Ein 40-jähriger Mann mit Zahnfleisch- und Hautblutungen
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
In der Regel sollte eine Therapie erst dann begonnen werden, wenn es eine klare Diagnose gibt. Auch von dieser Regel gibt es jedoch Ausnahmen: So muss bereits bei Verdacht auf eine akute Promyelozytenleukämie (APL) eine sofortige Therapie mit der Vitamin-A-Säure Tretinoin (engl. all- trans retinoic acid, ATRA) begonnen werden; außerdem sei sofort die Gerinnung zu optimieren, um tödliche Blutungen zu verhindern, betonen Dr. med. Tobias Matthieu Benoit und Dr. Stefan Gundermann von der Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie des Universitätsspitals Zürich. Anlass ist die Krankenschichte eines 40-jährigen Mannes („Deutsche Medizinische Wochenschrift“).
Der Patient und seine Geschichte
Der bislang gesunde Mann kam, wie die Hämatologen berichten, wegen seit wenigen Tagen bestehendem Zahnfleischbluten und Hämatomen, insbesondere im Bereich der unteren Extremitäten, auf die Notfallstation der Universitätsklinik in Zürich. Eine zahnärztliche Untersuchung habe bis auf leichtes Zahnfleischbluten keinen auffälligen Befund ergeben. Aufgrund häufiger lumbaler Schmerzen habe der Mann Diclofenac und Tolperison (bei Bedarf) verschrieben bekommen. Die Frage nach weiteren Medikamenten und Symptomen sei verneint worden.
Die Befunde
Wacher, afebriler, hämodynamisch stabiler Patient (Temperatur 37,4 °C, Blutdruck 130/81 mmHg, Herzfrequenz 90/min, periphere Sauerstoffsättigung 98 % unter Raumluft) in gutem Allgemeinzustand
Multiple Hautblutungen, vor allem im Bereich der unteren Extremität, sowie enorale Schleimhauteinblutungen
Klinisch keine Lymphadenopathie oder Hepatosplenomegalie
Leukämisches Blutbild mit Ausschwemmung von 74 % morphologisch atypischen Promyelozyten, mit mittelgroßem, sattelförmig-bilobiertem Kern, feinem Kernchromatin und 1–2 prominenten Nukleolen („devils with an- gel wings“), Zytoplasmasaum mit vielen feinen, azurophilen Granula
Schwere Thrombozytopenie, Leukozytose (14,9 G/l, Norm: 4,0–10,5 G/l) sowie normochrom-normozytäre Anämie bei einer Hämoglobinkonzentration von 100 g/l
Erhöhte LDH von 462 U/l (Norm: < 250 U/l), INR leicht erhöht (1,3)
Fibrinogen mit 1,1 g/l vermindert
Funktioneller Faktor XIII mit 32% ebenfalls vermindert (Norm: 70–140%)
Erhöhte D-Dimere (9,62 mg/l (Norm: < 0,5 mg/l)
Keine Hinweise auf eine relevante Hämolyse oder Nierenfunktionseinschränkung
Im Urinstreifentest Mikrohämaturie ohne Leukozyturie oder Bakteriurie
Diagnosen der Zürcher Hämatologen und Onkologen:
Akute Leukämie, morphologisch einer mikrogranulären Variante der APL entsprechend
Disseminierte intravasale Verbrauchskoagulopathie
Therapie und Verlauf
Noch vor Bestätigung der Diagnose sei eine Therapie mit ATRA begonnen worden. Zudem seien Gerinnungsfaktoren substituiert worden. Die am Folgetag durchgeführte Knochenmarkdiagnostik habe dann die Verdachtsdiagnose einer APL bestätigt, ebenso die molekulargenetische Diagnostik. Trotz der rasch begonnen Therapie seien am zweiten Hospitalisationstag Kopfschmerzen ohne fokal-neurologische Ausfälle aufgetreten. Die bildgebende Diagnostik ergab, wie die Autoren weiter berichten, eine intraparenchymale Kleinhirn-Blutung ohne neurochirurgischen Interventionsbedarf. Im weiteren Verlauf seien keine relevanten Blutungen mehr aufgetreten. Zum Ende der Induktionstherapie habe sich eine hämatologische und zytomorphologische Remission gezeigt, so dass eine ambulante Weiterbehandlung möglich gewesen sei. Knapp ein Jahr nach Therapieabschluss bestehe weiterhin eine komplette molekulare Remission der APL, berichten die Autoren.
Diskussion und Empfehlungen
Die APL macht nach Angaben von Tobias Matthieu Benoit und Stefan Gundermann etwa 10–15 % aller neu diagnostizierten akuten myeloischen Leukämien aus; sie ist ein hämatologischer Notfall, bei dem bereits bei Verdacht sofort spezifische Therapiemaßnahmen eingeleitet werden müssen (Gerinnungsoptimierung,APL-spezifische antileukämische Therapie, Vitamin-A-Säure; ATRA). Werde die initiale Erkrankungsphase, die meist durch Blutungen geprägt sei, gut überstanden, hätten Patienten mit APL eine hervorragende Prognose.
Dieser Volltext ist leider reserviert für Angehöriger medizinischer Fachkreise
Sie haben die Maximalzahl an Artikeln für unregistrierte besucher erreicht
Kostenfreier Zugang Nur für Angehörige medizinischer Fachkreise