Ein 62-jähriger Mann mit Ataxie, Amnesie und Tremor nach Corona-Infektion

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Bei Patienten, die nach SARS-CoV-2-Infektion persistierende neurologische Symptome haben, können - insbesondere bei unauffälliger morphologischer radiologischer Diagnostik - funktionelle Verfahren wie die FDG-PET des Gehirns und des Körperstamms, sinnvoll sein. Die Patienten benötigen eine umfassende  Rehabilitation. So lauten Empfehlungen von Dr. Enrico Michler vom Universitätsklinikum Dresden und seinen Kollegen der Median Klinik für Kardiologie Bad Gottleuba (Rehabilitation) zum Vorgehen mit Long-COVID-Patienten. Sie verdeutlichen dies mit Hilfe der Krankengeschichte eines 62-jährigen Mannes. 

Der Patient und seine Geschichte

Der Patient stellte sich initial in der Notaufnahme eines peripheren Krankenhauses wegen schleichender Verschlechterung des Allgemeinzustandes vor, begleitet von febrilen Temperaturen, Desorientierung sowie mit subjektiver Dyspnoe. Röntgen-Thorax-Aufnahmen zeigten beidseitige pulmonale Infiltrate. Der PCR-Test auf SARS-CoV-2 bestätigte den Verdacht einer COVID-19-Pneumonie. Unter symptomatischer Therapie, darunter Methylprednisolon, besserte sich das Allgemeinbefinden, die Desorientierung nahm ab. Eine Woche nach stationärer Aufnahme traten jedoch ausgeprägte neurologische Symptome auf, und zwar ein grobschlägiger Tremor, eine Störung der Feinmotorik beider Hände, Wortfindungsstörungen und eine Ataxie. 

Der Verdacht auf ine Dissektion der Arteria carotis interna rechts konnte durch MRT und  Duplexsonografie nicht bestätigt werden.

Die Behandlung bestand aus ASS, niedermolekularem Heparin und Krankengymnastik. Über vier Wochen nach SARS-CoV-2-Infektion erfolgte die Aufnahme in die Median Klinik

Die  Befunde 

  • 62-jähriger Patient in reduziertem Allgemeinzustand (Größe 186 cm, Körpergewicht 90 kg, BMI 26, RR 125/80 mmHg, SpO2 97 %), gedrückte Stimmungslage
  • Ausgeprägte Gangataxie bei Gehstrecken von wenigen Metern, grobschlägiger, beidseitiger Tremor mit pathologischen Schriftproben und Symptom-Zunahme bei Aufregung
  • Amnestische Aphasie, verminderte Konzentrationsfähigkeit und rechtsbetonte Hyperreflexie der oberen Extremitäten mit erhöhtem Tonus der Nacken- und Rückenstreckmuskulatur
  • Labor-Diagnostik ohne weiterführende Befunde
  • 18F-Fluordeoxyglukose- Positronen-Emissions-Tomografie/Computertomografie (FDG- PET/CT): kein Anhalt für eine maligne Grunderkrankung im Sinne eines paraneoplastischen Syndroms oder für ein florides entzündliches Geschehen

Therapie und Verlauf 

  • Rehabilitation mit 5-wöchigem multimodalem Therapieprogramm (Übungen zur Verbesserung der Kondition und Kraft, Logopädie, Ergotherapie sowie psychologische Betreuung)
  • Wegen des Verdachts auf einen essenziellen Tremor Therapie mit Carvedilol und Lorazepam
  • Außerdem Off-Label-Therapie mit Glukokortikoiden (Prednisolon 60 mg täglich per os über 7 Tage) und Colchicin (0,5 mg per os 2 × täglich über 3 Wochen) 
  • Im Verlauf deutliche Zunahme von Kondition, Kraft und allgemeiner Leistungsfähigkeit, weitgehende Remission der Aphasie, Abnahme des Tremors, vollständiger Rückgang der Ataxie und Stabilisierung des psychischen Zustandes

Diskussion

Bei unklaren neurologischen Symptomen von Long-COVID-Patienten kann den Autoren zufolge die weiterführende Diagnostik mittels FDG-PET des Ganzkörpers und des Hirns wichtige Erkenntnisse liefern. Außer der hohen Sensitivität für systemische Entzündungsfoci, Endokarditiden und Vaskulitiden habe die FDG-PET auch bei COVID-19-assoziierten zerebralen Erkrankungen diagnostische Vorteile gegenüber CT und MRT. So lassen laut Michler und seinen Kollegen regionale Stoffwechselveränderungen des Cortex und des Kleinhirns bei Patienten mit subakutem cerebellären Syndrom und Myoklonus auf eine COVID-19-induzierte Enzephalitis trotz negativem MRT- und Liquorbefund schließen. Auch erste Longitudinalstudien mit Patienten, die an COVID-19-assoziierter Enzephalopathie und neurologischen Symptomen litten, wiesen nach Angaben der Autoren über einen Verlauf von sechs Monaten eine charakteristische Stoffwechselminderung in präfrontalen, insulären und subcorticalen Hirnregionen auf. Die FDG-PET könnte somit zur Befundobjektivierung für Patienten ohne relevante Beschwerdelinderung im Langzeitverlauf dienen, so der Nuklearmediziner Michler.

Long- und Post-COVID-Patienten profitierten deutlich von einem systematischen und regelmäßigen multimodalen Rehabilitations-Programm, betonen die Autoren abschließend. Hilfreich seien insbesondere Physio- und Ergotherapie, Logopädie und Psychoedukation.

Für die Behandlung von Patienten mit Long- bzw. Post-COVID-Syndrom gebe es keine Daten zum Nutzen von Colchicin, insbesondere nicht im Zusammenhang mit rehabilitativen Maßnahmen, betonen die Autoren. Es bleibe daher unklar, ob das Medikament die Behandlungsergebnisse bei ihrem Patienten beeinflusst habe. Aufgrund der umfangreichen und raschen Symptomreduktion postulieren die Autoren eine Beschleunigung der Rehabilitation durch die Therapie mit Prednisolon und Colchicin.