Ein Mädchen mit oraler Blutung nach Marzipan-Genuss, kloßiger Sprache und Mundgeruch

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften 

Tumoren des peripheren Nervensystems, die von den Schwann-Zellen ausgehen, sind gutartig, können aber unangenehme Symptome verursachen. Das gilt nicht nur für Akustikus-Neurinome, wie die Krankengeschichte eines Kindes zeigt, die Dr. Veronika Volgger und ihre Kollegen von der LMU München schildern.

Die Patientin und ihre Geschichte

Das elfjährige Mädchen wurde nach Angaben der HNO-Ärztin von einem peripheren Krankenhaus, wo sich das Kind aufgrund einer leichten oralen Blutung nach Marzipan-Genuss vorstellte, in die Universitätsklinik überwiesen; die Anamnese ergab, dass das Mädchen seit zwei Monaten auffallenden Mundgeruch hatte. Eine zahnärztliche Untersuchung habe jedoch keine Ursache dafür gefunden. Vorerkrankungen: Asthma bronchiale und ein angeborener Naevus flammeus im Bereich der rechten Stirn (Sturge-Weber-Syndrom Typ II) mit sekundärem rechtsseitigem Glaukom.

Die HNO-Befunde

  • Kugelförmige Raumforderung im Zungengrund, bis vor den Larynxeingang reichend
  • Kloßige Sprache, kein Stridor, weder Dysphagie noch Dyspnoe 
  • MRT-Diagnostik: 2,2 × 2,8 × 2,4 cm großer, stark kontrastmittelaufnehmender Tumor, ausgehend vom Zungengrund; fast komplette Verlegung des kaudalen Oropharynx

Therapie und Verlauf

Nach angiographischer Identifizierung (unter Narkose) von zwei Ästen der rechten A. lingualis als tumorversorgende Gefäße zunächst Embolisation dieser Gefäße und dann transoral mikrochirurgische Entfernung des Tumors. Die histopathologische Untersuchung und immunchemische Diagnostik ergaben einen gutartigen Tumor, und zwar ein Schwannom. Knapp eine Woche später konnte das Kind nach Hause entlassen werden. Empfohlen wurden regelmäßige klinische Kontrollen; außerdem wurde eine weitere genetische Abklärung (SWS, Schwannomatose, Neurofibromatose [NF] Typ II, mitochondriale Stoffwechseldefekte) veranlasst. 

Diskussion 

Schwannome sind nach Angaben von Volgger und ihren Kollegen gutartige, langsam wachsende Tumoren, welche von den Schwann-Zellen peripherer Nerven ausgehen. Es handelt sich dabei um seltene Neubildungen (Inzidenz 1–9/100.000 Personen im Jahr), die vor allem im Kopf-Hals-Bereich vorkommen (25–45 %). Hier stammten sie meist von kaudalen Hirnnerven oder Strukturen des sympathischen Nervensystems ab. Im Fall des elfjährigen Mädchens könnten Äste des N. hypoglossus den Ursprungsort des Tumors gebildet haben, berichten die Autoren. 

Der Erkrankungsgipfel bei Schwannomen liege zwischen der 4. und 6. Lebensdekade. In über 90 Prozent der Fälle träten Schwannome solitär und sporadisch auf. Allerdings kämen sie auch bei Syndromen vor, insbesondere bei NF Typ II (3 % aller Fälle). Ein multiples Auftreten dieser Neoplasien unabhängig von Syndromen komme in zwei Prozent der Fälle (Prävalenz 1/40.000 Personen) vor und werde als Schwannomatose bezeichnet. Die Therapie der Tumore sei primär chirurgisch, Rezidiv- und Entartungspotenzial seien unklar. 

Ägyptische Ärzte um Dr. Mahmood A. Hamed (Otorhinolaryngology, Head and Neck surgery department, Sohag University) haben vor wenigen Jahren eine Übersichtsarbeit zu Zungengrund-Tumoren veröffentlicht. Auswerten konnten sie 33 Publikationen aus dem Zeitraum 1964 bis 2017. Insgesamt waren 43 Patienten (Alter zwischen 6 und 68 Jahren, Durchschnitt 28,6 Jahre) betroffen. Von diesen Patienten waren 17 männlich (39,5 %) und 26 weiblich (60,5 %).

Progressive Dysphagie, Globusgefühl und schmerzlose Schwellungen waren die häufigsten Symptome (93 %). Andere Symptome wie Odynophagie, häufiges Schnarchen, Schmerzen, Atembeschwerden, Schnarchen und Stimmveränderungen wurden bei fast einem Viertel der Patienten (25,6 %) beobachtet. Die Größe der Läsion lag zwischen 1,2 und 7,9 cm (maximaler Durchmesser).

Intraorale Schwannome seien zwar selten, betonen die ägyptischen Ärzte ebenso we Volgger und ihre Kollegen. Die gutartigen Tumore sollten aber dennoch bei auffallenden Schwellungen differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden. Zur sicheren Entfernung derartiger Tumoren sei eine eng aufeinander abgestimmte interdisziplinäre Zusammenarbeit unabdingbar, betonen die HNO-Ärzte der LMU München.