Ein Patient mit Spondylolisthese, Lumboischialgie und überraschendem Biopsie-Befund
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, die auf die Therapie nicht ausreichend ansprechen, sollte man sich nicht voreilig auf eine Diagnose als Erklärung festlegen. Die Krankengeschichte eines 47-jährigen Mannes, die Hamburger Ärzte um Dr. Ralf Theermann (Abteilung für Gelenkchirurgie, Helios ENDO- Klinik) schildern, erklärt, warum dies tatsächlich sehr ratsam ist.
Der Patient und seine Geschichte
Der 47-jährige Mann klagt seit circa acht Wochen über permanente, progrediente Rückenschmerzen, vor allem im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung ins rechte Bein. Die Anamnese ergibt ein seit vielen Jahren bekanntes Wirbelgleiten (Spondylolisthese L5/S1, Grad 1, Gleitvorgang bis zu 25%). Aufgrund einer beidseitigen L5-Wurzelreizsymptomatik sei der Mann bereits ein Jahr zuvor konservativ in einer wirbelsäulenspezifischen Abteilung therapiert worden, berichten die Autoren.
Die Befunde
- Hyperlordose der LWS mit Totalfixierung bei Vorneigung
- paravertebraler muskulärer Hartspann
- Inklinations- und Reklinationsschmerz
- frei bewegliche Iliosakralgelenke
- untere LWS: multilokulärer Druck- und Klopfschmerz
- Lasègue und Bragard negativ
- Keine motorischen und sensiblen Defizite
- Röntgenbild der LWS in zwei Ebenen (im Stand): Spondylolisthese L5/S1 gemäß Meyerding-Grad I
- MRT der LWS: destruierende Raumforderung im dritten Lendenwirbelkörper; Bandscheibenprotrusion L5/S1 mit L5-Wurzelreizung beidseits
- CT der LWS: Osteolyse im LWK 3
Diagnose und Verlauf
Radiologisch bestand der Verdacht auf ein Lymphom oder Plasmozytom. Laborchemisch gab es den Orthopäden zufolge zu diesem Zeitpunkt jedoch keine Hinweise auf Entzündungs- oder Knochenabbauprozesse. Außerdem hatte der Patient keine allgemeinen Symptome wie Fieber, Nachtschweiß oder unbeabsichtigten Gewichtsverlust im Sinne einer B-Symptomatik.
Eine CT-gesteuerte LWK-3-Biopsie zwecks histologischer Abklärung ergab den histologischen Befund eines Thymuskarzinoms vom Plattenepithelzelltyp.
Die CT des Thorax und der Oberbauchorgane und Skelettszintigraphie zeigten multiple ossäre Metastasierungen in 8. Rippe rechts und 9. Rippe links, im Manubrium sterni, im LWK 3 und 4, im Azetabulum, im Sitz- und Darmbein jeweils rechts sowie eine zystische Läsion im Lebersegment IVa sowie rechts hiliär suspekte Lymphknotenvergrößerungen.
Die CT der Halsweichteile und des Thorax mit Kontrastmittel ergab eine große Raumforderung (4,8 × 8,5 × 8 cm) im vorderen oberen Mediastinum in der Thymusloge (Verdacht auf Thymom oder Lymphom).
Der Patient starb wenige Monate später an einem Leberversagen.
Diskussion
Wie die Autoren betonen, wollen sie mit ihrer Fallgeschichte das Bewusstsein dafür schärfen, auch bei bereits bekannter orthopädischer Erkrankung, aber unzureichender Therapieansprache stets eine Reevaluation durchzuführen, um schwerwiegende Begleit- oder Neuerkrankungen frühzeitig zu erkennen. Ihr Fall, so erklären sie, spiegele zwei Extreme wider: der chronische Rückenschmerz ist eine Volkskrankheit, an der in Deutschland zwischen 32 und 49 % der Bevölkerung leiden. Das Thymuskarzinom ist dagegen sehr selten und stellt als Differenzialdiagnose des sowohl akuten als auch chronischen Rückenschmerzes eine absolute Ausnahme dar.
Thymome und Thymuskarzinome gehen vom epithelialen Thymusgewebe aus. Sie seien dabei die häufigsten Subtypen, seltener seien Karzinoide, Thymolipome, Lymphome und Keimzelltumoren. Das Thymuskarzinom sei mit einer Inzidenz von rund 3,2/1 Mio. Einwohner/Jahr ein seltener Tumor. Entdeckt würden diese mediastinalen Malignome bei radiologischen Untersuchungen des Thorax oft zufällig. Etwa 45 Prozent der Patienten hätten eine paraneoplastische Myasthenia gravis.
Da Wirbelsäulenmetastasen – vor allem der Lendenwirbelsäule – das häufigste Metastasierungsziel bösartiger Tumoren seien, müsse an diese Möglichkeit gedacht werden. Außer einer umfassenden Anamnese sollte bei Unkenntnis der Tumorentität aufgrund der prognostischen Bedeutung eine frühe Biopsie erfolgen, um den Primärtumor zu identifizieren.
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