Ein Mangel der Aminosäure Taurin befördert offenbar den Alterungsprozess

  • Michael Simm
  • Studien – kurz & knapp
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Kernbotschaften

Die Blutkonzentrationen des Mikronährstoffes Taurin nehmen bei Mäusen, Affen und Menschen im Alter ab, berichtet eine internationales Forscherteam in der Fachzeitschrift Science. Weiterhin präsentieren die Wissenschaftler Evidenz, dass durch eine Supplementierung die Dauer der gesund verbrachten Lebenszeit bei Fadenwürmern, Mäusen und Affen verlängert werden kann. Bei Würmern und Mäusen verlängerte sich auch die Lebensdauer insgesamt um etwa ein Fünftel.

Hintergrund

Über die Lebenszeit des Menschen lassen sich zahlreiche physiologische Veränderungen beobachten, bei denen aber schwer zu bestimmen ist, ob sie ursächlich für den Alterungsprozess sind, oder lediglich assoziierte Marker. Naheliegend ist die Beweisführung anhand einer Supplementation von Substanzen, deren Konzentration im Alter stark abnimmt – wie dies hier für einen semiessenziellen Mikronährstoff praktiziert wurde, die Aminosäure Taurin.

Design

Hypothesengetriebene Tierversuche und explorative Messungen bei menschlichen Probanden zur Bestimmung der Konzentration des im Blut zirkulierenden Taurin und dessen Assoziation mit dem Alterungsprozess. Letzterer wurde sowohl anhand der gesunden Lebensspanne bestimmt als auch anhand der Gesamtlebensdauer. Erklärtes Ziel der Studie war es, herauszufinden, ob eine Taurindefizienz den Alterungsprozess antreibt und die gesund verbrachte Lebensspanne beeinflusst.

Ergebnisse

  • Blutwerte von Taurin bei jungen versus alten Individuen:
    • Mäuse, 4 Wochen gegenüber 56 Wochen: 132,3 vs. 40,2 ng/ml
    • weibliche Rhesusaffen, 5 Jahre gegenüber 15 Jahre: Reduktion um 85 % (Ca. 80 auf 12 ng/ml)
    • Menschen, „ältere gegen jüngere“: Reduktion > 80 % (Ca. 220 auf 40 ng/ml)
  • Lebensverlängerung durch Taurin-Supplementierung:
    • 1000 mg/kg einmal täglich bei Mäusen ab dem 14. Lebensmonat: Mediane Lebensverlängerung 10 – 12 %. Lebenserwartung mit 28 Monaten verlängert um 18 – 25 %.
    • 300 µM bei Fadenwürmern (Caenorhabditis elegans) in Nährlösung: Lebensverlängerung um 10 – 23 %
    • Keine Lebensverlängerung bei der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae.
  • Gesundes Altern / Organgesundheit bei Mäusen, bestimmt durch eine Vielzahl physiologischer Messung zur Funktion und Komposition einzelner Organe:
    • Altersbedingte Gewichtszunahme um 10 % verringert,
    • Knochenmasse, Bruchfestigkeit und Steifheit verbessert,
    • Muskelstärke, gelaufene Distanz, Griffstärke verbessert,
    • Depressions-ähnliches Verhalten und Angst verringert,
    • Glukose-Homöostase verbessert,
    • Darmpassage beschleunigt,
    • Osteoporose (bei Weibchen) „geheilt“, Gewichtszunahme nach Ovariektomie verhindert,
    • generell größere Effekte bei weiblichen Tieren,
    • die optimale Dosis war je nach Organsystem verschieden.
  • Taurin beim Menschen, Analyse des Zusammenhangs mit > 50 klinischen Risikofaktoren bei 11966 Teilnehmern der EPIC-Norfolk-Studie:
    • Höhere Taurinwerte sind mit niedrigerem BMI assoziiert, einer niedrigeren Prävalenz von Typ-2-Diabetes, niedrigeren Glukosespiegeln, und weniger C-reaktivem Protein,
    • Hämoglobin, Blutplättchen und weiße Blutzellen korrelieren positiv mit Taurin-Metaboliten,
    • Weitere Befunde sind „konsistent damit, dass eine Zunahme an Taurin und verwandten Metaboliten einige der Effekte von sportlicher Betätigung vermitteln könnte“.

Klinische Bedeutung

Zusätzlich zu den berichteten Experimenten präsentieren die Autoren molekular- und zellbiologische Evidenz, die sie dahingehend zusammenfassen, dass „Taurin und dessen Abkömmlinge das Alten verzögern könnten, indem sie verschiedene Kennzeichen (Hallmarks) in unterschiedlichen Zellen und Geweben beeinflussen.“ Toxische Effekte von Taurin sind bisher nicht bekannt, es wird bereits als Bestandteil von Enrgiedrinks angeboten, und der Verkauf im Internet als unregulierter Nahrungsmittelzusatz dürfte durch die Vermarktung der aktuellen Studie noch weiter zunehmen. Allerdings entsprächen die hier genannten Dosierungen für einen Durchschnittsmann einer täglichen Aufnahme von mehr als 20 Gramm. Dies dürfte randomisierte klinische Studien ebenso erschweren wie die Tatsache, dass messbare Wirkungen – wenn überhaupt – erst nach Jahren zu erwarten sind.

Finanzierung: Nathan Shock Center of Excellence, National Institutes of Health, Wellcome, Deutsche Forschungsgemeinschaft u.v.a.