Ein 12 Monate alter Bub mit mehreren blauen Flecken
- Dr. med. Thomas Kron
- Patienten-Fall
Kernbotschaften
Werden bei einem Kind zufällig mehrere Hämatome entdeckt, für die es keine nachvollziehbare Erklärung zu geben scheint, drängt sich schnell der Verdacht auf Misshandlung auf. Ein so schwerwiegender und folgenreicher Verdacht sollte auf keinen Fall vorschnell geäußert werden, wie die Krankengeschichte eines 12 Monate alten Kindes nahelegt, die der in München niedergelassene Kinderarzt Dr. Ludwig Schmid erzählt.
Der Patient und seine Geschichte
Mutter und Sohn kommen während einer „Infektionswelle“ in die Praxis-Sprechstunde, weil der Bub seit drei Tagen hustet, eine leicht erhöhte Temperatur und etwas Schnupfen hat und zudemweniger Appetit. Außerdem habe er schon lange einen Hautausschlag am Bauch; sonst sei der Junge unauffällig, berichtet die Mutter dem Pädiater.
Befunde, Diagnose und Verlauf
- Ein fröhliches Kind, an der Stirn ein schräges, circa 3 cm langes, relativ breites Hämatom
- Eupnoe, Rhinitis, alle Extremitäten frei beweglich, sitzt aufrecht
- Impfstatus nach STIKO regelrecht, inklusive Meningokokken B
- Lymphknoten submandibulär beidseits palpabel
- Hautturgor gut, Haut im Gesicht rein, außer einigen kleinsten, hellroten Petechien
- kein Fieber, Lunge, Abdomen, Darmgeräusche unauffällig, kein vitiumtypisches Herzgeräusch, neurologisch ebenfalls unauffällig
- Bauchhaut: Erythem, kleinste, multiple Petechien
- Rachen leicht gerötet, ansonsten unauffällig, trockene Rhinitis.
- An den Unterschenkeln finden sich nach Angaben des Pädiaters prätibial Hämatome unterschiedlichen Alters. Die Mutter habe, so Schmid weiter, die Hämatome damit erklärt, dass ihr Sohn schon frei laufe, aber auch noch sehr schnell krabble; er stoße öfters an, daher die blauen Flecken. Auf den Kopf sei er auch gefallen, vor zwei Tagen, „wie man sieht, und er hatte gestern beim Naseputzen etwas Blut am Taschentuch.“ Das Nasenbluten solle rund zehn Minuten angehalten haben.
- Labordiagnostik: CRP-Bestimmung negativ, auffallende Thrombozytopenie (2000/μl)
Verdachtsdiagnose: idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP).
Aufgrund dieses Verdachtes weist der Kinderarzt das Kind in eine Klinik ein. Dort habe der Junge leitliniengerech Prednison (oral) als Erstlinientherapie (einmal täglich 4 mg/kg/d über vier Tage, dann Dosisreduktion auf 1 mg/kg/d für 14 Tage). Darunter seien die Thrombozyten auf 40.000/μl gestiegen, das Kind habe aus der Klinik zur weiteren ambulanten Versorgung nach Hause entlassen werden können.
Diskussion
Die Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine seltene Bluterkrankung, bei der es aufgrund einer Fehlfunktion des Immunsystems zu einem Throbozytenmangel. Die Inzidenz soll bei Kindern etwa 1:100.000–4:100.000 betragen, bei Erwachsenen etwa 6:100.000. Sie ist bei Kindern oft – aber nicht immer – selbstlimitiert.
Sehr wichtig ist im Falle eines betroffenen Kindes die Beratung der Eltern. Laut Schmid sollten dabei folgende Aspekte be ücksichtigt werden:
- 90 Prozent der Kinder zeigen eine spontane Remission innerhalb von zwölf Monaten. Ein Übergang in eine chronische ITP tritt in circa zehn Prozent der Fälle auf – mit einer Mehrheit von Kindern, die nicht oder nur gering bluten.
- Schwerwiegende Blutungen sind generell selten.
- Risikofaktoren, die mit dem Auftreten schwerwiegender Blutungen assoziiert sind, sind unter anderem Schleimhautblutungen, Traumata so wie fieberhafte Infektionen.
- Bei niedrigen Thrombozytenwerten sollten keine Thrombozytenaggregations-Hemmer eingenommen bzw. verabreicht werden.
- Der Besuch des Kindergartens oder der Schule ist generell möglich. Es sollte zudem darauf hingewiesen werden, dass das Kind einer normalen Alltagsaktivität nachgehen kann.
- Die betreuenden Erzieher oder Lehrer sind zum Beispiel anhand eines Informationsschreibens über das erhöhte Blutungsrisiko und die Maßnahmen im Verletzungsfall zu informieren.
- Auf Kontaktsportarten und Sportarten mit erhöhtem Risiko für ein Schädel-Hirn-Trauma sollte verzichtet werden.
Eine wichtige Differenzialdiagnose bei Kindern mit mehreren Hämatomen am Körper sei Kindesmisshandlung, betont der Münchener Pädiater. Oft bestehe hier zunächst nur ein „ungutes Gefühl“. In Deutschland gebe es „einige 10.000 Kindswohlgefährdungen pro Jahr, wie viele davon mit körperlicher Gewaltanwendung einher gehen, kann nur vermutet werden“.
Dass in nahezu allen Artikeln zu diesem Thema auf die hohe Dunkelziffer verwiesen werde, führe zwar zu einer erhöhten Aufmerksamkeit, je doch auch zwangsläufig zu der Frage, was und wie oft man schon Hinweise fehlgedeutet habe, so Schmid weiter. Kinder- und Jugendärzte seen meist die einzigen Kontaktpersonen zu den Risikofamilien. Und: „Viele Aspekte verkomplizieren das Thema zusätzlich, etwa die Folgen der Pandemie oder unterschiedliche kulturelle Aspekte.“
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