Ein alter Mann, eine Rasierklinge und ein ungewöhnlicher Suizid
- Dr.med.Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Ein 90-jähriger Mann stirbt durch protrahiertes Verbluten. Der Arzt, der die Leichenschau vornimmt, geht von einer gastrointestinalen Blutung als Todesursache aus. Kriminalbeamte sind anderer Ansicht. Sie haben recht, wie Leipziger Rechtsmediziner um Professor Jan Dreßler berichten.
Der Patient und seine Geschichte
Der seit wenigen Tagen allein lebende 90-jährige Mann ist den Rechtsmedizinern zufolge am Vortag von Angehörigen in „gutem Zustand“ gesehen, am nächsten Tag jedoch von der Tochter leblos in einer „Blutlache“ vorgefunden worden. Vom Arzt, der die Leichenschau vorgenommen habe, sei ein hämorrhagischer Schock bei Verdacht auf rektalen Blutabgang nach langjähriger Schmerzmittel-Einnahme als ungeklärte Todesart angegeben worden. Die Kriminalpolizei habe den rechtsmedizinischen Bereitschaftsdienst hinzugezogen, da in der Umgebung des Leichnams ausgedehnte „blutsuspekte Antragungen und eine mit Küchenpapier umwickelte, blutbehaftete Rasierklinge“ gefunden worden seien; eine Blutungsquelle am Leichnam sei jedoch nicht sicher abgrenzbar gewesen. Zudem habe sich vor einer Sitzgelegenheit eine Schüssel mit teils geronnenem, teils flüssigem Blut befunden. Bei einer erneuten Untersuchung des Mannes sei nur eine kleine Verletzung auf der linken Kniescheibe festgestellt worden.
Die Befunde
- Blutungsquelle: etwa 2 cm lange, oberflächliche Hautverletzung mit glattrandiger Durchtrennung der Hautschichten
- Zentral maximal etwa 0,2 cm durchmessende glatte Eröffnung eines geschlängelt verlaufenden, oberflächlichen Hautgefäßes
- Kniegelenk nicht eröffnet, umgebendes Weichgewebe nur minimal eingeblutet
- Keine alternative Blutungsquelle, insbesondere keine gastrointestinale Blutung
- Keine Hinweise auf eine Medikamenteneinnahme oder -injektion
- Keine Hinweise auf Fremdeinwirken
- Keine Belege für die Einnahme von Gerinnungshemmern
- Keine Hinweise auf die Einnahme von Ibuprofen, das eine Thrombozytopathie auslösen könne. Andere NSAR seien mit den verfügbaren Methoden nicht erfassbar gewesen.
- Kein Anhalt für eine angeborene oder erworbene Hämophilie A.
Diskussion
Wie die Rechtsmediziner zusammenfassend berichten, starb der Mann durch Verbluten nach außen. Die einzige mögliche Blutungsquelle sei eine kleine Verletzung einer oberflächlichen Hautvene am linken Knie gewesen. Dabei habe es sich um einen venösen Zufluss zur V. saphena magna gehandelt. Die Verletzung sei „plausibel durch Selbstbeibringung mittels einer Rasierklinge mit mehrfachen, sich überlagernden Schnitt- bzw. Ritzverletzungen“ zu erklären. Das linke Knie habe der Rechtshänder problemlos erreichen können. Wahrscheinlich sei es infolge der Selbstverletzung „zu einem über längere Zeit (bis zu mehreren Stunden) andauernden Blutaustritt“ aus der verletzten Vene gekommen, vermuten die Autoren. Die zahlreichen Blutspuren in der Wohnung des Mannes könnten dadurch erklärt werden, dass der Mann in einem verwirrten Zustand infolge eines zunehmenden Blut- und Sauerstoffmangels des Gehirns, durch die Wohnung gelaufen sei.
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