Ein Krebs-Patient mit Rhythmusstörungen und Enzephalitis unter Immuntherapie
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Bei Tumor-Patienten, die Immun-Checkpoint-Hemmer erhalten, können selbst geringe EKG-Veränderungen Hinweise auf die Entwicklung schwerwiegender kardialer Komplikationen hinweisen. Die Patienten sollten daher engmaschig überwacht werden, empfehlen spanische Kardiologen. Anlass ist die Krankengeschichte eines älteren Krebs-Patienten.
Der Patient und seine Geschichte
Der 70-jährige Patient wurde wegen starkem Schwindel, Dyspnoe und Schweißausbrüchen stationär aufgenommen. Bei der Ankunft im Krankenhaus war er asymptomatisch und febril, seine Vitalparameter waren normal: Herzfrequenz 88 Schläge/Min., Blutdruck 113/48 mm Hg, 98 % Sauerstoffsättigung bei Raumluft. Aufgrund eines Nierenzellkarzinoms war der Mann operiert worden und erhielt seit knapp drei Wochen eine Kombinationsbehandlung mit den Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICIs) Nivolumab/Ipilimumab
Die Befunde
- EKG: Sinusrhythmus mit anteriorem und linksseptalem Faszikelblock. Ein älteres EKG (30 Tage vor Beginn der Tumor-Therapie), das in der elektronischen Patientenakte verfügbar war, zeigte keine relevanten Abnormalitäten.
- Blutuntersuchungen ergaben erhöhte Werte des hochempfindlichen Troponins (7,2 ng/ml) und des C-reaktiven Proteins (17,2 mg/l).
- Die Ergebnisse der Nieren- und Leberfunktionstests waren unauffällig.
- Der BNP-Wert lag im Normbereich.
- Ein Echokardiogramm zeigte eine normale linksventrikuläre Auswurffraktion mit leichter inferiorer Hypokinese.
Zu den Differentialdiagnosen gehörten nach Angaben der Autoren Myokarditis, akutes Koronarsyndrom ohne ST-Hebung und Typ-2-Myokardinfarkt. Der Patient wurde daraufhin auf der Koronarstation aufgenommen.
Weitere Befunde und Verlauf
Zwei Stunden nach der Aufnahme beschrieb der Patient erneut Schweißausbrüche und Schwindelgefühl. Ein 12-Kanal-EKG zeigte einen vollständigen AV-Block mit einem ventrikulären Escape-Rhythmus bei 36 Schlägen/Min., der vom rechten Bündel ausging; in den nächsten Minuten zeigten Serien-EKGs progrediente Herzrhythmusstörungen einschließlich verlängerter ventrikulärer Pausen von 15 Sekunden. Der Patient erhielt daraufhin einen temporären Schrittmacher. Unmittelbar danach zeigte die Koronarangiographie normale Koronararterien. Nach dem Eingriff entwickelte der Patient ein hypoaktives Delirium und zunehmende Bewusstseinsstörung, so dass er intubiert werden musste. Eine zerebrale CT war unauffällig. Weitere Labortests, eine zerebrale MRT, ein EEG und Liquoranalyse halfen diagnostisch nicht weiter. Eine Myasthenia gravis wurde in Betracht gezogen, konnte aber nicht belegt werden.
Diagnose, Therapie und Verlauf
Ausgehend von der Diagnose einer immunvermittelten Myokarditis und Enzephalitis wurde eine hochdosierte intravenöse Steroidbehandlung eingeleitet (1 g Methyl-Predinisolon täglich für 3 Tage, danach deeskaliert auf 1 mg/kg/Tag). Nach 72 Stunden Behandlung hatte der Patient eine normale AV-Überleitung, zudem war er wieder bewusstseinsklar und konnte extubiert werden. Innerhalb von 48 Stunden erlitt er jedoch einen Rückfall mit Bewusstseinsstörungen und musste erneut intubiert werden. Nach dreitägiger immunsuppressive Behandlung und die Atemunterstützung konnte der Patient ohne weitere Komplikationen extubiert werden.
Die kardiale MRT wies auf ein diffuses Myokardödem und eine Myokarditis hin. Volumen und Funktion des linken Ventrikels waren normal. Der Patient konnte aus der Klinik entlassen werden; er erhielt keine Kortikosteroide mehr, die Behandlung mit Nivolumab/Ipilimumab wurde beendet.
