Ein Jahr Ukrainekrieg: Zerstörung der medizinischen Infrastruktur als Waffe
- Nicola Siegmund-Schultze
- Studien – kurz & knapp
Kernbotschaften
Seit Beginn des Ukrainekriegs sind durch direkte Angriffe auf zivile Infrastrukturen fast 220 medizinische Einrichtungen beschädigt oder komplett zerstört worden. Zehn Prozent der Krankenhäuser sind direkt betroffen, Folgen von Zerstörungen der Energieversorgung außerhalb nicht eingeschlossen. Ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung ist derzeit ohne die notwendige medizinische Betreuung, auch Krebspatienten und Menschen mit lebensbedrohlichen Infektionen wie HIV oder Tuberkulose. Mehr als 100 Angehörige medizinischer Berufe wurden getötet oder schwer verletzt. Internationale und ukrainische Ärzteorganisationen berichten in internationalen Fachzeitschriften wie JAMA und Lancet.
Hintergrund
Am 24. Februar 2022 überfiel Militär der russischen Föderation die Ukraine. Attacken auf zivile Infrastrukturen sind vielfach belegt. Im Journal der American Medical Association (JAMA) berichtet die internationale Ärzteorganisation Physicians for Human Rights gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des Ukrainian Healthcare Center Kiew über die Zerstörungen von medizinischen Versorgungseinrichtungen und Angriffe auf Personen der Gesundheitsberufe (1).
Design
Initiatoren: Physicians for Human Rights (New York), das Ukrainian Healthcare Center in Kiew, die Medieninitiativen for HumanRights(MIHR) und weitere Partnerorganisationen
Dokumentation und Auswertung:
10 Fallstudien,
systematische Datensammlung von fotografischen Aufnahmen in Kombination mit semistrukturierten Interviews von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitssystems,
Berücksichtigung der Berichte internationaler Beobachter
Hauptergebnisse
Vom 24. Februar bis zum 31. Dezember 2022 wurden 707 Angriffe auf medizinische Versorgungseinrichtungen der Ukraine dokumentiert, also mehr als 2 am Tag (2).
Allein im März 2022 waren es 235, die höchste monatliche Zahl seit der Invasion.
292 Angriffe beschädigten oder zerstörten 218 Krankenhäuser.
Damit fielen 10 % der Kliniken im Land aus.
65 ambulante Versorgungseinrichtungen wurden direkt angegriffen
185 weitere dokumentierte Attacken galten anderen medizinischen Strukturen wie Apotheken, Blutspendezentren, Zahnkliniken oder medizinischen Forschungseinrichtungen
Es sind 86 Angriffe auf Ärzte, Pfleger oder Sanitäter belegt. Dabei wurden 62 Menschen getötet und 52 verletzt.
Viele weitere Mitarbeiter der Gesundheitsversorgung wurden bedroht, gefangen genommen oder gezwungen, unter russischer Besatzung zu arbeiten.
Jeder dritte Bürger in der Ukraine ist unzureichend ärztlich versorgt.
Patienten mit persistierenden Erkrankungen wie Tumoren oder HIV-Infektion müssen sich um eine Arzneimittelversorgung außerhalb der betroffenen Regionen bemühen, viele erhalten keine Medikation.
Ein Atlas weist die Verteilung der Attacken auf medizinische Einrichtungen über das Staatsgebiet der Ukraine aus (2).
Bedeutung
Direkte Angriffe auf Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sind nach Meinung des Autorenteams eine Waffe, die die Zivilbevölkerung in einem Krieg terrorisieren und ihre körperliche und geistig-seelische Verfassung unterminieren soll.
Es sei dies ein globales Phänomen in Konfliktregionen, allein im vergangenen Jahr habe es weltweit 1892 solch gezielter Attacken auf medizinische Einrichtungen und Personen gegeben (3).
Für die Vergangenheit allerdings seien die Daten dazu lückenhaft. Auch das Surveillance System der Weltgesundheitsorganisation habe zum Teil versagt, zum Beispiel bei der Dokumentation der Zerstörungen in Äthiopien 2020, wie im vergangenen Jahr in Lancet berichtet (4).
Finanzierung: öffentliche Mittel
Dieser Volltext ist leider reserviert für Angehöriger medizinischer Fachkreise
Sie haben die Maximalzahl an Artikeln für unregistrierte besucher erreicht
Kostenfreier Zugang Nur für Angehörige medizinischer Fachkreise