Ein junger Mann mit einer smarten Uhr

  • Dr.med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Mit einer Smartwatch für ein paar hundert Euro können die Träger ein einfaches EKG (1‑Kanal-Elektrokardiogramm) ableiten. Das soll ihrer „Herzgesundheit“ dienen, indem zum Beispiel Vorhofflimmer erkannt wird und rechtzeitig eine Schlaganfall-Prävention  eingeleitet werden kann. Allerdings kann so eine smarte Uhr der Gesundheit der Träger auch schaden, wie nun die Krankengeschichte eines jungen Mannes bestätigt, die Michael Zenzes  (Kantonsspital Winterthur) und seine Kollegen im „Journal of Medical Case Reports“ schildern.

Der Patient  und seine Geschichte

Bei dem jungen Mann handelte es sich um einen 27-jährigen Deutschschweizer, der nach Angaben der Autoren in den Nachtstunden in die Klinik-Notaufnahme kam. Als Grund habe er angegeben, nach einem sportlichen Wettkampf einen bewegungsabhängigen, stechenden Schmerz in der linken Brust verspürt zu haben. Aus Angst vor einem akuten Koronarsyndrom (ACS) habe er mit seiner Apple Watch mehrere EKGs aufgezeigt. Die Smartwatch, laut Hersteller „das ultimative Tool für ein gesundes Leben“ habe er gekauft, um seine „Herzgesundheit" zu überwachen und auf Herzrhythmusstörungen zu prüfen. Anlass seien Medienberichte über einen dänischen Fußballspieler gewesen, der während eines Spiels einen Herzstillstand erlitten habe.  Die EKG-App habe ihm zwar stets einen „normalen Sinusrhythmus“ bescheinigt. Auch habe sie ihn regelmäßig darauf hingewiesen, dass keine Zeichen  eines Herzinfarktes zu erkennen seien. Dennoch habe sich der junge Mann zunehmend Sorgen gemacht und begonnen, im Internet nach EKG-Veränderungen bei ACS zu suchen. Die Folge war den Autoren zufolge, dass er geglaubt habe, sein Smartwatch-EKG enthalte Zeichen eines ACS. Im irrigen Glauben, an einem akuten Koronarsyndrom zu leiden, habe er sich deutlich schlechter gefühlt und sogar Atembeschwerden bekommen.

Der junge Mann war, wie Zenzes und seine Mitautoren weiter berichten, fit und gesund; seine Anamnese einschließlich der Familienanamnese sei unauffällig gewesen; Hinweise auf eine kardiale Erkrankung oder kardiovaskuläre Risikofaktoren habe es nicht gegeben, Die Einnahme von Freizeitdrogen oder leistungssteigernden Mitteln sei verneint worden.

Befunde, Diagnose und Therapie

  • In der Notaufnahme habe sich der 27-Jährige äußerst besorgt gezeigt und über zunehmende Angst- und Paniksymptome, einschließlich Tachykardie, Herzklopfen und Schweißausbrüche geklagt.

  • 12-Kanal-EKG in der Notaufnahme:  Sinusrhythmus mit 88 Schlägen pro Minute, keine Hinweise auf eine Ischämie.

Nach Überzeugung der Autoren waren keine weiteren diagnostischen Tests gerechtfertigt. Außer der Fehlinterpretation des Smartwatch-EKGs in Kombination mit den Schmerzen des Bewegungsapparates nach der körperlichen Anstrengung habe es keine weitere offensichtliche Ursache für die gesteigerten Angstsymptome gegeben. Nach Gabe von Paracetamol und Lorazepam habe der bewegungsabhängige, stechende Schmerz nachgelassen und der Patient sich deutlich besser gefühlt. Nach Aufklärung über die Befunde sei er aus der Notaufnahme entlassen worden. In einem telefonischen Nachgespräch habe er dann von einer unauffälligen kardiologischen Untersuchung sowie der Konsultation eines Osteopathen berichtet. Das Rauchen habe er aufgegeben; er fühle sich gesund und setze seine sportlichen Aktivitäten fort. Seine Smartwatch habe er nicht mehr benutzt.

