Ein alter Mann mit Dysarthrie und einer kleinen Wunde

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Bei klinischen Symptomen eines krankhaften Prozesses im Hirnstamm oder im Hirnstamm-Bereich, etwa Schluckstörungen oder eine Dysarthrie, wird oft, insbesondere bei alten Patienten, an einen Tumor oder einen Infarkt gedacht. Das sind allerdings nicht die einzigen Ursachen, die infrage kommen, wie die Krankengeschichte eines alten Mannes zeigt, die Mariana Bilreiro und Luís Marote Correia vom „Hospital Central do Funchal“ (Portugal) schildern.

Der Patient und seine Geschichte

Ein 80-jähriger Mann stellte sich in der Notaufnahme vor, weil er nicht mehr bzw. kaum noch sprechen konnte. Anamnestisch waren Hypertonie, Hypercholesterinämie und eine benigne Prostatahyperplasie bekannt.

Die Befunde

  • Bewusstseinsklar Mann mit schwerer Dysarthrie
  • Pupillen einschließlich Reaktion auf Licht unauffällig
  • Keine muskulären Ausfälle, Muskelstarre, Klonus oder Spasmen nicht erkennbar
  • Gangbild unauffällig
  • Atemfrequenz: 12 Atemzüge pro Minute 
  • Blutdruck: 159/89 mmHg
  • Puls: 70 Schläge pro Minute
  • Computertomographie-Diagnose: pontine und mesenzephale Ischämie

Erste Diagnose und Verlauf

  • Diagnose frischer ischämischer Schlaganfall
  • Verordnung von ASS (250 mg oral) und Atorvastatin (20 mg)
  • Wegen einer am dritten Tag aufgetretenen Dysphagie erhielt der Mann eine nasogastrische Sonde. 
  • Am vierten Tag Auftreten tonischer Krampfanfälle und Atembeschwerden
  • Notfallmäßig intravenöse Gabe von Diazepam, die nicht erfolgreich war; daraufhin Phenytoin-Infusion, Sedierung mit Midazolam, Intubation und Beatmung
  • CT-Befunde wie zuvor, kein Anzeichen für ein Fortschreiten des Infarkts, ein Hirnödem oder eine Blutung
  • Die Blut-Untersuchung: Leukozytose, zudem Rhabdomyolyse; weitere Laborbefunde normal Liquor-Diagnostik unauffällig
  • Am fünften Tag Extubation, 12 Stunden danach Atemversagen; Trismus und Platysma, Bauch- und Gliederspasmen
  • Eintrittswunde an der Basis des vierten Interdigitalraums, der einen Pflanzenstachel enthielt
  • Neurologische Untersuchung: Diagnose eines generalisierten Tetanus. 

Therapie und Verlauf

  • Intramuskuläre Applikation von Anti-Tetanus-Immunglobulin, erneut Sedierung und Beatmung, zur neuromuskulären Blockade Rocuronium, zudem Gabe eines Toxoid-Impfstoffs und 14-tägige Behandlung mit Metronidazol (500 mg dreimal täglich), Magnesiumsulfat
  • Nach 7 Tagen perkutane Tracheostomie 
  • Antibiotika-Therapie wegen Pseudomonas-Pneumonie  
  • Am 58. Tag des Krankenhausaufenthalts Verlegung auf eine Normalstation, Verschluss des Tracheostomas, Entfernung der nasogastralen Sonde 
  • Baclofen dreimal täglich 10 mg Baclofen plus körperliche Rehabilitation 

Nach 70 Tagen Krankenhausaufenthalt hatte der Patient den Autoren zufolge seinen früheren Funktionsstatus wiedererlangt.

Empfehlungen

Tetanus wird durch das obligat anaerobe, grampositive, sporenbildende Stäbchenbakterium Clostridium (C.) tetani verursacht. Die im Erdreich ubiquitär vorkommenden Sporen sind laut Robert-Koch-Institut widerstandsfähig gegen Hitze und Desinfektionsmittel. Die vegetative Form von C. tetani könne die beiden Exotoxine Tetanolysin und Tetanospasmin bilden, wobei das letztere die typischen klinischen Symptome hervorrufe. 

Tetanus ist weltweit verbreitet mit großen regionalen Unterschieden. Vor allem in feuchtwarmen Ländern mit niedrigen Impfquoten und schlechter medizinischer Versorgung erkranken laut RKI und sterben auch heute noch viele Menschen an dieser Krankheit. In den Industriestaaten Europas und Nordamerikas ist die Tetanusinzidenz dank umfassender Impfungen sowie der verbesserten Lebensbedingungen niedrig. 

Die Vorbedingung für eine Infektion ist eine Verletzung. Dabei werden durch Verunreinigungen Sporen oft zusammen mit Fremdkörpern (z.B. Holzsplitter, Nägel, Dornen) unter die Haut gebracht. Die Wunden müssten nicht offen sein, auch kaum sichtbare Bagatellverletzungen könnten gefährlich sein, erläutert das RKI. Die Inkubationszeit betrage der Regel 3 Tage bis 3 Wochen, könne aber auch in einem Bereich zwischen einem Tag und mehreren Monaten liegen.

.Die generalisierte Tetanus-Form (am häufigsten) beginnt meist afebril oder subfebril mit tonischen Spasmen der Skelettmuskulatur. Die Patienten haben einen charakteristischen Gesichtsausdruck, der einem fixiertem Lächeln (Risus sardonicus) ähnlich ist. Der Mund kann bei bilateraler Beteiligung der Kiefermuskulatur nicht vollständig geöffnet werden – Kieferklemme, Trismus, bei Einbeziehung der Pharynxmuskulatur kommt es zur Dysphagie, auch ein Laryngospasmus kann entstehen. Die Körperhaltung ist opisthoton. Es kann zu plötzlichen schmerzhaften Kontraktionen ganzer Muskelgruppen (klonische Krämpfe) kommen. Die Extremitäten bleiben meist unbeteiligt. Durch gleichzeitige Spasmen der Flexoren und Extensoren können im Bereich der Wirbelsäule Frakturen entstehen. Das Bewusstsein bleibt erhalten. Respiratorische Komplikationen führen zur Ateminsuffizienz. Eine Beteiligung des sympathischen Nervensystems zeigt sich in Form von Blutdruckschwankungen, peripheren Durchblutungsstörungen und Schweißausbrüchen. Die Letalität liegt bei moderner Intensivtherapie zwischen 10% und 20% und ist sonst erheblich höher. Todesursachen sind vor allem respiratorische Insuffizienz und kardiovaskuläre Komplikationen.

Die Diagnose eines Tetanus wird aufgrund des typischen klinischen Befundes gestellt. Eine Erkrankung ist unwahrscheinlich, wenn eine vollständige Grundimmunisierung vorliegt und fristgemäße Auffrischimpfungen durchgeführt wurden.

Zur Neutralisation von noch nicht gebundenem Toxin wird dem Patienten humanes Tetanus-Immunglobulin (HTIG, bis 10.000 IE i.m.) appliziert. Außerdem muss schnellstmöglich eine chirurgische Wundversorgung erfolgen. Eine Antibiotika-Therapie verringert nicht das zirkulierende Toxin, sie wird jedoch angewandt, um erreichbare Tetanusbazillen als Toxin-Quelle abzutöten.