Diabetes-Patienten mit zu hohem Blutdruck: Wie tief muss oder darf er sein?
- Dr. med. Thomas Kron
- Im Diskurs
Patienten mit Diabetes mellitus sind besonders gefährdet, Herz- und Gefäßkrankheiten zu entwickeln; die Stoffwechselerkrankung potenziere das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung um das Zwei- bis Dreifache auf jedem Blutdruckniveau, die Einstellung der kardiovaskulären Risikofaktoren sei daher besonders wichtig, betont Dr. Juliane Dederer von der Universität des Saarlandes.
Gesichert: Werte unter 140/90
Zu diesen Risikofaktoren zählt vor allem Bluthochdruck, von dem etwa jede zweite Typ-2-Diabetiker betroffen ist. An der Notwendigkeit einer antihypertensiven Therapie besteht kein Zweifel. Eine seit Jahren diskutierte Frage ist hingegen, wie tief der Blutdruck bei Diabetes-Kranken gesenkt werden muss. Gesichert ist laut Dederer und ihren Mitautoren eine Senkung auf Werte unter 140/90 mmHg. Dafür sprechen die Ergebnisse mehrerer randomisierter und kontrollierter Studien (ACCORD, ONTARGET und TRANSCEND).
Unter 120 mmHg?
Sollten die Zielwerte aber noch tiefer liegen, etwa unter 130 oder gar 120 mmHg? Die Studienlage für eine intensivere Blutdrucksenkung auf systolische Werte von weniger als 130 mmHg oder gar 120 mmHg ist nach Angaben der Autoren nicht homogen. Die europäischen Fachgesellschaften für Kardiologie und Hypertonie (European Society of Cardiology, European Society of Hypertension) empfehlen als Therapieziel für die Praxismessung bei Patienten mit oder ohne Diabetes mellitus Werte von systolisch 130 mmHg oder weniger, allerdings nicht unter 120 mmHg. Begründung für die Einschränkung: Bei zu tiefer Senkung treten vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse auf. Die US-amerikanischen Fachgesellschaften (American College of Cardiology und American Heart Association) raten ebenfalls zu einer Blutdruckreduktion auf systolische Werte unterhalb von 130 mmHg, geben aber keinen unteren Grenzwert an.
Tiefer ist nicht besser
Argumente für einen systolischen Zielwert von unter 120 mmHg hat in der jüngsten Vergangenheit vor allem die 2015 publizierte US-Studie SPRINT geliefert. Allerdings waren Diabetes-Patienten von dieser Studie ausgeschlossen. Die Frage nach dem Nutzen einer Blutdrucksenkung auf Werte unter 120 mmHg bei Diabetes-Patienten wurde allerdings schon früher untersucht, und zwar in der Studie ACCORD, die ebenso wie SPRINT vom National Institute of Health finanziert wurde. ACCORD zufolge führt eine strenge Blutdrucksenkung bei Diabetes-Kranken nicht zu einer Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse; Patienten mit einer Blutdrucksenkung auf Werte unter 120 mmHg haben im Vergleich zu solchen mit einem Zielblutdruck von über 130 mmHg ein sogar 3-fach erhöhtes Risiko für unerwünschtete Ereignisse. Eine „aggressive” Blutdruck-Einstellung bei herzkranken Diabetikern verbessert wohl kaum die Prognose. Möglicherweise schade sie den Patienten sogar, berichteten 2010 auch US-Forscher im „Journal of the American Association”. Eine antihypertensive Kombinationstherapie mit Blutdruckwerten unter 130 mmHg ist nicht besser als eine Therapie mit Werten unter 140 mmHg, so die Autoren, die Daten der „International Verapamil SR-Trandolapril Study” (INVEST) ausgewertet hatten.