Diskussion und Schlussfolgerung

Laut Zenzes und seinen Mitautoren sind dringend  randomisierte und kontrollierte Studien zur Bewertung des klinischen Nutzens solcher smarten Uhren mit EKG-Funktion erforderlich. So bestehe das Risiko unnötiger invasiver und potenziell schädlicher Diagnose-Verfahren, um durch die Smartwatch gestellte Diagnosen *auszuschließen“. Darüber hinaus könnten fehlinterpretierte Befunde oder auch falscher Alarm (falsch positive Befunde) bei besonders empfindlichen Personen Angst oder sogar Panik auslösen.

Dass smarte Uhren, mit denen unter anderem Puls und kardialer Rhythmus kontrolliert werden können, unerfreuliche Nebenwirkungen haben können, zeigt auch die Krankengeschichte einer 70-jährigen Frau, die die US-Kardiologin Lindsey Rosman (Universität von North Carolina, Chapel Hill) und ihre Kollegen  im Fachmagazin „Cardiovasc Digit Health Journal“ geschildert haben.

Wie von Univadis bereits berichtet, wurde bei der 70-jährigen Frau ein Jahr nach der Diagnose von paroxysmalem Vorhofflimmern von einem klinischen Psychologen eine neu aufgetretene psychische Störung diagnostiziert, und zwar eine Hypochondrie; diese sei in erster Linie durch extrem häufige EKG-Untersuchungen mit einer handelsüblichen Smartwatch ausgelöst worden, so Lindsey Rosman und ihre Kollegen. Hinweise auf eine frühere psychische Erkrankung seien in den Krankenunterlagen der Frau nicht gefunden worden. Dokumentiert waren Bluthochdruck und ein mäßiges Schlaganfall-Risiko mit einem CHA2DS2-VASc-Score 3.

Die von der Patientin vorgelegten Smartwatch-Daten zeigten, dass sie innerhalb eines Jahres 916 Elektrokardiogramme durchgeführt hatte. Von diesen EKG-Aufzeichnungen zeigten 701 Sinusrhythmus; 55 wiesen auf ein mögliches Vorhofflimmern hin, 30 zeigten eine niedrige oder hohe Herzfrequenz; 130 EKG-Untersuchungen lieferten keine klaren Befunde oder Hinweise. Aus den Smartwatch-Daten ging zudem hervor, dass die EKG-Aufzeichnungen im Lauf des Jahres immer häufiger wurden. Akute Eskalationen im EKG-Kontrollverhalten wurden häufig durch Benachrichtigungen der Smartwatch ausgelöst, die entweder harmlos waren (z. B. vorübergehende trainingsbedingte Frequenz-Zunahme), nicht schlüssig waren oder auf nur mögliches Vorhofflimmern hinwiesen. Vor allem Meldungen über einen unregelmäßigen Rhythmus und Befunde von unklarer Bedeutung („nicht eindeutiges" EKG) riefen ein relativ ähnliches Verhalten hervorrief; dies lasse vermuten, dass die Patientin unklare Smartwatch-Daten möglicherweise als tatsächliche Gesundheitsbedrohung fehlinterpretiert habe.

Diese Patientin sei keine Ausnahme, sagte Lindsey Rosman. Die 70-Jährige sei nur ein Beispiel für ein Phänomen, das in kardiologischen Kliniken zunehmend beobachtet werde. Rosman: „Patienten mit Herzrhythmusstörungen, Herzklopfen oder unregelmäßigem Herzschlag kommen mit Stapeln von Papieren und Daten von ihren Smartwatches in die Klinik“. Diese „intelligenten“ Uhren seien ein großartiges Hilfsmittel in der Kardiologie; sie könnten bei der Aufklärung der Patienten helfen, die Patienten stärker in die Therapie einbinden und zudem eine Fülle von Daten für die Forschung liefern. „Wearables sind fantastisch", sagt Rosman. Einigen Patienten könnten sie jedoch mehr schaden als nützen, indem sie Ängste auslösten und aufrechterhielten."