Ein Fünkchen Hoffnung für Alzheimer-Kranke

  • Dr. med.Thomas Kron
  • Medizinische Nachrichten
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Man mag es kaum glauben: In der Alzheimer-Therapie geht es offenbar voran: 2021 hat die US-Arzneimittelbehörde Aducanumab zugelassen, kürzlich den Antikörper Lecanemab. Und nun hat das Unternehmen Eli Lilly vorläufige Phase-3-Daten zum Alzheimer-Antikörper Donanemab veröffentlicht, die vor allem die Anhänger der Amyloid-Hypothese der Alzheimer-Genese frohlocken lassen. Allerdings trüben unerwünschte Komplikationen auch bei Donanemab die Stimmung. Und auch das seit Jahren gewohnte langsame Kommen und rasche Gehen der vielen experimentellen Wirkstoffe gegen Amyloid lassen die Freude über die neuen Daten nicht grenzenlos werden. Zu viele neue Wirkstoffe sind nunmal in den vergangenen Jahren als Löwe gestartet und als Bettvorleger gelandet. Die bemerkenswerteste Eigenschaft der klinischen Studien zu Alzheimer-Wirkstoffen sei ihr wiederholtes Scheitern darin, irgendeine wirksame Therapie zu finden, zitierte vor einigen Jahren die „Süddeutsche Zeitung“ den Neurologen und Demenz-Forscher Professor Peter J. Whitehouse, Autor des Buches „Mythos Alzheimer“.

Ein Hinweis auf die bisher wenig erfolgreiche Suche nach wirksamen Substanzen ist auch die enorme Zahl völlig unterschiedlicher Wirkstoffe, die in Studien erprobt werden. Laut dem Neurowissenschaftler Professor Jeffrey Cummings (Universität von Nevada, Las Vegas) befanden sich am 25. Januar 2022 (Indexdatum) 143 Wirkstoffe in 172 klinischen Studien zur Behandlung von Alzheimer. Die Pipeline umfasste 31 Wirkstoffe in 47 Studien der Phase 3, 82 Wirkstoffe in 94 Studien der Phase 2 und 30 Wirkstoffe in 31 Studien der Phase 1. krankheitsmodifizierende Therapien machen 83,2 % aller in Studien befindlichen Wirkstoffe aus.

Endlich Ende der Flaute

Doch nach Jahren der Flaute gibt es nun endlich Wirkstoffe, die nicht nur in der Phase 2  'Wirksamkeitssignale' gesendet haben. Es handelt sich bei den Donanemab-Daten, die der US-Pharmahersteller Eli Lilly vor wenigen Tagen in einer Pressmitteilung vorgestellt hat, zwar nur um vorläufige Phase-3-Ergebnisse, aber diese Daten machen, darüber sind sich Demenz-Forscher im Großen und Ganzen einig, keinen schlechten Eindruck.

Signifikante Ergebnisse 

An der Phase-3-Studie nahmen 1182 Personen teil, die der primären Analyse unterzogen wurden. Nach Angaben des Unternehmens verlangsamte der Antikörper das erwartete Fortschreiten der Krankheit um 35 % auf der Grundlage einer von Eli Lilly entwickelten Skala und um 36 % auf der weiter verbreiteten CDR-SB-Skala (Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes). Eli Lilly berichtete außerdem, dass bei 47 Prozent der behandelten Studienteilnehmer keine Verschlechterung des Schweregrads der Erkrankung auf der Grundlage der CDR-SB-Skala eintrat; in der Kontrollgruppe traf dies nur auf 29 Prozent der Patienten zu. Die behandelten Patienten waren im Durchschnitt auch besser in der Lage, wichtige alltägliche Aktivitäten auszuführen.

Auch berücksichtigt: die Belastung mit Tau-Tangles

Die Studienautoren befassten sich auch mit dem Tau-Protein, das ebenfalls eine wichtige Rolle in der Pathogenese der Alzheimer-Erkrankung spielt. Im Gegensatz zu Beta-Amyloid, das außerhalb der Gehirnzellen Plaques bildet, kommt es bei Tau zu Fehlfunktionen innerhalb der Neuronen, die sich in so genannten Tangles verfangen. Ihr Vorhandensein deutet in der Regel auf eine fortgeschrittene Erkrankung hin; das Forscherteam der Studie sagte daher voraus, dass Patienten mit höheren Tau-Werten weniger gut auf die Antikörper-Behandlung ansprechen würden. Dies traf tatsächlich zu.

