Ein Mann mit Gangunsicherheit und verwaschener Sprache
- Dr.med.Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Bei neu aufgetretenen unklaren neurologischen Symptomen sollte immer auch an eine paraneoplastische Genese gedacht werden. Um einen Tumor nicht zu übersehen, sei eine sorgfältige Differenzialdiagnose erforderlich. Das verdeutlichen der Neurologe Dr. Marc Weihrauch und Kollegen vom Bundeswehrkrankenhaus in Ulm mit der Krankengeschichte eine 73-jährigen Mannes.
Der Patient und seine Geschichte
Der Patient kam zur Abklärung einer seit mehreren Monaten bestehenden zunehmenden Gangunsicherheit in das Ulmer Bundeswehrkrankenhaus. Die Symptomatik bestand nach Angaben der Neurologen seit etwa sechs Monaten; im Verlauf sei eine verwaschene Sprache hinzugekommen. Eine ambulante MRT habe eine vaskuläre Enzephalopathie sowie eine generelle Hirnatrophie gezeigt. Aufgrund von Schwindel-Symptomen sei bereits eine stationäre internistische Aufnahme erfolgt. Die Diagnosen hätten akute unilaterale Vestibulopathie sowie hypertensive Entgleisung gelautet. Auf weiteres Nachfragen habe der Patient „eine ungewollte Gewichtsabnahme von etwa 5 kg innerhalb der letzten 5 Monate“ und Nachtschweiß angegeben. Die Familienanamnese zu neurologischen Erkrankungen sei unauffällig gewesen, ein übermäßiger Alkoholkonsum habe nicht bestanden.
Die Befunde
- Patient mit ausgeprägter Stand- und Gangataxie
- Deutliche Dysarthrie ohne Schluckstörungen
- Zum Zeitpunkt der Aufnahme ungestörte Okulomotorik, Zeigeversuche dysmetrisch
- MRT und neurophysiologische Diagnostik ohne weiterführende Befunde.
- Labordiagnostik (u.a. Vitamin B12, Vitamin E, Infektionsserologie bezüglich HIV, Neuroborreliose, Syphilis): keine weiterführenden Hinweise
- Erweiterte Labordiagnostik: im Serum (Titer 1:1000) wie auch im Liquor (Titer 1:10) ein positiver Nachweis von Anti-Tr(DNER)-Autoantikörpern. Ein Tumor sei bei dem Patienten bisher allerdings nicht bekannt gewesen.
- PET-CT-Diagnostik: stoffwechselaktive vergrößerte Lymphknoten links axillar sowie bds. mediastinal, periklavikular links und auch abdominal paraaortal, vom Verteilungsmuster vereinbar mit einem Lymphom.
- Feinnadel-Aspirationszytologie sowie Stanzbiopsie: Diagnose eines Hodgkin-Lymphoms
Vor Eingang des endgültigen histologischen Befundes sowie der pathologischen Autoantikörper sei der Mann unter der Annahme einer möglichen paraneoplastischen Zerebellitis mit i.v. Immunglobulinen behandelt worden. Hierunter sei es zu einer Stabilisierung des Befundes mit etwas rückläufiger Stand- und Gangataxie sowie insbesondere zu einer deutlichen Abnahme der Dysarthrie gekommen.
Der Patient sei nach der Tumor-Diagnose zur kurativen Lymphom-Behandlung in die onkologische Abteilung verlegt worden. Nach initialer Besserung habe die neurologische Symptomatik zugenommen, dann auch mit ausgeprägter Dysphagie und weiterem Gewichtsverlust: Die Verschlechterung sei noch während der Chemotherapie aufgetreten. Da zwei erneute Behandungszyklen mit i.v. Immunglobulinen die neurologische Symptomatik nicht gebessert hätten, sei eine Plasmapherese vorgenommen worden. Der Mann habe schließlich eine neurologische Rehabilitation beginnen können (zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung noch nicht abgeschlossen).
Diskussion
Ataxien bei Erwachsenen sind, wie die Autoren erklären, klinisch und ätiologisch heterogene Erkrankungen. Typisch sei initial eine progrediente Stand- und Gangataxie, gefolgt von einer Extremitätenataxie, zerebellarer Dysarthrie und Okulomotorikstörung.
Außer hereditären Ataxien kämen auch erworbene und sporadisch-degenerative Ataxien in Betracht. Der Verdacht auf eine hereditäre Ataxie ergebe sich meist aus dem typischen klinischen Bild und der Familienanamnese. Bei Erkrankungen von Erwachsenen müsse hier zum Beispiel an die spinozerebellaren Ataxien (SCA) gedacht werden.
Erworbene Ataxien seien sporadische Erkrankungen, die in jedem Alter auftreten könnten. Außer an toxische oder metabolische Ursachen müsse immer auch an eine immunvermittelte Genese gedacht werden. Die häufigste erworbene Ataxie bei Erwachsenen sei die alkoholische Kleinhirndegeneration, allerdings könnten auch viele Medikamente eine Ataxie verursachen.
Bei verschiedenen Malignomen könnte eine paraneoplastische Kleinhirndegeneration auftreten, und zwar auch vor der Diagnose des Tumorerkrankung. Nicht selten werde eine maligne Tumorerkrankung bei der Ursachenklärung einer paraneoplastischen Kleinhirndegeneration diagnostiziert, berichten die Autoren. Paraneoplastische Syndrome werden, wie sie erklären, durch Antikörper gegen intrazelluläre Antigene, aber auch durch Autoantikörper gegen neuronale Oberflächenantigene verursacht. Die häufigsten bei der subakuten Kleinhirndegeneration gefundenen Antikörper seien Anti-Hu, Yo, Amphiphysin, Ri oder CV2/CRMP5. Teilweise seien die Antikörper wegweisend für einen bis dahin noch unbekannten Primärtumor. So seien Anti- Yo-AK typisch für Mamma- oder Ovarialkarzinome, Anti-Tr(DNER)-Antikörper seien häufig mit einem M. Hodgkin assoziiert.
Bei klinischem Verdacht auf eine paraneoplastische Kleinhirndegeneration sei demzufolge eine entsprechende Bestimmung der Autoantikörper, idealerweise im Serum und im Liquor, indiziert.
Diese Kasuistik zeige, wie wichtig eine sorgfältige Differenzialdiagnostik bei neu aufgetretenen und progredienten neurologischen Symptomen sei., berichten die Autoren abschließend. Im vorliegenden Fall sei ein Hodgkin-Lymphom noch nicht bekannt gewesen. Aufgrund der zerebellaren Symptomatik, sei eine entsprechende zielgerichtete Diagnostik veranlasst worden; durch den Nachweis von Anti-Tr(DNER)-Autoantikörpern habe schließlich die Diagnose einer autoantikörper-assoziierten paraneoplastischen Kleinhirndegeneration gestellt werden können. Nachfolgend sei dann auch ein Hodgkin-Lymphom diagnostiziert worden.
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