Ein Patient mit Bronchialkarzinom und ausgeprägter Leukozytose

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Bei Krebs-Patienten mit starker Leukozytose müssen iatrogene Faktoren wie die Behandlung mit Steroiden und Wachstumsfaktoren als Ursachen erwogen werden. Sind diese möglichen Ursachen ausgeschlossen, sollte auch an eine paraneoplastische Genese gedacht werden, wie die Krankengeschichte eines 72-jährigen Mannes zeigt, über die Dr. Josef Heusinger und seine Kollegen vom Schwarzwald-Baar-Klinikum in Villingen-Schwenningen im Fachmagazin „Innere Medizin“ berichten.

Der Patient und seine Geschichte

Der 73-jährige Mann kam nach Angaben der Autoren wegen seit vier Wochen andauerndem Husten, Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit in die Notaufnahme der Klinik. Einmalig sei nach Aussage des starken Rauchers (40 „pack years“) der Husten blutig tingiert gewesen. Fieber habe er verneint. 

Die Befunde

  • Schlanker Patient in reduziertem Allgemeinzustand, voll orientiert

  • Herzfrequenz 98 Schläge pro min, normale Blutdruckwerte,

  • Atemfrequenz 15 Atemzüge pro min

  • Auskultation der Lunge: rechts apikal abgeschwächtes Atemgeräusch, sonst unauffälliger Befund, keine  Rasselgeräusche

  • Deutlich erhöhter Wert des C-reaktiven Proteins (bis 143mg/l, Normwert <5mg/l) bei normwertigem Prokalzitonin

  • Rachenabstrich: keine Infektion mit SARS-CoV-2, Influenza A und B sowie dem respiratorischen Synzytialvirus (RSV)

  • Blutkulturen steril

  • Blutbild: ausgeprägte Leukozytose (91/nl), vorgerrschende Neutrophilie

  • Blutausstrich: Linksverschiebung ohne Nachweis von Blasten

  • Thrombozytose (554/nl) und eine milde, normozytäre Anämie

  • Röntgen-Diagnostik und Computertomographie des Thorax: im rechten Oberlappen dreieckige Konsolidierungszone mit positivem Bronchoaerogramm

Verdachtsdiagnose, Therapie und Verlauf

Die Verdachtsdiagnose der Autoren lautete: ambulant erworbene Pneumonie. Nach der stationären Aufnahme erhielt der Mann daher intravenös Ampicillin/Sulbactam; dann folgte die Eskalation der Antibiotika-Therapie wegen anhaltend hoher Infektparameter zunächst auf Piperacillin/Tazobactam mit Clarithromycin, dann auf Meropenem mit Clarithromycin; die Therapie war allerdings wirkungslos, so dass eine weitere Diagnostik erforderlich war: 

  • Erregerdiagnostik auf Legionellenantigen im Urin sowie Serologien auf atypische Pneumonieerreger: negativ.

  • Bronchiallavage: keine Keime nachweisbar

  • PCR-Test auf  Viren, Bakterien und Pilze negativ

  • Wegen der Möglichkeit eines okkulten Karzinoms: Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage sowie Biopsie;

  • Bronchoskopie-Befund: mäßige chronisch atrophe Bronchitis mit geschwollener Schleimhaut und engen Ostien im rechten Oberlappen

  • Histologische Analyse von transbronchial entnommenem Gewebe: schlecht differenziertes, solide und diffus wachsendes Adenokarzinom (Primarius)

  • Immunhistochemische Negativität für Melan A  (Ausschluss einer Metastase eines anamnestisch bekannten Melanoms)

  • 40 % der Tumorzellen PD-L1-positv (programmed cell death 1 ligand 1)

  • Keine therapierelevanten Treibermutationen in BRAF, EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor), ALK (Anaplastische Lymphomkinase) und ROS1

  • Knochenszintigraphie, CT von Thorax/Abdomen sowie eine Kontrastmittel-Sonographie der Leber: ohne Nachweis von Fernmetastasen

  • Kernspintomographie des Schädels: zerebrale Mikrometastasen ohne klinisches Korrelat

  • Knochenmarkbiopsie: Granulopoese mit normaler Ausreifung ohne Dysplasiezeichen; keine Knochenmarkkarzinose

  • Wie die Autoren weiter berichten, stiegen die Leukozyten trotz breiter Antibiotika-Therapie weiter an (Maximum nach vier Wochen  ca. 178.000/μl).

Diagnose von Heusinger und seinen Kollegen: paraneoplastische Hyperleukozytose bei neu diagnostiziertem Adenokarzinoms der Lunge. Aufgrund des malignen Tumors erhielt der Mann eine Chemotherapie. Allerdings starb er bereits nach dem zweiten Chemotherapie-Zyklus.

Diskussion

Bei Patienten mit Karzinomen und unklarer Leukozytose ist, wie die Autoren schlussfolgern, auch eine paraneoplastische Genese zu erwägen. In einer retrospektiven Studie seien 758 Patienten mit soliden Tumoren und Leukozytose > 40.000/μl untersucht worden. Bei zehn Prozent habe es sich um eine paraneoplastische Genese gehandelt. Die häufigste Tumorentität sei das nichtkleinzellige Bronchialkarzinom  gewesen. Paraneoplastische Leukozytosen korrelieren den Autoren zufolge mit einem schnelleren Wachstum des Tumors, schlechterem Therapieansprechen und einem signifikant schlechteren Überleben. Es werde angenommen, dass durch den Tumor produziertes G-CSF die Mobilisation von CD11b+Gr1+ myeloischen Zellen vermittele, die wiederum die Tumorangiogenese, Metastasierung sowie die Unterdrückung der T-Zell-Antwort begünstigten.

Es gebe derzeit keine Evidenz zum Management sekundärer G-CSF-Gaben bei therapieinduzierter Neutropenie nach paraneoplastischer Leukozytose. Im Fall des 73-jährigen Mannes sei es nach iatrogener G-CSF-Gabe im Nadir rasch zu einer erneuten überschießenden Leukozytose gekommen. Da weiterhin ein zusätzlicher stimulierender Effekt auf die CD11b+Gr1+ myeloischen Zellen durch den Wachstumsfaktor nicht auszuschließen sei, sollte die Behandlung damit kritisch hinterfragt werden.