Die Tangle-Belastung der Studienteilnehmer lag zwischen 1,1 und 1,46 SUVR (standardized uptake value ratio) im Tau-PET und damit in dem Bereich, in dem die Wissenschaftler von Eli Lilly die größte Wirksamkeit der Amyloid-Entfernung vorhersagten. In dieser Gruppe wurde etwa ein Drittel der Teilnehmer nach sechs Monaten amyloid-negativ, und 71 Prozent nach einem Jahr. Ausgewertet wurden auch die Daten von 552 Teilnehmern, deren Tau-PET-Scans bei Studienbeginn einen SUVR-Wert von über 1,46 zeigten. Diese „Hoch-Tau"-Gruppe wurde eingeschlossen, um mehr Daten über die Auswirkungen der Immuntherapie in einem späteren Stadium der Erkrankung zu sammeln. Das Unternehmen gab keine Zahlen für diese Untergruppe mit hohem Tau allein an; diese Daten sollen später vorgelegt werden.

Eli Lilly wird noch in diesem Quartal die Zulassung bei der FDA beantragen. Im Falle einer Zulassung wäre Donanemab die dritte Amyloid-Immuntherapie in den USA, nach Aduhelm und Leqembi. Eli Lilly plant, Zulassungsanträge auch in anderen Ländern zu stellen

Ein großer Fortschritt, aber noch viele Fragen

Die Phase-3-Studie mit Donanemab sei in vielerlei Hinsicht ein großer Erfolg, so Professor David Knopman (Mayo Clinic College of Medicine“). Es müssten allerdings noch viele weitere Informationen über die Studienergebnisse veröffentlicht werden, um zu verstehen, „wer die Teilnehmer waren, wie sich das Ansprechen je nach klinischen Merkmalen unterschied und wie die ARIA-Risiken je nach Genotyp und Ausgangsmerkmalen der Patienten im Einzelnen aussahen“. 

„Die Ergebnisse der Trailblazer-Studie stellen einen großen Fortschritt bei der Behandlung von Alzheimer dar“, so auch der Alzheimer-Forscher Professor Stephen Salloway (Brown University in Providence). Die Studie umfasse wichtige Neuerungen wie die Verwendung von Amyloid- und Tau-PET zur Bestimmung des Krankheitsstadiums und die Einführung von Abbruchregeln auf der Grundlage der Amyloid-Reduktion. Es bleibe, so Salloway, abzuwarten, „wie sich diese Ansätze in der klinischen Praxis bewähren“. Da drei neue Todesfälle im Zusammenhang mit ARIA und Makroblutungen gemeldet worden seien,“ „ist eine gründliche Überprüfung der Sicherheitsdaten, der schweren und tödlichen Fälle sowie der Beziehung zwischen ApoE-Genotyp und ARIA und Sicherheitsergebnissen erforderlich“. Außerdem sei eine sorgfältige Überprüfung der unerwünschten Wirkungen im Zusammenhang mit Patienten unter Antikoagulation notwendig.

„Lillys Phase-3-Topline-Ergebnisse zu Donanemab sind eine weitere gute Nachricht für Patienten mit früher Alzheimer-Krankheit“, sagt auch Professor Dennis Selkoe (Brigham and Women's Hospital's Ann Romney Center for Neurologic Diseases in Boston). Selkoe: „Das Erreichen der primären und aller sekundären Endpunkte mit hoher statistischer Signifikanz lässt keinen Zweifel daran, dass die Antikörper-vermittelte Amyloid-Senkung das biologische und klinische Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit selbst in einem kurzen Zeitraum von 12 bis 18 Monaten deutlich verlangsamen kann.“

Und obgleich Tau-PET-Studien in absehbarer Zeit für die große Mehrheit der Patienten im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit nicht verfügbar seien, sei das Prinzip der Behandlung in frühen klinischen Alzheimer-Stadien durchaus realisierbar, erklärt der US-Neurologe weiter.
„Die Tatsache, dass bei 47 Prozent der Teilnehmer, die Donanemab erhielten, nach einem Jahr keine signifikante klinische Progression (gemäß CDR-SB) zu verzeichnen war (gegenüber 29 Prozent unter Placebo), spricht eindeutig für eine Veränderung der Krankheit sowohl auf biologischer als auch auf klinischer Ebene.“

