Ein Mann mit Zyanose bei einem Sauerstoffpartialdruck von über 300 mmHg

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Kernbotschaften

Poppers, also Schnüffelstoffe, die nach Inhalation einen Rausch herbeiführen, sind in manchen „Kreisen“ sehr beliebt. Wie alle Rauschdrogen, kann auch der „Genuss“ von Popper unangenehme und auch gefährliche Wirkungen haben, wie die Krankengeschichte eines Mannes zeigt, die die belgische Notfallmedizinerin Emmanuelle Sonck („Centre Hospitalier Epicura“, Brüssel) und ihre Kollegen schildern.

Der Patient und seine Geschichte

Bei dem Patienten handelte es sich um einen 38-jährigen Mann, der wegen Dyspnoe, Unruhe und Zyanose in die Klinik-Notaufnahme eingeliefert wurde.

Die Befunde

  • Bei der Aufnahme in die Klinik betrug der Blutdruck 150/80 mmHg, die Herzfrequenz 118 Schläge pro Minute, die Atemfrequenz 32 Atemzüge pro Minute, die Sauerstoffsättigung 72 % bei Raumluft und die Körpertemperatur 36,9 °C. 
  • Die körperliche Untersuchung ergab unauffällige Lungen- und Herzgeräusche, jedoch Zeichen einer zentralen Zyanose. Neurologisch war der Mann unauffällig.

Vor der Analyse der arteriellen Blutgase wurde er über eine Atemmaske mit 15 l Sauerstoff versorgt. Das vollständige Blutbild (CBC) war normal. Die Blutgasanalyse ergab:

  • pH-Wert 7,45 (7,35-7,45)
  • pCO 37,0 mmHg (35- 45 mmHg) 
  • pO2 341,0 mmHg (75-90 mmHg) 
  • HCO3 25,0 mmol/L (22,0-29,0 mmol/L) 
  • Basenüberschuss 1,9 mmol/L (-2 bis 2 mmol/L)
  • SaO2 97,4% (95-99%) und 
  • Laktat 2,5 mmol/L (0,50-2,00 mmol/L).

Weitere Befunde: 

  • Thorax-Röntgenbild: normales Lungengewebe ohne Anzeichen eines Pneumothorax oder einer Infektion; keine Hypertrophie des Herzens. 
  • EKG: Sinus-Tachykardie
  • Drogenanalyse im Urin unauffällig. 

Trotz Sauerstofftherapie und einem pO2-Wert von 341 mmHg verbesserten sich die klinischen Symptome der Hypoxie nicht. In Anbetracht der Tatsache, dass von einem früheren Klinikaufenthalt des Patienten der Konsum von Popper bekannt war, wurde eine Messung des Methämoglobins angeordnet. Ergebnis war ein Wert von 35,2 Prozent. Später bestätigte der Patient, dass die Symptome nach dem Konsum von Poppers aufgetreten seien. 

Diagnose, Therapie und Verlauf

Aufgrund der Diagnose einer Methämoglobinämie erhielt der Patient intravenös Methylenblau (1 mg/kg über 15 Minuten). Die Symptome klangen rasch ab, der Methämoglobinspiegel normalisierte sich. Der Patient konnte noch am selben Tag nach völligem Abklingen seiner Symptome nach Hause entlassen werden. 

Diskussion

Der Fall verdeutlicht den Autoren zufolge das typische klinische Bild einer Methämoglobinämie. Diese möglicherweise lebensbedrohliche Erkrankung kann nach der Einnahme oder Inhalation von Poppers auftreten, die häufig in Sexshops verkauft werden. Wenn sich ein Patient mit zentraler schiefergrauer Zyanose, fehlender Reaktion auf Sauerstoffgabe, schokoladenfarbenem Blut und arteriellen Blutgasen mit unerklärlicher Hypoxie bei normalem PaO vorstelle, müssse eine Methämoglobinämie vermutet werden, so die Notfallmediziner. Im Falle einer Methhämoglobinämie ist eine schnelle Behandlung mit intravenös verabreichtem Methylenblau indiziert.

Der Konsum von Poppers ist nach Angaben der Autoren unter Homosexuellen verbreitet, aber nicht auf sie beschränkt. So habe eine französische Studie aus dem Jahr 2018 gezeigt, dass mehr als 50 % der Fälle von Methämoglobinämie mit Werten über 25 % im Blut mit dem Konsum von Poppers assoziiert seien. Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen seien Poppers nach Cannabis die am zweithäufigsten konsumierte Freizeitdroge. 

Eine Methämoglobinämie liegt vor, wenn der Anteil des Methämoglobins am Gesamthämoglobingehalt des Blutes seinen physiologischen Wert übersteigt. Ein genauer Schwellenwert ist dabei nicht definiert. Bei einem Gesunden liegt der Methämoglobinanteil bei etwa drei Prozent. Erste klinische Symptome treten ab ca. zehn Prozent auf, ernsthafte Gewebehypoxien ab 30 Prozent. Ab einem Methämoglobinanteil von 40 Prozent besteht Lebensgefahr.

Eine Methämoglobinämie kann nicht nur Folge einer Intoxikation oder Pharmakotherapie, sondern auch genetisch bedingt sein. Die so genannte Hereditäre Methämoglobinämie (HM) ist allerdings eine seltene erythrozytäre Erkrankung, bei der zwei hauptsächliche klinische Phänotypen unterschieden werden, die Typen 1 und 2 der autosomal-rezessiven kongenitalen (oder hereditären) Methämoglobinämie. Bei der RCM Typ 1 ist das einzige Symptom eine von Geburt an bestehende Zyanose. Der Typ 2 hat dagegen einen schwereren Verlauf: Die Zyanose wird begleitet von neurologischen Störungen (Mikrozephalie, Opisthotonus, Strabismus, Muskelhypertonie), intellektuellem Defizit und retardiertem Wachstum. Diese zusätzlichen Störungen werden in den ersten 4 Lebensmonaten manifest.