Ein junges Mädchen mit unklarer Bewusstlosigkeit
- Dr. med.Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Im Fall von Intoxikationen mit Trizyklika und insbesondere mit Amitriptylin sind schwere Herzrhythmusstörungen zu erwarten; ein EKG-Monitoring ist unbedingt notwendig. Natriumhydrogenkarbonat könne lebensrettend sein, berichten Dr. Khaled Elsayed und Kollegen vom St. Franziskus–Hospital Ahlen und der Charité. Anlass ist die Krankengeschichte einer Jugendlichen.
Die Patientin und ihre Geschichte
Das knapp 16-jährige Mädchen wurde nach Angaben der Autoren in komatösem Zustand ohne Reaktion auf Schmerzreize von Rettungsteam in die Klinik gebracht. Die Mutter habe die Jugendlich zu Hause regungslos vorgefunden. Vorangegangen sei ein Streit zwischen den beiden, danach hätten die Eltern über eine Stunde nicht nach ihr geschaut. Fragen nach Fieber oder eine Dauermedikation seien von den Eltern verneint worden.
Bei Eintreffen des Rettungsteams habe die Patientin im Bett gelegen und auf Schmerzreize noch reagiert, die Vitalparameter seien stabil und die Pupillen mittelweit gewesen. Sie hätte weder eingenässt, noch seien Verletzungen am Kopf oder der Zunge festgestellt worden.
Befunde bei Eintreffen in der Klinik
Stuporös-komatöse Jugendliche, kein Meningismus, keine klinischen Anhaltspunkte für einen Krampfanfall
Pupillen eng, nicht auf Licht reagibel
Körperkerntemperatur nur 35,5 °C
Muskeltonus nicht erhöht
Auffällig waren nach weiteren Angaben der Autoren „nicht zu unterbrechende, wellenförmige, vertikale Auf- und Abbewegungen der Zunge sowie alte Ritzspuren am Bauch und an beiden Oberschenkeln der Patientin“.
Herzfrequenz 130/min, Blutdruck 130/85 mmHg und periphere Sauerstoffsättigung 100 %
Blutparameter: Leukozytose, Glucose-Konzentration erhöht (144 mg/dl), sonst unauffällig
Kraniale Computertomographie ohne auffälligen Befund
Weitere Diagnostik und Verlauf
Die Eltern hatten, wie die Autoren weiter berichten, angegeben, „dass die Patientin gelegentlich, wenn sie traurig war, mit dem Kopf gegen die Wand schlagen würde“. Auch hätten sie aufgrund der anamnestischen Nachfragen zwischenzeitlich alle Medikamenten-Schachteln fotografiert, die im häuslichen Milieu vorhanden gewesen seien. Außer Metformin, Ramipril, Spironolacton, Pantoprazol, Candesartan, L-Thyroxin und Chlortalidon sei auch das Antidepressivum Opipramol gefunden worden.
Ein Urin-Drogentest ergab dann ein positives Ergebnis für Trizyklika sowie negative Ergebnisse für Amphetamine und Metamphetamine, Kokain, Barbiturate, Benzodiazepine, THC/Marihuana, Methadon, Morphin und MDMA.
Die erst spät eingetroffenen Ergebnisse der Analyse der Antidepressiva im Blut zeigten „einen weit oberhalb des therapeutischen Bereichs liegenden Amitriptylin- Nortriptylin- Summenspiegel von 1044 ng/ml“. Der Therapiebereich von Amitriptylin im Serum werde mit 80–200 ng/ml angegeben, berichten die Autoren; die Toxizitätsgrenze sei bereits bei 300 ng/ml überschritten.
Aufgrund drohender Herzrhythmusstörungen und Hypotonie sei die Patientin auf die Intensivstation verlegt worden. Wegen der sehr langsam verlaufenden Genesung seien am 5. Tag des stationären Aufenthalts weitere Untersuchungen vorgenommen worden:
Zerebrale MRT: mehrere Demyelinisierungsherde ohne Kontrastmittel
EEG und Liquoranalyse unauffällig
Aufgrund familiärer Vorbelastung (multiple Sklerose der Mutter) sei bei der Patientin ebenfalls von einer aktuell nicht floriden MS ausgegangen worden. Die oligoklonalen IgG-Banden im Liquor seien positiv gewesen und hätten die Hypothese gestützt.
Diskussion
Medikamente seien neben Haushaltsprodukten die zweithäufigste Ursache für Intoxikationen bei Klein- und Vorschulkindern, bei Jugendlichen seien Medikamente die Hauptursache, erklären die Autoren. Glücklicherweise seien die meisten Überdosierungen und Intoxikationen mit Medikamenten asymptomatisch oder mit milden Symptomen verbunden. Weniger als 1% gingen mit einem schwerwiegenden Verlauf einher oder seien sogar. Im Fall von Trizyklika-Intoxikationen betrage die Rate der Todesfälle trotz intensivmedizinischer Überwachung drei bis vier Prozent.
Amitriptylin ist nach weiteren Angaben der Autoren eines der in Deutschland am häufigsten verwendeten trizyklischen Antidepressiva und das in Deutschland am häufigsten verwendete Antidepressivum bei Suiziden. Es werde durch Demethylierung zu Nortriptylin metabolisiert, sei lipophil und weise ein großes Verteilungsvolumen auf. Die empfohlene Dosis für Erwachsene betrage laut Fachinformationen 25–75 mg/Tag. Bei einer Überdosierung mit Amitriptylin sei das Fortschreiten der klinischen Toxizität schlecht vorhersehbar und verursache mehrere Symptome.
Im Vordergrund stünden kardiovaskuläre Effekte; es könnten aber auch zahlreiche zentralnervöse und anticholinerge Symptome auftreten. Die kardiovaskuläre Toxizität manifestiere sich in Arrhythmien und arterieller Hypotonie. Die aufgrund der anticholinergen Wirkung und Hemmung der präsynaptischen Wiederaufnahme von Noradrenalin entstehende Sinustachykardie, sei die häufigste Form der Herzrhythmusstörung bei Amitriptylin-Intoxikation.
In den ersten ein bis 2 h nach vermuteter Einnahme des Antidepressivums könne Aktivkohle die Toxizität mindern. Intravenös appliziertes Natriumhydrogenkarbonat sei eine der (wenigen) kausalen und empfohlenen Therapien. Bei einer Konzentration von 8,4 % werde es üblicherweise in einer Dosis von 1–2 mmol/kgKG verabreicht.
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