ARIA weiterhin Anlass zur Sorge

ARIA seien allerdings nach wie vor die zentrale unerwünschte Wirkung von Amyloid-senkenden Antikörpern, und die Rate von 6,1 Prozent symptomatischer ARIA (mit drei Todesfällen) bei Donanemab sei höher als bei Lecanemab in der CLARITY AD-Studie (2,8 Prozent). Zusammen mit den früheren Ergebnissen für Aducanumab und Lecanemab deuten die konsistenten Ergebnisse von Donanemab laut Selkoe darauf hin, „dass wir das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit mildern können, indem wir in erfahrenen Kliniken sorgfältig auf symptomatische ARIA achten und diese behandeln. Und die Ergebnisse in der primären Analysepopulation sprechen für eine noch frühere Behandlung der präsymptomatischen Alzheimer-Krankheit. Die Vorbeugung der Alzheimer-Krankheit scheint jetzt möglich zu sein, aber es wird noch viel harte Arbeit nötig sein, auch für andere Ziele“.

Mehr Informationen notwendig

„Die ARIA geben Anlass zur Sorge“, betont auch Professor Erik Musiek (Washington University School of Medicine). Die Rate der schweren ARIA sei höher als bei Lecanemab, die Todesfälle seien sehr besorgniserregend. Musiek: „Es werden mehr Informationen über diese Ereignisse und deren Zusammenhang mit bekannten Risikofaktoren (wie dem ApoE-Genotyp oder medizinischen Faktoren) benötigt. Für die Zukunft drängen sich laut Musiek einige Fragen auf:

  • Gibt es Möglichkeiten, das Risiko schwerer ARIA mit diesen Arzneimitteln zu begrenzen?

  • Ist Lecanemab tatsächlich sicherer als Donanemab? Wenn ja, könnte es bei Patienten mit höherem Risiko bevorzugt eingesetzt werden?

  • Ist das in dieser Studie verwendete Tau-PET-Stratifizierungsschema in der klinischen Praxis durchführbar?

  • Wie werden wir erkennen, wenn sich Plaques wieder ansammeln, und was können wir dann tun? 

  • Wenn Donanemab aufgrund von Antikörperreaktionen nicht erneut verabreicht werden kann, wird dann ein anderer Wirkstoff verwendet? Ist eine Erhaltungsdosis erforderlich?

Wirksamkeit eindeutig belegt

„Die Ergebnisse der Pressemitteilung zu Donanemab schauen wirklich sehr gut aus“, erklärt gegenüber dem „Science Media Center“ auch Professor Dr. Christian Haass (Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen und Ludwig-Maximilians-Universität München). Donanemab sei nun der zweite Anti-Aβ-Antikörper, der ganz klar den Gedächtnisverlust verlangsame. Sicherlich sei mit Blick auf die Nebenwirkungen und eine bessere Wirksamkeit der Therapie noch vieles zu verbessern, aber die Reduzierung von Amyloid sei damit sicherlich der richtige Ansatz, um die Krankheit zumindest zu verlangsamen.

Positiv sieht die Daten auch Professor Dr. Hans-Ulrich Demuth (Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie, Leipzig): „34 Prozent der Studienteilnehmer zeigten eine signifikante Reduktion der Plaque-Level nach sechs Monaten, und 71 Prozent der Teilnehmer erreichten eine signifikante Clearance nach zwölf Monaten Behandlungszeit. 47 Prozent der Studienteilnehmer zeigten keine Abnahme der ,CDR-SB‘, ein Schlüsselmaß für die Schwere der Krankheit nach einem Jahr Behandlung (verglichen mit 29 Prozent der Teilnehmer, die das Placebo erhielten)…„Die Teilnehmer, die mit dem Verum behandelt wurden, zeigten eine 40 Prozent geringere Abnahme bei der Fähigkeit, nach 18 Monaten Behandlungszeit Alltagsaufgaben zu erfüllen. Die Teilnehmer, die mit Donanemab behandelt wurden, hatten ein 39 Prozent geringeres Risiko, zum nächsten Stadium der Krankheit fortzuschreiten, verglichen mit den Placebo-Empfängern.“ In seinen Augen sei das der erste überragende Behandlungserfolg bei der Alzheimer-Erkrankung mit einem Antikörper; das Ergebnis sei deutlich besser als das Ergebnis mit dem Antikörper Lecanemab.

