Ein Mann mit Monoparese, Bandscheiben-Op und Bluttransfusion in der Vorgeschichte
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Bei Patienten mit einer progredienten Monoparese sollte differenzialdiagnostisch auch an entzündliche Erkrankungen als Ursache gedacht werden; die frühzeitige Klärung der Ursache kann wichtige therapeutische Konsequenzen haben, wie die Krankengeschichte eines Mannes zeigt, die Professor Thorleif Etgen (Klinik für Neurologie, Klinikum Traunstein) und Dr. Michael Winklmaier (internistisch-hausärztliche Praxisgemeinschaft, Waldkraiburg) in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ schildern.
Der Patient und seine Geschichte
Der 60-jährige Patient wurde nach Angaben der beiden Autoren zur Abklärung einer seit sechs Monaten zunehmenden schmerzlosen Umfangsverminderung der rechten Wade ins Krankenhaus eingewiesen. Das Gehen sei etwas unförmig, stolpern oder stürzen würde er jedoch nicht; er habe auch keine Sensiblitätsstörungen. Bis auf Bluthochdruck und eine taube rechte Fußaußenseite seit einem Bandscheibenvorfall vor 20 Jahren habe er keine Vorerkrankungen.
Die Befunde
- Internistisch unauffällig, insbesondere kein Hinweis auf eine Lebererkrankung,
- klinisch-neurologisch deutliche Atrophie der rechten Unterschenkelmuskulatur (Umfang: Unterschenkel rechts 32 cm, links 36 cm; Oberschenkel rechts 47 cm, links 47 cm) sowie eine leichtgradige Fußheber-, Großzehenheber- und -Fußsenkerparese rechts,
- Muskeleigenreflexe an den Beinen waren seitengleich lebhaft (Patellarsehnenreflex) bis mittellebhaft (Achillessehnenreflex),
- Pyramidenbahnzeichen negativ,
- kein neues sensibles Defizit.
- MRT: keine Kompression und kein Neurinom des N. ischiadicus bzw. seiner peripheren Äste nachweisbar; aber ausgeprägte Atrophie mit diffusem Muskelödem isoliert nur des M. trizeps surae rechts.
- elektroneurografisch kein eindeutig relevanter Befund, Hinweise auf eine diskrete demyelinisierende Neuropathie des N. ischiadicus rechts,
- elektromyografisch rechter M. gastrocnemius mit Zeichen einer kombinierten frischen und chronischen Schädigung,
- MEP (motorisch-evozierte Potenziale) z normale zentralmotorische Leitungszeit (rechts 16,6, links 15,8 ms; Norm: < 21,8 ms),
- Tumorscreening mit Röntgen-Thorax und Abdomen-Sonografie unauffällig,
- Im Liquor diskrete Pleozytose, Erregerdiagnostik (FSME, Borrelien, HSV- und VZV-PCR) unauffällig,
- Labordiagnostik: HbA1c 8,1 % bei erhöhten Leberwerten, außerdem positive Hepatitis-C-Serologie und positiver HCV-Blot; Hepatitis-C-PCR ergab eine hohe Viruslast im Serum (4,2 Mio. IU/ml); sogar im Liquor Nachweis einer Viruslast, die allerdings sehr niedrig war (≤ 15 IU/ml).
- Laborchemische Diagnostik: Paraproteinämie bzw. monoklonale Gammopathie vom Typ IgM/ Kappa.
Die angeforderte Bestimmung von Kryoglobulinen konnte nach Angaben der Autoren aus technischen Gründen nicht mehr erfolgen.
Diagnose, Therapie und Verlauf
Diagnose: Hepatitis-C-assoziierte Mononeuropathie des rechten N. ischiadicus mit Schwerpunktbeteiligung des N. tibialis; zumindest die klinisch nachweisbare Fußheberparese habe auch für eine leichte Affektion des rechten N. peroneus gesprochen, erklären die Autoren. Alternativ käme noch eine Hepatitis-C-assoziierte Myopathie des M. trizeps surae in Betracht (Creatinkinase leicht erhöht). Allerdings sei drei Wochen zuvor ein EMG in mehreren Muskeln durchgeführt worden; zudem deuteten auch die Pleozytose mit HCV-RNA-Nachweis sowie die elektrophysiologischen Veränderungen auf eine neurogene Störung hin.
Die erweiterte Anamnese habe dann ergeben, dass der Bruder offensichtlich auch schon „seit Jahren eine Hepatitis C hatte“. Außerdem habe der 60-jährige Patient der Fallgeschichte vor über 30 Jahren bei der operativen Versorgung nach Skiunfall eine Bluttransfusion erhalten.
Aufgrund der HCV-Diagnose Behandlung mit Sofosbuvir und Velpatasvir (drei Monate); Viruselimination auch noch sechs Monate nach Therapieende; in der klinischen Nachbeobachtungszeit von einem Jahr keine weitere Progredienz der atrophischen Monoparese mehr.
Diskussion
Die klinische Differenzialdiagnose einer progredienten Monoparese umfasst laut Thorleif Etgen und Michael Winklmaier verschiedene Erkrankungen:
- beginnende Motoneuroerkrankung
- benigne monomelische Amyotrophie (Hirayama-Erkrankung), wobei meistens bei jungen Männern die Arme, aber in einzelnen Fällen auch die Beine betroffen sein könnten
- diabetische Radikulo-Plexopathie
- vaskulitische Neuropathie bzw. Mononeuritis multiplex
- multifokale motorische Neuropathie
Eine schmerzlose progrediente atrophische Monoparese bei einer Hepatitis C sei bisher noch nicht berichtet worden, berichten Etgen und Winklmaier. Periphere Neuropathien bei chronischer Hepatitis C manifestieren sich nach ihren Angaben häufiger im Zusammenhang mit einer Kryoglobulinämie als Vaskulitis. Die klinischen Erscheinungsformen seien kutan (Purpura, Ulzera, vasomotorische Symptome, Livedo reticularis), rheumatologisch (Arthralgie, Arthritis) und bei einer peripheren Neuropathie meist Parästhesien und Schmerzen in den Beinen. Das Fehlen dieser Symptome und die insgesamt untypische klinische Manifestation im vorliegenden Fall sprächen gegen eine Kryoglobulinämie-assoziierte Vaskulitis als Ursache der Monoparese. Möglicherweise spielten direkte oder indirekte neurotoxische Effekte des Hepatitis C-Virus eine Rolle. Als ein Hinweis darauf könnte der schwache Nachweis der aktiven Replikation des Virus im ZNS durch die – allerdings sehr niedrige – Virämie im Liquor sein. Insgesamt sei der Nachweis der HCV-PCR im Liquor nur in wenigen Fällen untersucht bzw. beschrieben worden.
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