something Neurologically Wrong With Donald Trump?“ So überschrieb zum Beispiel der US-Journalist James Hamblin in der US-Zeitschrift „The Atlantic“ einen großen Beitrag zu diesem Thema. Und auch Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer fragte: „Kann es sein, dass der Präsident der Vereinigten Staaten nicht mehr ganz bei sich ist? Leidet der US-Präsident an Demenz?“
Anlässe zu solchen Überlegungen sind Trumps impulsives und taktloses Verhalten, seine Neigung zum sozialen Fauxpas, mangelnde Empathie, eine manchmal auffällige, ungelenke, fast tölpelhafte Motorik und undeutliche, phonetisch schwer zu verstehende Sprache. Nach Analysen von Sprachwissenschaftlern redet er angeblich auch längst nicht mehr so flüssig wie früher, habe einen deutlich eingeschränkten Wortschatz und verwende Wortneubildungen, die keinen Sinn ergeben, so etwa das bekannte „covfefe“ in einem Tweet am 31.5. 2017.
Erste Symptome zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr
Die frontotemporale Demenz ist dem derzeitigen Wissen nach zwar nicht die häufigste Demenz-Erkrankung. Das ist laut WHO mit geschätzten rund 48 Millionen Betroffenen und einem prozentualen Anteil von 60 bis 70 Prozent die Alzheimer-Demenz. Deutlich geringer ist mit fünf bis sieben Prozent der Anteil der FTD. Aufgrund der Komplexität dieser Erkrankung sind allerdings Prävalenz und Inzidenz schwierig zu bestimmen. Die Angaben schwankten zwischen 4 und 15,4/100 000 Personen, so Professor Karl Witt (Kiel) und seine Mitautoren in einem Übersichtsbeitrag zur FTD. Außerdem: Etwa 75 Prozent der Patienten mit FTD zeigten einen präsenilen Beginn mit einer Erstsymptomatik zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr. Damit sei die FTD im präsenilen Alter ebenso oder gar häufiger zu finden als die AD.
Bei welchen Symptomen sollte der Verdacht auf eine FTD gestellt werden? Typisch für die FTD ist die Kombination der Kernsymptome schleichender Beginn und langsame Progredienz der Krankheitssymptome sowie Störungen im Bereich des Verhaltens bzw. der Sprache. Dies trifft auf alle klinischen Varianten zu, wobei unterschieden wird zwischen der Verhaltens-Variante (behavioural variant: bv-FTD) und der primär progressiven Aphasie-Variante (PPA-FTD) mit mehreren Unterformen (progressive nichtflüssige, logopenische und semantische Aphasie). Bis zu 15 Prozent der FTD-Patienten haben Symptome einer Motoneuronen-Erkrankung (etwa Hyperreflexie, Muskelschwäche, Spastik); hier wird vom FTD-ALS-Komplex gesprochen. Rund 20 Prozent der Patienten können motorische Symptome wie bei einem Morbus Parkinson haben.
„Sie wurde eine Fremde“
Was frontotemporale Demenz bedeutet, wie belastend auch diese Demenz-Erkrankung etwa für Angehörige ist, beschreibt eindrucksvoll der Partner einer erkrankten Frau auf der Webseite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft: Vor der Erkrankung 2006 sei seine Frau stets sehr gepflegt erschienen, immer auf „Hochglanz poliert“, strahlend, freundlich und lustig. Dann habe sich ihr Wesen plötzlich total verändert: „Sie wurde eine Fremde.“ Sie sei aggressiv geworden, habe ihre Körperhygiene vernachlässigt und sei überhaupt unfähig geworden, irgendetwas zu tun. Dann habe es Phasen heftiger Erstickungsanfälle gegeben, dann „Hilferufe auf dem Balkon, die Blicke der Nachbarn, die Fragen der Polizei…“ Der einst so große Bekanntenkreis sei einfach weggebrochen. „Wir hatten fast nur noch die Familie.“ Zurzeit dominierten extreme Ängste mit permanenten Fragen wie „Kommst Du wieder?“ sowie zunehmend nachlassendes Kurzzeitgedächtnis bei gleichzeitig wahnhaftem Verhalten. Trotz Aufforderungen sei sie seit Jahren nicht mehr aus dem Haus gegangen. Viele Dinge wie Waschen, Essen, Trinken, Kontakte mit Anderen funktionierten nur mittels Erpressungen, zum Beispiel der Drohung mit Zigarettenentzug.
Schwierige Frühdiagnose
Eine sichere frühe Diagnose ist - wie auch beim Morbus Alzheimer - oft schwierig, ebenso die Differenzialdiagnose. In Frage kommen differentialdiagnostisch fast alle neurodegenerativen Erkrankungen und Raumforderungen des frontalen und temporalen Kortex sowie einige psychiatrische Erkrankungen einschließlich Alkoholsucht. Dass eine frühe Diagnose schwierig ist, liegt unter anderem an der mangelnden Spezifität mancher Symptome. Ein frühes Symptom ist zum Beispiel eine Apathie. Erschwert wird eine frühe Diagnose auch durch fehlende Krankheitseinsicht der Betroffenen und die damit einhergehende Weigerung, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zudem weisen Untersuchungen, etwa mit der MRT, darauf hin, dass der klinisch manifesten FTD ebenso wie der Alzheimer-Erkrankung eine mehrjährige asymptomatische Phase vorausgeht.
Nur symptomatische Therapien
Ähnlich limitiert wie bei der Alzheimer Erkrankung ist auch bei der FTD die Therapie. Laut Witt und seinen Kollegen gibt es keine kausale Therapie. Die medikamentöse Therapie sei symptomorientiert; behandelt werde mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, trizyklischen Antidepressiva, atypischen Neuroleptika, Carbamazepin, Valproat, Lamotrigen und ggf. auch verfügbare Antidementiva wie die Acetylcholinesterase-Hemmer. Wirksamkeitsbelege bei der FTD seien allerdings rar. Wichtig sind daher wie bei anderen Demenz-Erkrankungen auch nicht pharmakologische Therapien, also Physio-/Ergotherapie, Logopädie sowie eine sorgfältige Aufklärung über Krankheitssymptome und Beratung der Angehörigen zum Umgang mit den Schwerkranken.
Hoffnungen beruhen auch bei der FTD vor allem auf weiteren molekularbiologischen Erkenntnissen zur Pathogenese. Ein paar experimentelle Wirkstoffe werden auch schon klinisch erprobt, so etwa Antikörper, die die Tau-Aggregation hemmen („Therapeutic Advances in Psychopharmacology"). In einer Studie wird zum Beispiel Agomelatin, ein Melatonin-Rezeptoragonist, bei Apathie geprüft. Getestet werden unter vielen anderen Substanzen auch Antisense-Oligonucleotide und Androgene. Für alle diese Therapie-Ansätze gilt, dass sie von einer Anwendung im klinischen Alltag noch weit entfernt sind.
PS. Donald Trump soll übrigens bei einem kognitiven Test sehr gut abgeschnitten haben. Dabei handelte es sich um das „Montreal Cognitive Assessment" (MoCA). Bei diesem Test gilt eine Punktzahl von mindestens 26 als normal. Trump soll 30 von 30 möglichen Punkten erreicht haben, wie der Arzt des Präsidenten, Rear Admiral Ronny Jackson, Anfang dieses Jahres in einer Presskonferenz verkündete („JAMA“). Ob dies ausreicht, um die oben gestellten Fragen zur mentalen Gesundheit des US-Präsidenten hinreichend zu beantworten, sei dahingestellt.
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