Ein älterer Mann mit geschwollenem Oberlid und Multiplem Myelom
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Bei Patienten mit Multiplem Myelom sollte trotz seiner Seltenheit an die Möglichkeit eines sekundären okulären extramedullären Plasmozytoms gedacht werden, raten irische Ärzte um Dr. Robert McGrath (Ophthalmology Department, University Hospital Galway). Anlass ist die Krankengeschichte eines älteren Mannes.
Der Patient und seine Geschichte
Der Mann in den 70-er Jahren kam wegen einer seit vier Tagen bestehenden Schwellung des rechten Oberlids, einer Ptosis und mäßigen Schmerzen am rechten Augapfel in die augenärztliche Notaufnahme. Auf dem rechten Auge bestand als Folge von Schielen eine Amblyopie, was bekannt war.
18 Monate zuvor war bei ihm ein Kappa-Leichtketten-Myelom diagnostiziert worden. Eine Knochenmarksbiopsie hatte ergeben, dass etwa 95 Prozent aller Zellen im Knochenmark aus Plasmazellen bestanden. Die Tumortherapie bestand aus einer Chemotherapie mit Cyclophosphamid, Bortezomib und Prednisolon, danach folgte ein immunmodulierendes Regime aus Lenalidomid und Dexamethason und Immunglobulin. Nach acht Monaten führte eine fortschreitende Zytopenie zum Absetzen von Lenalidomid und zur Rückkehr zur Behandlung mit Bortezomib.
Die Befunde
- Die Snellen-Sehschärfe betrug 1,0/60,0 und 6,0/7,5 am rechten bzw. linken Auge.
- Die Pupillenuntersuchung war normal. Rechts wurde eine Exotropie festgestellt.
- Es wurden keine Abnormalitäten der Augenmotilität festgestellt.
- Auch die Untersuchung des Augenhintergrunds ergab einen unauffälligen Befund.
- Unter dem rechten Oberlid befand sich jedoch eine große, glatte, rosafarbene Masse (20 mm x 15 mm x 10 mm) die von der Bindehaut ausging.
Diagnose und Verlauf
Die histologische Untersuchung der operativ entfernten Bindehautmasse ergab ein knotiges Neoplasma aus Plasmazellen mit Zellatypien, vermehrten Mitosen und zahlreichen Apoptosekörpern, von denen ein Teil nekrotisch war. Immunhistochemische Untersuchungen ergaben die definitive Diagnose eines multiplen Kappa-Leichtketten-Myeloms.
Zur Myelom-Therapie erhielt der Patient Pomalidomid und Dexamethason. Das Augenlidödem und die Ptosis des Patienten bildeten sich nach der Operation zwar zurück. Der Patient starb jedoch etwa zwei Monate später.
Diskussion und weitere Informationen
Ophthalmologische Manifestationen des Multiplen Myeloms sind zwar selten, können aber sehr unterschiedlich sein. Ein konjunktivales Plasmozytom in Verbindung mit einem systemischen Multiplen Myelom gilt als extrem selten; in der wissenschaftlichen Literatur wurden nach Angaben der Autoren bisher nur sechs Fälle beschrieben. Die Diagnose eines konjunktivalen Plasmozytoms könne besonders schwierig sein. Für eine endgültige Diagnose sei eine Biopsie mit histologischer Untersuchung erforderlich.
In einigen Publikationen werde darauf hingewiesen, dass die Beteiligung des Auges und/oder der Bindehaut beim Multiplen Myelom auf eine wesentlich aggressivere und/oder schwieriger zu behandelnde Phase der Krankheit hindeute, berichten die irischen Ärzte. Die aktuelle Fallgeschichte spricht auch für diese Hypothese: Denn in der Tat starb der hier beschriebene Patient zwei Monate nach der Operation eines konjunktivalen Plasmozytoms. In einem anderen Fall konnte zwar die ursprüngliche Erkrankung durch eine systemische Chemotherapie unter Kontrolle gebracht werden, doch schritten die multiplen Plasmozytome der Bindehaut weiter voran; die behandelnden Ärzte verabreichten der Patientin daraufhin intravitreal Bevacizumab.
Das Multiple Myelom (MM) ist laut der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO) eine seltene, heterogene Krebserkrankung. Das klinische Spektrum reiche von asymptomatischen, zufällig diagnostizierten Erkrankungen bis zu akuten Verläufen mit hämatopoetischer Insuffizienz, renaler Funktionseinschränkung und/oder ausgeprägter Osteodestruktion.
Jährlich werden der Leitlinie zufolge in Deutschland ungefähr 3600 Neuerkrankungsfälle bei Männern und ca. 2900 bei Frauen diagnostiziert. Die absolute 5-Jahres-Überlebensrate werde mit 41% (Männer) bzw. 40% (Frauen) angegeben, die relative 5-Jahres-Überlebensrate liege bei 48% (Männer) bzw. 45% (Frauen). Die relative 10-Jahres-Überlebensrate liege bei 31% (Männer) bzw. 30% (Frauen).
Das mediane Erkrankungsalter betrage zum Zeitpunkt der Diagnose bei Männern 72 Jahre, bei Frauen 74 Jahre. Das mediane Sterbealter liege bei 76 Jahren (Männer) bzw. 78 Jahren (Frauen). Die meisten Erkrankungsfälle träten bei beiden Geschlechtern in der Altersgruppe 70 bis 79 Jahre auf. Die Symptome des Multiplen Myeloms seien vielgestaltig und oftmals unspezifisch. Nicht selten hätten die Patienten bereits mehrere Monate Beschwerden, bis die Diagnose eines Multiplen Myeloms gestellt werde. Heute seien bis zu 25% der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose beschwerdefrei.
Häufige Symptome bei Diagnose der Erkrankung sind laut der Leitlinie:
- Knochenschmerzen (ca. 60%), zumeist im Bereich des Stammskeletts, verursacht durch lokalisierte oder generalisierte Knochendestruktion, einschließlich pathologischer Frakturen
- Fatigue (ca. 40%), oftmals durch Anämie mitbedingt
- Hyperkalzämie; früher in 10-20% der Fälle beobachtet; heute aufgrund der verbesserten Diagnostik nur selten ein führendes, diagnostisch relevantes Symptom
- Infektneigung (ca.10-20%)
- Gewichtsverlust (ca. 25%)
- schäumender Urin und Nierenfunktionsverschlechterung als Zeichen einer Bence-Jones- Proteinurie oder Albuminurie
Weiterhin könnten Seh- und Gedächtnisstörungen, Schwindel, Angina pectoris, Angina abdominalis oder Blutungsneigung bei einem Hyperviskositätssyndrom auftreten, das beim Multiplen Myelom im Unterschied zur Makroglobulinämie Waldenström heute selten vorkommt. Außerdem könne eine Myelom-assoziierte AL-Amyloidose zusätzlich zu vielgestaltigen Funktionseinschränkungen führen. Amyloid-Ablagerungen könnten nahezu alle Organe betreffen, am häufigsten seien dies die Niere (Albuminurie, Insuffizienz), gefolgt vom Herzen (diastolische Relaxationsstörung, Herzseptum- und Herzwandverdickung, Proarrhythmie), dem Gastrointestinaltrakt (Diarrhoe, Gewichtsverlust), der Leber (Organomegalie, Insuffizienz) und dem autonomen und peripheren Nervensystem (orthostatische Dysregulation, periphere Neuropathie).
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