Allerdings war in der ACCORD-Studie, wie Dederer und ihre Kollegen erklären, unter der intensiveren Blutdrucksenkung eine nichtsignifikante Reduktion von 11 % für den kombinierten primären Endpunkt aufgetreten, kombiniert mit einer Steigerung der Gesamt-Mortalität um nicht-signifikante sieben Prozent. Insbesondere für das Schlaganfallrisiko hätten die Berechnungen eine ausgeprägte und signifikante Reduktion um 48 Prozent bei intensiver Blutdrucktherapie (<120 mmHg) ergeben. Zu bedenken ist dabei jedoch, dass 89 Patienten fünf Jahre lang intensiviert behandelt werden müssten, um einen Schlaganfall zu verhindern. Außerdem: Erwartungsgemäß waren Nebenwirkungen mit einer Rate von 3,3 Prozent in der Gruppe mit intensivierter Therapie mehr als zweimal so häufig wie in der Gruppe mit dem höheren systolischen Blutdruck. Schlussfolgerung von Dederer und ihren Kollegen: Aufgrund der vorliegenden Evidenz aus mehreren Studien sowie gemäß der Leitlinie der ESC/ESH zur Therapie des Bluthochdrucks bei Patienten mit Diabetes mellitus ist ein Blutdruckziel von 120–130 mmHg/70–80 mmHg zu bevorzugen.
Wie therapeutisch vorgehen?
Zur initialen Therapie bei einem systolischen Blutdruck von 130/80 mmHg in der Langzeitblutdruckmessung gehörten eine Diät mit Salzrestriktion (unter 2,3 g/Tag), erhöhter Kaliumzufuhr, rediziertem Alkoholkonsum und vermehrtem Gemüseverzehr sowie eine gesteigerte körperlicher Aktivität mit Gewichtskontrolle und Rauchverzicht.
Eine antihypertensive Pharmakotherapie ist nach Angaben der Autoren bei einem Blutdruck von 140/90 mmHg oder mehr indiziert. Patienten mit einer Proteinurie sollten initial einen ACE-Hemmer oder Sartan erhalten, da sie die Progression der Niereninsuffizienz verlangsamen. Bei Patienten mit KHK oder Herzinsuffizienz sei zudem einen Betablocker indiziert. Allerdings müsse bedacht werden, dass Betablocker die Symptome einer Hypoglykämie maskieren könnten. Fixkombinationen sollten in Übereinstimmung mit den aktuellen Empfehlungen bevorzugt werden. Bei Typ-2-Diabetikern mit therapierefraktärer Hypertonie seien Mineralokortikoidrezeptorblocker eine Option, da sie die Albuminurie reduzierten und protektive kardiovaskuläre Effekte hätten. Zu beachten sei dabei das erhöhte Hyperkaliämie-Risiko.
Selbstverständlich auch relevant: die blutzuckersenkende Therapie
Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch die blutzuckersenkende Therapie. Einer der Gründe für die Entwicklung einer Hypertonie bei Diabetikern ist laut Dederer, dass bei diesen Patienten aufgrund der Hyperglykämie in vivo ein höherer Anteil an austauschbarem Serumnatrium vorliege als bei Hypertonikern ohne Diabetes. Dies liege vermutlich an der verstärkten Expression von SGLT(„sodium glucose cotransporter“)-2-Rezeptoren im distalen Tubulus. SGLT-2-Hemmer seien daher ideal für die orale Diabetes-Therapie bei Hypertonie-Patienten. Dies sei auch durch Studien belegt. So seien in der Empagliflozin-Studie EMPA-REG-OUTCOME eine Senkung des systolischen Langzeitblutdrucks um 3,44 mmHg nach der Gabe von 10 mg/Tag und eine Senkung von 4,16 mmHg nach 25 mg/Tag festgestellt worden. Auch andere Antidiabetika wie die Inkretinmimetika bzw. GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Liraglutid, Dudaglutid) und die Gliptine (Sitagliptin, Saxagliptin) senken laut Dederer nachweislich den Blutdruck. Von entscheidender Bedeutung sei, antidiabetische Substanzen zu wählen, die kein oder nur ein geringes Hypoglykämierisiko mit potenziell assoziierter Hypertonie und möglichen Arrhythmiefolgen hätten.
Fazit der Autoren: Wenn es gelinge, bei Diabetes-Kranken die begleitenden Risikofaktoren und allen voran den Bluthochdruck gut einzustellen, könnten diese Patienten eine Lebenserwartung wie Patienten ohne Typ-2-Diabetes erreichen; das kardiovaskuläre Risiko könnte so gut wie eliminiert werden. Noch nicht endgültig geklärt sei „der Richtwert der HbA1c-Senkung“. Weitere randomisierte Studien, die auch „die verschiedenen Ausprägungen eines Bluthochdrucks bei Diabetes mellitus mit einbeziehen“, seien daher notwendig .
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