Diskussion und Empfehlungen
Immunbedingte unerwünschte Ereignisse (irAEs), treten den Autoren zufolge bei 60% bis 80% der Patienten auf, die ICIs einnehmen. Kardiovaskuläre Ereignisse gelten als selten, werden jedoch womöglich unterschätzt, denn in einer Studie wurde eine Inzidenz von fast zehn Prozent berichtet. Darüber hinaus deuten neuere Erkenntnisse darauf hin, dass leichte Fälle von Myokarditis bei Patienten, die mit ICIs behandelt werden, häufig sind.
Gehe die Myokarditis mit Rhythmusstörungen einher, könne die Sterblichkeit bis zu 60 Prozent betragen, berichten die Kardiologen. Obwohl die meisten Fälle mit einer permanenten Stimulation behandelt würden, zeigt der vorliegende Bericht, dass die Immunschädigung möglicherweise reversibel sei. Im vorliegenden Fall sei die Myokarditis gleichzeitig mit einer Enzephalitis aufgetreten, worüber bislang selten berichtet worden sei. Der Fall zeigt nach Angaben der spanischen Autoren, dass sich selbst bei geringfügigen EKG-Veränderungen schwerwiegende kardiale Komplikationen entwickeln könnten. Bemerkenswert an der Krankengeschichte des Mannes sei zudem, dass sich die Arrhythmien unter adäquater Therapie vollständig zurückgebildet hätten.
Kardiale Komplikationen können nicht allein bei Immuntherapie mit Immun-Check-Point-Hemmern auftreten, sondern auch bei den modernen CAR- T-Zelltherapien, wie kürzlich Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen im „European European Heart Journal“ berichtet haben. Eine der möglichen Nebenwirkungen dieser Therapie sei eine systemische Entzündungsreaktion, bei der verstärkt Zytokine im ganzen Körper ausgeschüttet würden. Das könne leichte grippeähnliche Symptome hervorrufen, aber auch zu schweren Komplikationen wie einem multiplem Organversagen führen. „Bisher war unklar, inwiefern sich diese Entzündungsreaktion auch das Herz-Kreislaufsystem auswirkt“, erklärte Professor Dr. Tienush Rassaf, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Universitätsmedizin Essen. Das Forscherteam hat zeigen können, dass die ausgeschütteten Botenstoffe häufig eine erhöhte Herzfrequenz und niedrigen Blutdruck verursachen, aber auch Kammerflimmern und Herzrhythmusstörungen. Insbesondere bei kardiovaskulär Vorerkrankten träten myokardiale Minderdurchblutungen, Gefäßverschlüsse und Herzversagen während einer CAR-T-Zelltherapie auf.
Prophylaxe und Therapie kardialer Komplikationen bei Tumor-Therapien sind Gegenstand einer neuen Leitlinie der Europäischen Kardiologen-Gesellschaft (ESC). Die Leitlinie wurde kürzlich beim Kongress der Fachgesellschaft in Barcelona vorgestellt.
Zu den bekannten kardialen Komplikationen der Immun-Check-Point-Hemmer zählen laut der Leitlinie insbesondere Myokarditiden und Myoperikarditiden. Die größte Fallserie von 122 Patienten mit ICI-assoziierter Myokarditis zeigte ein frühes Auftreten von Symptomen (im Median 30 Tage nach der ersten ICI-Exposition); die Sterberate war hoch (50 %). Spätere kardiovaskuläre Komplikationen (90 Tage) seien weniger gut charakterisiert, hätten aber im Allgemeinen ein höheres Risiko für ein nicht-entzündliches Herzversagen, eine progressive Atherosklerose und für Bluthochdruck. Andere während einer ICI-Therapie beschriebene kardiovaskuläre Komplikationen sind unter anderen Herzinfarkt, AV-Block, supraventrikuläre und ventrikuläre Arrhythmien, plötzlicher Herztod, Perikarditis und ischämischer Schlaganfall.
Ein erhöhtes kardiales Risiko besteht vor allem bei dualen ICI-Therapien (z. B. Ipilimumab und Nivolumab), einer ICI-Kombinationstherapie mit anderen kardiotoxischen Therapeutika sowie bei Patienten mit ICI-bedingten, nicht kardiovaskulären Ereignissen oder einer schon länger bestehenden Herzgefäß-Erkrankung.
Bei allen Patienten, die mit ICI behandelt werden, sollten zu Beginn der Therapie ein EKG und ein Troponintest durchgeführt werden, bei Hochrisiko-Patienten sei außerdem eine TTE-Untersuchung indiziert.
Dieser Volltext ist leider reserviert für Angehöriger medizinischer Fachkreise
Sie haben die Maximalzahl an Artikeln für unregistrierte besucher erreicht
Kostenfreier Zugang Nur für Angehörige medizinischer Fachkreise