Ein offenbar kausaler Ansatz

Es sei eine für die Betroffenen und auch für das Forschungsfeld sehr wichtige Nachricht, dass laut der Pressemitteilung Donanemab als weiterer Anti-Amyloid-Antikörper nach Lecanemab Wirksamkeit in einer Phase-3-Studie gezeigt habe, so auch Professor Dr. Frank Jessen, Direktor Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Uniklinik Köln, sowie Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Alzheimerforschung, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Damit werde dieses Therapieprinzip überzeugend gestärkt, und man könne von einem kausalen Behandlungsansatz gegen die Alzheimer-Krankheit ausgehen.

Anti-Amyloid-Antikörper: Effekte nachweisbar, aber gering

„Die neuen Ergebnisse der TRAILBLAZER-ALZ 2-Studie sind ermutigend, da sie nahelegen, dass die Reduktion der Amyloid-Beladung des Gehirns durch den Antikörper Donanemab zu einer in großen Gruppenanalysen messbaren Verlangsamung der kognitiven Verschlechterung bei der Alzheimer-Krankheit beitragen kann“, erklärt ebenso Professor Dr. Stefan Teipel (Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Rostock/Greifswald und Universitätsklinikum Rostock). Die Stärke des berichteten Effekts sei gut vereinbar mit den Ergebnissen der Studien mit Aducanumab und Lecanemab, aber auch mit den negativen Ergebnissen von Gantenerumab. In der Zusammenschau sprechen laut Teipel alle bisherigen Ergebnisse zwar für einen nachweisbaren, aber nur geringen Effekt der Amyloid-Antikörper auf die kognitive Leistung über 18 Monate. Für den einzelnen Patienten werde die positive Wirkung nach 18 Monaten kaum spürbar sein; die Hoffnung sei, dass die Effekte über längere Zeiträume anhalte; die sei aber bislang noch nicht gezeigt worden.

Auf Basis der ermutigenden Ergebnisse zu den Anti-Amyloid-Antikörpern, nun bestätigt für Donanemab, eröffne sich auch eine Perspektive für zukünftige Kombinationstherapien. TRAILBLAZER-ALZ 2 biete hier einen interessanten Ansatzpunkt, „da erstmalig in dieser Phase-3-Studie der Antikörper nur gegeben wurde, bis Amyloid im Gehirn, gemessen mit Amyloid-PET, auf Normalwerte reduziert war und die Behandlung dann pausiert wurde. Zukünftig könnten in einer solchen Behandlungspause andere Therapieansätze, die zum Beispiel die Amyloidproduktion hemmen, zum Einsatz kommen“.

Zu beachten ist laut Teipel aber auch, dass angesichts der klinisch bisher geringen Effektstärken, die Nebenwirkungen von Donanemab ebenso wie die von Lecanemab insbesondere bezüglich Hirnschwellungen und Hirnblutungen sehr hoch zu gewichten sind, wenn im Falle einer Zulassung zukünftig im Einzelfall für oder gegen eine Behandlung zu entscheiden wäre.“

„Kein Gamechanger für die Betroffenen"

„Auch Donanemab ist leider kein Gamechanger für die Betroffenen, aber möglicherweise ein nächster Schritt in die richtige Richtung“, sagt dazu Dr. Linda Thienpont, wissenschaftliche Leiterin, Alzheimer Forschung Initiative e.V., Düsseldorf. Donanemab könne die Alzheimer-Krankheit weder heilen noch stoppen, aber auch wie Lecanemab zumindest den kognitiven Abbau verlangsamen. Im Vergleich zu Lecanemab (27 Prozent) habe Donanemab (36 Prozent) den kognitiven Abbau etwas stärker verlangsamen können, aber dieser Effekt sei „teuer erkauft worden: Die Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und Hirnblutungen (ARIA) waren stärker als bei Lecanemab, und es sind sogar zwei Menschen daran gestorben, möglicherweise sogar ein dritter.“